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1983 besiegelten die vorgezogenen Neuwahlen zum Bundestag den im Jahr zuvor durchgeführten Machtwechsel. Die CDU würde nun für viele Jahre die Kanzlerschaft innehaben – allerdings eine völlig andere CDU als sie es in der Jetzt-Zeit (2020) ist. Eine andere Partei, die in eben dieser Jetzt-Zeit auf dem Weg zu immer größerem Einfluss ist, kam 1983 zum ersten Mal in den Bundestag: Die Grünen. Der Abstieg der SPD fing historisch gesehen ebenfalls 1982/83 an, nur unterbrochen durch die zwei Kanzlerschaften Gerhard Schröders von 1998 bis 2005.

Die Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss waren auf ihrem Höhepunkt. Unmittelbar darauf folgte, teilweise von denselben Personen initiiert, die Bewegung gegen die Volkszählung – gegen eine Datenerfassung, die im Vergleich zu dem, was zu Beginn des 21. Jahrhunderts passiert, absolut läppisch ist.

Im internationalen Geschehen beobachtete die Welt einigermaßen erstaunt den skurrilen Krieg um die Falkland-Inseln.

In Bonn fing die Flick-Affäre um Steuerhinterziehung und verdeckte Parteizuwendungen an. Mehrere Bundesminister der CDU und FDP wurden in der Folge strafrechtlich verfolgt und verurteilt.

Der ausgerechnet vom ausgemachten Reaktionär Franz Josef Strauß (CSU) vermittelte Milliardenkredit der BRD an die DDR zeigte deutlich die schwere finanzielle Schieflage des ostdeutschen Staates und läutete in der Nachbetrachtung dessen Endphase ein.

Das internationale Geschehen wurde stark von Katastrophen geprägt. Durch eine Titelgeschichte des “Spiegel” erfuhr eine größere Öffentlichkeit erstmals von einer neuen Krankheit namens AIDS.

Ganz besonders schlimm traf es in diesem Jahr die zivile Luftfahrt. Alleine zwei Boeing 747 stürzten vom Himmel. Eine von ihnen wurde von der sowjetischen Luftwaffe abgeschossen. Das Geschehen konnte bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Eine Sternstunde der Technik war hingegen das erstmalige Verlassen des Sonnensystems durch ein von Menschenhand gefertigtes Objekt. Die 1972 von Cape Kennedy gestartete Sonde Pioneer 10 stieß 1983 über die Plutobahn hinaus. In etwa 2 Millionen Jahren wird (oder würde) sie den Stern Aldebaran erreichen. In großem Optimismus (oder Leichtsinnigkeit?) haben die Erbauer ihr trotzdem eine Scheibe mit Informationen über die Menschheit und wo man uns finden kann, beigegeben.

Die schönsten Bücher
der Bundesrepublik Deutschland 1983

Bei der Gestaltung des Kataloges gab es 1983 noch keine positiven Veränderungen. Immer noch störte die gräulich-schmutzige Reproduktion der Buchseiten.

Die Umschlagillustration wechselte wieder. Diesmal wurde sie von Studenten der Fachhochschule Hannover entworfen. Von den vier gezeigten Entwürfen wurde der im Vergleich am wenigsten missratene ausgewählt – bleierne Lettern auf einer Schiefertafel. Was sollte das im Zeitalter des gerade von der Stiftung Buchkunst vielbeschworenen Lichtsatzes bedeuten?

Nach wie vor brachte man drei Vorworte, allerdings jetzt in wohltuender Kürze. Hauptsächlich ging es um den 1983 verstorbenen Ernst Hauswedell, den großen Mentor des bundesdeutschen Wettbewerbes der schönsten Bücher.

Leider nur am Rande (S. 9) erfährt man dabei von einer Phase großer und wohl existenzbedrohender Turbulenzen bei der Stiftung Buchkunst, über deren zeitliche Lokalisierung man nur spekulieren kann, die aber vielleicht in der Phase des Übergangs der Geschäftsführung von dem lange Zeit dominanten Hans Peter Willberg auf seinem Nachfolger gelegen hat.

Die eigentlichen Fakten zu den Büchern kommen aber etwas zu knapp. Man begnügt sich mit der lakonischen Kürze, wie sie traditionell beim Schweizer Wettbewerb praktiziert wurde.

