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Peter Eisenburger

Popmusik

Pop-Musik: Business as usual

Diesen Text schrieb ich 1972/73. Veröffentlicht wurde er in der Herbstausgabe der Westerburger Schülerzeitung „Wühlmaus“ vom 20. November 1973. In dieser Ausgabe war ich mit drei teils längeren Artikeln vertreten. Zudem hatte ich die von der „Wühlmaus“ abgedruckte Presserklärung der Jungsozialisten in der SPD Westerburg zum Militärputsch in Chile formuliert.

Es gibt Untersuchungen, nach denen sich im Alter von 16–18 Jahren die Denkmuster einer Person so weit ausgeprägt haben, dass sich im späteren Leben nur noch wenig daran ändert. Es wird im Laufe der Jahre und Jahrzehnte inhaltlich und sprachlich differenzierter (hoffentlich), bestimmte Sichtweisen werden in Frage gestellt, aber das Grundmuster, die Herangehensweise, auch die Interessensgebiete bleiben. An „Pop-Musik: Business as Usual“ könnte man das erkennen. Der sozialkritische Ansatz, Beobachtungsgabe, Neugier sowie das Bemühen, analytisch hinter die Fassade zu blicken. Und Musik ist bis heute Teil meines Lebens. Es vergeht selten ein Tag, an dem ich nicht ein Lied vor mich hinsumme oder sogar singe, wenn keiner zuhört. Liebe zu Musik ist auch eine von vielen Gemeinsamkeiten, die ich mit meinem Opa Hubert Zorn habe.

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popmusik

Der Aufsatz war zwar nicht der umfangreichste, aber vielleicht einer der besten meiner Arbeiten für die „Wühlmaus“. Nicht schlecht sind die zwei englischen Versatzstücke, einmal im Titel und in dem Wortspiel am Schluss. Für Spätergeborene: „If in doubt consult your dealer“ stand früher auf jeder Plattenhülle und bezog sich auf die technischen Anforderungen für das Abspielen der Platte. Heute wird dieser Passus nicht mehr abgedruckt. Wer heute Vinyl erwirbt, weiß Bescheid, welches Equipment er braucht.

Zum ersten Mal versuchte ich auch, das Schriftbild zu gestalten, wie ich das in Büchern und Zeitschriften gesehen hatte, indem ich die erste Zeile der Absätze einrückte und sogar Abschnitte mit „Abteilungssternchen“ (* hatte die Schreibmaschine nicht, also +) von anderen absetzte.

Die Quellen für meine Erläuterungen sind mir leider entfallen und entgegen meiner späteren Texte gab ich sie in der „Pop-Musik“ auch nicht an. Musikalisch waren damals viele meiner Generation und meiner Richtung geprägt von Volker Rebell, dessen Sendungen mit anspruchsvoller Pop-Musik im Hessischen Rundfunk unvergessen sind. An Beiträge von Volker Rebell zur Musikindustrie erinnere ich mich nicht – möglich wäre es aber.

Die Kritik an der von mir so gesehenen kapitalistischen Verformung der populären Musik entnahm ich wohl teilweise dem „Beat-Club“, in dessen letzter Phase 1971/72 Wort-Beiträge mit ähnlichem Duktus liefen, wenn auch teilweise in einer extremen Ausrichtung, die ich nicht teilte. Im „Spiegel“, den ich damals las, erschienen wohl Artikel über die Musikindustrie mit kritischer Ausrichtung, in der „Zeit“ (damals liberal, heute stramm links-woke) eher nicht. Die neue „konkret“ erschien erst 1974 und auch den Berliner Extra-Dienst las ich erst ab 1974, wenn ich mich recht entsinne, aber der hatte es nicht gerade mit Popkultur.

Aus heutiger Sicht hat der Text Defizite, die man aber einem 17-Jährigen nicht vorwerfen kann, zumal damals die gesamte sozialistische Linke derartige Denkmuster pflegte. Ich sah in sozusagen vulgär-marxistischer Manier die kulturelle Sphäre der Gesellschaft zu stark gebunden an die  „Produktionsverhältnisse“. Soziologen wie Max Weber, den ich damals als „bürgerlich“ abgelehnt hätte, haben hingegen erkannt, dass die Kultur eine Eigengesetzlichkeit und partielle Autonomie in der historischen Entwicklung hat.

Einseitig ist auch das von mir vermittelte Bild der Musiker als reine Profiteure des gewinnorientierten Musikgeschäfts, womit sie quasi Ausbeuter der Konsumenten wären. Dass stardom, das Dasein als Star, Musiker bis hin zum Tod ruinieren kann, ist durch viele traurige Fälle belegt. Janis Joplin ist nur ein Name von mehreren. John Lennon wurde 1992 von einem Fan erschossen. Tom Petty starb 2017 an multiplem Organversagen, ausgelöst von einer Überdosis von sieben (!) Medikamenten und Drogen, die er gleichzeitig genommen hatte, darunter vier Fentanyl-Varianten und drei Psychopharmaka. Vor seinem Tod stand er mit einer gebrochenen Hüfte und anderen gesundheitlichen Problemen drei Mal auf der Bühne, betäubt bis zum tatsächlichen Gehtnichtmehr.

Insofern wären die Stars auch die Opfer nicht nur der Musikindustrie, sondern der Fans, die ihren bewunderten und verklärten Helden zujubeln und Erfolgsdruck ausüben – in einem unentwirrbaren Bündel an selbst- und fremdgenerierten Bedürfnissen.

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Hochgeladen am 2. März 2024. 

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