Ernährungskrise und Agrarprobleme der Dritten Welt
Die Arbeit erstellte ich im Sommersemester 1977 und dem ersten Teil der darauf folgenden Semesterferien. Es war eine ereignisreiche Zeit. In diesem langanhaltenden, unbeschwerten und schönen Sommer zog ich auch in die Wohngemeinschaft im Alten Wetzlarer Weg ein.
Ich erinnere mich noch gut, wie die Unterlagen der Arbeit, die vielen Bücher, Zeitschriften und Kopien über meinem Schreibtisch verteilt waren. Regelmäßig besuchte ich die Universitätsbibliothek (UB), damals noch in der Bismarckstraße, um bestellte englischsprachige Unterlagen wie die Jahrbücher der FAO abzuholen und zu kopieren.
Mein Anspruch war, etwas ganz genau wissen und verstehen zu wollen. Dabei konnte man sich nicht mit Theorien zufriedengeben, sondern musste sich richtig in eine Materie vertiefen, aufwendig und akribisch recherchieren.
Den Text finde ich wegen seiner Detailgenauigkeit auf einem eigentlich fremden Gebiet und der Einordnung von Einzelphänomenen in einen übergeordneten Rahmen immer noch ansprechend.
Probleme der Landwirtschaft der Dritten Welt hatten mich schon als Oberschüler beschäftigt. Ausschlaggebend dafür waren neben der Relevanz, die das Thema für jeden damaligen Sozialisten hatte, insbesondere die Ereignisse in Chile, auf die ich an anderer Stelle eingehe.
Auch in der mündlichen Abiturprüfung im Fach Geographie hatte ich ein wohl von mir selbst angeregtes Thema zur Landwirtschaft in Südamerika. Ich erinnere mich, dass die geographisch-naturräumliche Herangehensweise des Erdkunde-Lehrers mit meiner streng sozialkritischen schwer vereinbar war.
Was ich damals nicht ahnen konnte, war, dass ich sehr, sehr viel später im Rahmen meiner Dissertation auch mit landwirtschaftlichen Strukturen und Reformen beschäftigt sein sollte. Diesmal aber nicht in der Dritten Welt, sondern in meiner nassauischen Heimat des 18. und 19. Jahrhunderts.
Doch zurück zur vorliegenden Arbeit.
Was ich damals nicht hatte und als der junge Mensch, der ich war, auch gar nicht haben konnte, war: Überblick. Ich bewegte mich ausschließlich in linken, marxistischen Denkschemata. Das waren auch die einzigen, die in meinem Politik-Studium in Gießen vorkamen. Hier reichte es aus, in einer Arbeit mit immerhin wissenschaftlichem Anspruch zu begründen: “wie Marx ausführlich darlegte” (S. 16).
Als überzeugter Marxist war ich der Auffassung, dass alle Probleme nur durch die Aufhebung der Klassengegensätze gelöst werden können, das heißt durch eine radikale gesellschaftliche Umwälzung. Alle anderen Bemühungen würden die Lage der ärmeren Bevölkerung nur noch verschlechtern. Typisch war auch das grundsätzliche Misstrauen gegenüber dem Markt.
In der vorliegenden Arbeit gesellen sich zu den marxistischen Topoi noch Ansätze früher, radikal-ökologischer Denkmuster wie die Ablehnung von Technologie fast jeglicher Art, ob Mechanisierung, Pflanzenzüchtung oder Pflanzenschutzmittel, und Forderungen einer radikalen Ernährungsumstellung, wie sie aktuell wieder in Erscheinung treten.
Die Arbeit erhielt die Note “1”. Zwei längere Abschnitte wurden im Dezember 1977 und Februar 1978 von der im undogmatischen linken Spektrum beheimateten Zeitschrift “blätter des iz3w” veröffentlicht (siehe Scans), herausgegeben vom Informationszentrum 3. Welt in Freiburg. Susanne Habicht von der Redaktion schrieb mir am 6.12.1977, sie hätten am liebsten die ganze Arbeit abgedruckt, es seien jedoch auch schon andere Texte zum Thema eingereicht worden.
Die “blätter des iz3w” waren zumindest im linken und kirchlichen Spektrum recht bekannt und angesehen und so war die Publikation ein großer Erfolg für mich. Ich war 21 Jahre alt.
Bis zur nächsten wissenschaftlichen Veröffentlichung sollte es genau und unfassbar 45 Jahre dauern. Das war dann eine Biographie in den “Nassauischen Annalen”. Ein weiter Weg...
30. August 2022.
Hochgeladen am 1. September 2022. Zuletzt editiert am 28. September 2023.