Auch weiterhin wurde nur ein verschwindend geringer Teil des Buchmarktes überhaupt eingereicht. Da dieser mit gewissen jährlichen Schwankungen, aber mittelfristig beständig anwuchs, wurde proportional der Anteil der bewerteten Titel immer noch kleiner.

1983 wurden 509 (Vorjahr 524) Bücher eingesandt, von denen wie im Vorjahr 48 Titel ausgewählt wurden. 1983 sei mehr Qualität „in der Breite” vorhanden gewesen, aber weniger Bände hätten es bis in die Endausscheidung geschafft.

Irgendwelche statistischen Angaben zu Druck- und Satzverfahren, zu Schrifttypen etc. sucht man wie im Vorjahr vergeblich. Solche interessanten Informationen zu geben, das gehörte offensichtlich nicht zum Amtsverständnis des neuen Geschäftsführers der Stiftung Wolfgang Rasch. Seine Vorgänger hatten sich mit Begeisterung diesen Zahlen hingegeben. Rasch liebte mehr die detaillierten Schilderungen von PR-Aktionen.

Zwei Trends ließen sich 1983 beobachten. Der große Renner waren Reiseführer. Dass Reiseführer alleine schon aufgrund der Expansion dieses Freizeitmarktes im Kommen waren, ist klar und wurde hier bereits 1982 beschrieben. Aber diese Häufung mit 5 ausgewählten Titeln in dem vorliegenden Katalog ist genauso signifikant wie überraschend, zumal die Reiseliteratur in den vergangenen Jahrzehnten von der Stiftung Buchkunst eher stiefmütterlich behandelt wurde.

Erstmals seit 1958 (!) wurde wieder ein Kochbuch ausgewählt. Da staunt man. Die Jury stieg wohl vom hohen Ross der Hochkultur herab. Immerhin behielt man sich aber die französische Küche vor. Und das war der zweite neue gesellschaftliche Trend (der 1984 im Katalog fortgesetzt werden sollte): stilvolles Kochen. Die Zahl der veröffentlichten Buchtitel sollte später geradezu explodieren und viele Fernsehserien entstehen. Beides – Reisen und aufwendiges Kochen – bedeutete auch, dass immer mehr Geld zur Verfügung stand. Das 1958 ausgezeichnete Kochbuch hatte noch Grundrezepte beinhaltet.

Ein ärgerliches Thema waren nach wie vor die Reihen. Kein anderer Wettbewerb praktizierte auch nur annähernd immer wieder die Auswahl von Titeln aus Verlagsreihen wie der bundesdeutsche, und auch hier war dies nach den offiziellen Richtlinien ja eigentlich ausgeschlossen.

Zu den Reihen gehörten an vorderster Stelle die dtv-Atlanten (diesmal „Chemie”), die zwar naturgemäß je nach Fachgebiet durch unterschiedliche Illustratoren gestaltet wurden, aber in Konzept und Seitenlayout doch sehr ähnlich waren – und es aufgrund des Wiedererkennungswertes auch sein mussten.

Immer wieder wurden auch die Städteführer vom Emig Verlag ausgezeichnet, obwohl sie bis in kleinste Details, vom Layout bis zum Papier und Einbandgestaltung, Umschlaganmutung etc., identisch waren oder nur minimale Unterschiede aufwiesen. Man vergleiche zum Beispiel die Bände Darmstadt (1971), Michelstadt und Eberbach (1980) und Amorbach im Odenwald (1983). (Alles auch schöne Ausflugsziele vom Frankfurter Sitz der Stiftung Buchkunst.)

Ganz sicher ist das anderen Anbietern von Städteführern, die vielleicht nie zum Zuge kamen, bitter aufgestoßen – soweit der Wettbewerb in der Branche überhaupt ernst genommen wurde.

Ähnlich verhielt es sich mit der Reihe „Anders reisen” des Rowohlt Taschenbuch Verlages, die jetzt offenbar häufig prämiert werden sollte (1982, 1983 – jetzt aber nicht mehr im Flattersatz, also nicht mehr so anders).

Maximilian I. Ein kaiserlicher Auftraggeber illustrierter Handschriften.

Maximilian I.
Ein kaiserlicher Auftraggeber illustrierter Handschriften

Es war eine schöne Idee, zum Andenken an Ernst Hauswedell wieder eine “Jahresgabe” der von ihm maßgeblich geprägten Maximilian-Gesellschaft für Bibliophile auszuwählen. Ob dies mit diesem Titel auch ohne den traurigen Anlass geschehen wäre, ist müßig zu spekulieren. Und wie passend war es, dass der Jahresband 1982/83 ausgerechnet dem Namensgeber der Gesellschaft gewidmet war. Denn dieser, auch “der letzte Ritter” genannt, konnte ein recht rauer Haudegen sein, war aber auch ein großer Förderer der Künste, u. a. der Buchmalerei.

Zweifelsohne wurden bei dem Buch hochwertige Materialien verwendet – das konnte man aber auch erwarten.

Dennoch bleibt das Endergebnis unbefriedigend. Die Reproduktionen (doch eigentlich das Wichtigste bei einem solchen Buch!) sind häufig blass und unscharf (siehe z. B. Tafel 12). Warum einige Bilder “geringfügig verkleinert” sind, wenn auf der Seite noch riesige Ränder verbleiben, ist unklar.

Die Bildbeschreibungen, jeweils auf der den Reproduktionen gegenüberliegenden linken Seite, sind mit 10 pt unnötig klein.

Das unattraktive Grau des Einbandes passt nicht zu den farbenfrohen Bildern – das mag aber Geschmackssache sein.

Der Buchrücken verzieht sich vom Umblättern des Buches.

dtv Merian Reiseführer Hamburg
Florenz. Lesarten einer Stadt.

dtv Merian Reiseführer Hamburg

Bei diesem hochwertigen Reiseführer stimmt (fast) alles: der Inhalt, die Darbietung, das Format, die Materialien.

Die Fotos (noch alle in Schwarz-Weiß) haben bei guter Motivauswahl einige Probleme mit der Reproduktion (oder schon der Aufnahme?). Häufig sieht man einen ausgewaschenen Himmel wie auf dem grässlichen Titelbild. Offenbar will der Verlag suggerieren, dass es in Hamburg immer regnet. Warum sollte man dann dahinfahren? Mehrere Fotos sind grotesk schief (S. 95, 126).

Diese Mängel stören den Gesamteindruck zwar nur wenig, sollten aber bei einem  Preis von DM 18,80 nicht vorkommen. 10 Jahre später kosteten Titel mit ähnlichem Umfang aus derselben Reihe bereits das Doppelte.

Merian, bekannt durch die eher für ein bildungsbürgerliches Publikum konzipierte, monatlich erscheinende gleichnamige Zeitschrift, tat gut daran, sich für den schnell expandierenden Markt der “Guides” im Taschenbuchformat mit dtv zusammenzutun.

Die immer guten und empfehlenswerten dtv Merian Reiseführer wurden Anfang der 80er eingeführt, zunächst mit den großen deutschen und europäischen Städten. Sie erforderten bei allen praktischen Tips ein Sich-Einlesen, eine Beschäftigung mit dem Reiseziel. Der nur noch schwer zu vermittelnde Preisanstieg kam hinzu.

So wurde die Reihe Anfang der 90er abgelöst von “Merian live!”, deren Titel “kompakter” (= dünner), bunter und auch günstiger waren, sich allerdings auch kaum noch von “Marco Polo” etc. unterschieden.

Historische Reiseführer, was man nach fast 40 Jahren wohl sagen kann, sind Zeitdokumente allerersten Ranges.

Florenz. Lesarten einer Stadt.

Natürlich kein Reiseführer – dennoch ist ein Vergleich mit nebenstehendem Band reizvoll.

Das schöne Wortspiel “Lesarten” bedeutet hier, dass das Buch als Anthologie 62 literarische Texte über Florenz beinhaltet, aus dem Zeitraum vom Jahr 1300 bis 1980. Auch viele deutsche Schriftsteller sind vertreten. Goethe, Heine, Rilke, alles von Rang und Namen ist dabei.

Was allerdings den Verlag dazu bewogen hat, zum Schluss gleichrangig mit dem Vorhergehenden mehrere Artikel von “Kulturkritikern” aus der Frankfurter Rundschau aufzunehmen, ist unerfindlich. “Patti Smith im Stadion von Florenz” z. B. hat mit der Stadt rein gar nichts zu tun. Deren Name kommt auch nur in der Überschrift vor.

Das ohne Erscheinungsdatum angehängte “Gedicht” von Andy Warhol wirkt ebenfalls unpassend.

Viele kleinformatige, aber hübsche Illustrationen in Schwarz-Weiß bereichern das Buch, sind aber nur in bescheidener Reproduktionsqualität.

Handwerklich ansonsten makellos gemachtes Taschenbuch. Verwendet wurde gelbliches Dünndruckpapier 50 g.

Schon die erste Auflage hatte erstaunliche 10.000 Exemplare. Mehrere Nachauflagen kamen hinzu.

Die Frage ist zwar, wer einen nennenswerten Teil der 401 Seiten wirklich gelesen hat. Dennoch erkennt man deutlich, dass wir 1983 noch in einem anderen Lese-Zeitalter waren.

Susi Piroué: Französisch kochen

Susi Piroué: Französisch kochen

Wieder mal ein Buch, das der Chronist schon sein eigen nannte (in der 4. Auflage 1991). Die erste Auflage hatte bereits aus 15.000 Exemplaren bestanden.

In den 80ern wurden die Kochbücher immer aufwendiger, ebenso die Kochvorgänge. Ein Grund war, dass die Hobbyköche anderen Ländern nacheifern wollten. Ganz besonders hoch im Kurs stand natürlich Italien, waren doch Spaghetti und Pizza leicht hergestellt.

Etwas anspruchsvoller war da schon die französische Küche und so vermeidet der Verlag auch im Titel den Zusatz “leicht gemacht”. Der Werbetext auf der Rückseite kann es sich aber leider doch nicht verkneifen, ein “leicht gelingen” zu plazieren und die Zutaten zu preisen, “die es überall zu kaufen gibt”.

Die Wahrheit sieht teilweise anders aus. Hummer gibt es ebensowenig “überall” zu kaufen wie Flusskrebse, Flusshecht oder Kalbshirn, und die Zubereitung einiger Gerichte erfordert viel Erfahrung.

Andere Rezepte werden wahrscheinlich auch Anfänger hinbekommen – falls sie sich nicht zu sehr an den Wortlaut halten. Denn schon das erste Rezept enthält einen Übersetzungsfehler. Für die Französische Zwiebelsuppe sollte man die Zwiebeln natürlich nicht “feinhacken”, sondern in Ringe schneiden. So zeigt es ja auch ganz deutlich das Bild.

Auch beim 4. Rezept scheint etwas nicht zu stimmen. Wie können Fadennudeln in einer Suppe “anbrennen”?

Der Band hat einen festen, abwaschbaren Einband (“polypropkaschiert”), wie es bei einem Kochbuch sein sollte. Das gestrichene, also glatte Papier ist hochwertig und 135 g schwer.

Die Fotos entsprechen dem damaligen Stand in sehr guter Qualität. Das Layout bemüht sich durch zahlreiche Horizontal- und Querstriche, Übersichtlichkeit und Ordnung herzustellen. Gelungen sind die zwischen die einzelnen Arbeitsvorgänge auf Zeilenmitte plazierten dicken Punkte. Ganz unpraktisch und unverständlich ist es aber, dass immer wieder Gerichte über einen Blattwechsel gesetzt wurden, für die man also umblättern muss.

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Der Wettbewerb in der DDR

Die schönsten Bücher der DDR 1983

Der neue Umschlag war jetzt farblich etwas besser gelöst, wirkte aber weiterhin dilettantisch, da man es nicht schaffte, die Bücher auch nur halbwegs geometrisch richtig abzubilden (siehe zum Beispiel mittlere Reihe).

Im Vorwort der Jury wird gemahnt, „auch zukünftig mit einem sinnvollen Materialeinsatz schöne Bücher herzustellen” (S. 5) – ein deutlicher Hinweis auf die Ressourcenknappheit, wie sie die DDR der 80er Jahre kennzeichnete. Auch später bei der Besprechung der einzelnen Sparten wird immer wieder auf die Notwendigkeit hingewiesen, sparsam mit den Ressourcen umzugehen, teils auch mit Lob für erfolgreiche Anstrengungen:

„Insgesamt war festzustellen, dass der Materialökonomie verstärkt Beachtung geschenkt wird. Die Bände verfügten meist über einen effektiv genutzten Satzspiegel (dicht bedruckte Seiten; PE) und hatten keine überflüssigen Vakatseiten (leere Seiten, z. B. nach dem Schmutztitel, vor einem neuen Kapitel oder auf der Rückseite einer Abbildung; der Verzicht auf leere Seiten kann zu einem gedrängt wirkenden Druckbild führen; PE)” (S. 6).

Die „Nutzung der Vorsätze (der üblicherweise frei bleibenden Blätter, die Einband und Buchblock verbinden; PE) für Informationen, Tabellen und technische Zeichnungen” (S. 7) wird ebenso anerkennend vermerkt wie „zweckentsprechender Materialeinsatz” (S. 7).

Auf Deutsch heißt das alles: jeder Quadratzentimeter sollte ausgenutzt werden.

In der Gesamtschau der Jahresproduktion wird die „weltweite Wertschätzung der DDR-Buchkunst” hervorgehoben. Dies ist keine Selbstbeweihräucherung, sondern entsprach den Tatsachen, wie vor allem mehrere Kunst- und Fotobände wieder demonstrierten. Und überhaupt wirkte die Zusammenstellung in diesem Jahr ein klein wenig frischer als in den Vorjahren, bei Wahrung des altväterlichen Gesamteindrucks. Aber wenigstens waren Titel wie „Altes Gebrauchszinn” (befremdlicherweise, aber sozialistisch korrekt eingeordnet unter „Gesellschaftswissenschaften”) und „Militärhistorische Miniaturen” nicht mehr so dominant wie bisweilen in den letzten Katalogen.

Auch die sozialistischen Klassiker waren nur noch mit „Auf Kampfposten in der Revolution” vertreten. Irgendwann ließ sich ja auch für den literarischen Markt aus Marx und Engels nichts mehr herausholen, nachdem die Einzelbände, die MEW-Ausgabe, die MEGA-Ausgabe, die Briefe vom jungen Marx, die Erinnerungen von Jenny Marx etc. pp. aufgelegt worden waren – zurück blieb eine gewisse geistige Leere.

Die nationale Buchproduktion der DDR belief sich 1983 auf 6388 Titel (leicht ansteigend) mit insgesamt 141,1 Millionen Exemplaren (jetzt über Jahre hinweg etwa gleichbleibend).

Ausgewählt wurden diesmal exakt 50 Titel.

Vergleich DDR mit BRD, Österreich und Schweiz

Das Vorwort ist in seiner Ausführlichkeit, Sachlichkeit und Detailliertheit vorbildlich – kein anderer Wettbewerb der hier vorgestellten Länder erreichte dieses Niveau jemals auch nur ansatzweise. Gerade gegenüber dem bundesdeutschen Wettbewerb setzte man sich immer mehr ab. Im Westen erinnerten die Vorbemerkungen seit dem Wechsel an der Spitze der Stiftung Buchkunst mehr an Feuilleton denn an die notwendige sachlich-exakte, methodisch nachvollziehbare Beschreibung von handwerklichen und kunsthandwerklichen Materialien, die an sich und  im Vergleich zueinander erfasst werden müssen.

In Österreich und in der Schweiz war man ohnehin an lapidar kurze Berichte gewöhnt, die nur das Nötigste mitteilten und manchmal nicht mal das.

Seit einigen Jahren waren im DDR-Katalog die Einzelbeurteilungen der Titel in die Besprechung der jeweiligen Sparten verlegt worden. Beispielhaft zeigen sich 1983 die Vorzüge dieser Vorgehensweise. Es werden zwar nicht mehr alle Titel erwähnt, sondern nur die jeweils herausragenden, es ist aber textlich eine bessere und übersichtlichere Darstellung der Entwicklungstendenzen der einzelnen Bereiche möglich und wird auch überzeugend praktiziert.

Im BRD-Katalog fand sich nach wie vor überhaupt keine Begründung für die Auswahl (hier war man überfordert, von den „76 detaillierten Kriterien” (so 1981) ein zusammenfassendes Urteil in Worte zu fassen), ebensowenig wie in Österreich. Die Schweiz brachte nach wie eine kurze Einzelbegründung.

Nachdem die BRD die einschlägigen Zahlen seit 1982 nicht mehr veröffentlichte, geschweige denn kommentierte, Österreich und die Schweiz das nie getan hatten, erfuhr man nur noch aus der DDR, wie die weitere Verbreitung des Fotosatzes (69 % der Preisträger) und des Offsetdruckes war (39 von 50 Titeln). Auch die anderen interessanten Statistiken wie Leinen vs. Pappband, Broschur usw., verwendete Schriften wurden weiter vermerkt und kommentiert.

Wilhelm Fraenger: Matthias Grünewald

Wilhelm Fraenger: Matthias Grünewald.
Aufnahmen von Wolf Lücking.

Da hat der Dresdener Verlag der Kunst einen prächtigen, in jeder Hinsicht hochwertigen Bildband aufgelegt. Aber Qualität hatte auch in der DDR ihren Preis: 142 Mark (als “Sonderpreis”, im Export sogar 160 Mark) werden die wenigsten Arbeitnehmer für diesen Kunstgenuss übrig gehabt haben.

Über den genialen Künstler Matthias Grünewald (1480–1530) braucht man an dieser Stelle keine Worte zu verlieren. Der besprochene Band tut gut daran, in vielen Detailaufnahmen die außergewöhnlichen Fähigkeiten Grünewalds zur Geltung kommen zu lassen. Im Mittelpunkt steht natürlich der Isenheimer Altar, dessen Geschichte und Restaurationsgeschichte geradezu abenteuerlich ist.

Der Text wurde aus mehreren einzelnen Veröffentlichungen des Kunsthistorikers Wilhelm Fraenger (1890–1964) redaktionell zusammengestellt. Der Hauptteil erschien bereits 1936. Dass die DDR keine neuere Deutung des Werkes von Grünewald hervorbrachte, könnte man auch als Manko ansehen.

Der wortgewaltige, expressive Stil von Fraenger ist deutlich der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts verhaftet und zwar interessant zu lesen, aber vielfach auch wieder überholt, so wie seine entdeckten “Selbstbildnisse” des Matthias Grünewald. Überhaupt gibt es wohl kaum ein besseres Beispiel wie diesen Renaissance-Maler, um zu zeigen, wie fast beliebig die Interpretationen der Kunsthistoriker in vielen Fällen sind.

Die Druckstöcke des damals beim Berliner Rembrandt-Verlag erschienenen Buches waren im Krieg bei einem Bombenangriff verloren gegangen, so dass Neuaufnahmen erforderlich wurden. Diese wurden von Wolf Lücking in herausragender Weise durchgeführt – ebenso wie der Druck.

Viele Bücher werden durch unpassende Umschlagillustrationen ruiniert. Bei diesem hingegen ist die Wahl des “Dunkelengels” vom Isenheimer Altar sehr geglückt.

Georg Brühl: Herwarth Walden und "Der Sturm"

Georg Brühl: Herwarth Walden und "Der Sturm"

Mit diesem voluminösen Band hat der Kunsthistoriker Georg Brühl der Zeitschrift „Der Sturm” (1909–1931) und deren Herausgeber Herwarth Walden ein Denkmal gesetzt.

Inhaltlich umfassend und handwerklich tadellos. Nur die Farb-Abbildungen sind etwas blass geworden, was aber bei dem gewählten Druckverfahren wohl nicht anders ging. Dafür sind die Schwarzweiß-Abbildungen durchgehend gut.

Ebenso opulent wie Umfang und Ausstattung war der Preis. Es wäre interessant, an wen die 6000 Exemplare für je 130 Mark gingen. An Angehörige der Arbeiterklasse bestimmt nicht.

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Ein Blick nach Österreich

Die schönsten Bücher Österreichs 1983

Die österreichische Jury wählte aus 111 vorgelegten Titeln wieder 12 Preisträger aus.

Damit hatte man zwar wieder nur eine kleine, aber wieder sehr feine Mischung aus Kunst- und Fotobänden, sonstigen Bildbänden (darunter viel Architektur), illustrierten Kinderbüchern und gelegentlich etwas Belletristik. Einige der Bände sind antiquarisch mittlerweile fast unerschwinglich, wie „Die Sommervillen im Salzkammergut” (diese selbst ohnehin), was auch für die Qualität der getroffenen Auswahl spricht.

Die „Sommervillen” sind typisch für die Wettbewerbe in allen 4 berichteten Ländern in diesen Jahren, denn überall wurden ungemein viele gute Architekturbücher gemacht.

Seit 1975 wurde der schöne österreichische Katalog von Hans Schaumberger gestaltet. Von seiner Ästhetik (und in der BRD auch von dieser Kontinuität) konnten die anderen Wettbewerbe nur träumen.

Übrigens war es eine kluge Entscheidung der Jury, sich für Österreich auf eine eng begrenzte Auswahl zu beschränken. In der Schweiz ging man den entgegengesetzten Weg, was dem Wettbewerb nicht gut tat (siehe unten).

Monika Oberhammer: Sommervillen im Salzkammergut

Monika Oberhammer: Sommervillen im Salzkammergut

Die Kunsthistorikerin Monika Oberhammer (*1942) legte 1983 im Verlag der Galerie Welz diesen opulenten Band vor, der wohl ihr bedeutendstes Werk ist.

Aufgenommen wurden Bauten aus der ”francisco-josephinischen Epoche” (bei dem schwierigen Wort vergaß der Setzer das “r”), also von 1830 bis 1918. Die Umschlagillustration zeigt allerdings nur das Gartenhaus einer Villa.

Bei diesem Buch, das die “Ehrenurkunde des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels” erhielt, verbindet sich in seltener Weise der Schaugenuss mit exakten historischen und architektonischen Angaben.

Sehr schön wurden auch die historischen Pläne und Aufnahmen mit aktuellen Schwarz-Weiß-Fotografien von Oskar Anrather (1932–2016), dem “Meister der Leica” ergänzt.

Der Prachtband kostete damals 700 Schilling (rund 100 DM). Einige der 1000 aufgelegten Exemplare (mehr wagte der Verlag nicht) sind antiquarisch noch verfügbar und kosten bei sehr gutem Erhaltungszustand mehr als das Doppelte des ursprünglichen Preises.

Einen Mangel gibt es aber doch. Wahrscheinlich bedingt durch einen handwerklichen Fehler beim Binden reißt der weit über ein Kilo schwere Buchblock leicht vom Einband ab.

Monika Laimgruber: Das große Buch der Kinderlieder

Monika Laimgruber: Das große Buch der Kinderlieder

Was die schon 1975 und 1978 vorgestellte Illustratorin Monika Laimgruber hier geleistet hat, ist unfassbar. Wie lange hat sie an diesem Buch gearbeitet? Ein Jahr? Zwei Jahre? Mit diesen Schätzungen dürfte der Chronist sich an der Untergrenze des Vorstellbaren bewegen.

Fast alle der 146 Kinderlieder, darunter viele Klassiker, als auch weniger bekannte, haben ein eigenes, teilweise seitenfüllendes Bild. Doch damit nicht genug, erhielten die im Buch gebildeten Themenkreise wie Jahreszeiten und verschiedene Tätigkeiten noch jeweils einen reich verzierten Rahmen, der ebenfalls von der kaum glaublichen Phantasie und Gestaltungskraft der Künstlerin zeugt.

Die auch durch große Detailfreude gekennzeichneten Illustrationen strahlen durchgängig Wärme und Räumlichkeit aus, wozu die verwendeten Farben, aber auch die an Holzschnitt erinnernden Schraffuren beitragen. Man kann sich nicht sattsehen daran.

Die ganze Fülle des Lebens, nicht nur des Kinderlebens, tritt einem in diesem Buch in Wort und Bild entgegen. Viele Lebensweisheiten sind nicht nur auf Kinder beschränkt, wie: „Froh zu sein, bedarf es wenig”. Oder auch „Trink nicht so viel Kaffee.”

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...was macht die Schweiz?

Die schönsten Schweizer Bücher 1983

Die Jury war für die nächsten Jahre wieder teilweise neu besetzt worden. Der Vorsitz, den im letzten Turnus ein Vertreter des Buchhändler- und Verleger-Verbandes innegehabt hatte, wechselte jetzt wieder zu einem Repräsentanten der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft, dem Arzt Dr. med. Hans Rudolf Bosch. Das war der große Unterschied zur BRD, wo die Stiftung Buchkunst fest in der Hand von Branchenvertretern war.

Allerdings hätte Dr. Bosch etwas mehr Sachkunde in sein aus wenigen Zeilen bestehendes Vorwort einfließen lassen können, in dem er nach echter Honoratiorenart hauptsächlich dankende Worte an alle möglichen Leute von sich gibt.

Nur vom Kostendruck, unter dem das schweizerische Buchgewerbe leide, erfährt man etwas, was über die folgenden nackten Zahlen hinaus geht.

Während die Verteilung auf die 4 Schweizer Regionen etwa gleich blieb, wurden nun aus 291 (Vorjahr: 309) eingereichten Titeln 43 (Vorjahr: 31) Bücher ausgewählt. Der Prozentsatz von fast 15 % (Vorjahr: 10 %) erscheint ungewöhnlich hoch. Jedes siebte vorgelegte Buch eines der schönsten des Jahres? Das konnte irgendwie nicht sein und solche Zahlen sah man auch sonst nicht in den anderen Wettbewerben der deutschsprachigen Länder.

Aus diesen (Dis-)Proportionen resultierte auch eine Änderung des kompletten Formates des Auswahlheftes, weil man nun auch mehr Seiten gebraucht hätte. Die Broschüre wurde also etwas größer. Da man aber gleichzeitig den Seitenumfang um mehr als 25 % reduzierte, brachte man zwar auf einer Doppelseite gleich vier Bücher unter, musste dafür aber deren exemplarisch reproduzierte Seiten so stark verkleinern, dass sie nicht mehr weit von Miniaturbildern entfernt waren – keine gute Idee, die auch nicht lange Bestand haben sollte.

Den neuen Einband gestaltete man edel in einem glänzenden Rotbraun, was aber auch nicht lange blieb, denn den Machern des Kataloges fehlte wohl ein Schweizer Symbol.

Kunsthaus Zürich: Ferdinand Hodler

Kunsthaus Zürich: Ferdinand Hodler

Mit diesem opulenten Ausstellungskatalog, gleichzeitig auch Werkverzeichnis, wird Ferdinand Hodler (1853–1918) gebührend gewürdigt. Hodler war – das wird einem schnell klar, wenn man den Katalog durchsieht – einer der bedeutendsten Künstler um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

In Deutschland ist der Schweizer Maler am bekanntesten geworden durch sein großartiges Werk “Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg von 1813”.

Das Buch in englischer Broschur, auch die technische Qualität der Abbildungen, bietet in jeder Hinsicht soliden Standard. So sah es auch die Jury: “Handwerklich sauber gearbeiteter Katalog.”

Jacques Gilliéron / Paul Schauenberg: La vie étonnante de nos oiseaux

Jacques Gilliéron / Paul Schauenberg:
La vie étonnante de nos oiseaux

Das “erstaunliche Leben unserer Vögel” war einer jener Titel, bei denen man sich fragt, ob der Schweizer Wettbewerb mit solchen Preisträgern nicht unnötig aufgebläht wurde.

Ohne Frage ein gutes Buch mit vielen Vogelportraits, die nach damaligem Standard gut und ansprechend fotografiert waren. Aber was machte das Buch außergewöhnlich und besonders schön?

Die Jury will eine “glückliche Harmonie von Text und Illustrationen” erkennen. Das kann bei den grässlichen blauen Rahmen um die Textblöcke und Überschriften nicht ihr Ernst gewesen sein. Und dann dieser lappige Schutzumschlag...

Erwähnt werden soll noch, dass die Verantwortlichen nicht mal bei diesem Buch, das ganz klar von den Fotos lebt, von ihrer Regel abgingen, bei den Titelangaben nur den Texter zu nennen und den Fotografen irgendwo bei den weiteren bibliographischen Angaben regelrecht zu verstecken.

Wer jemals selbst Vögel fotografiert hat, weiß, welche unendlichen Mühen dahinterstecken, auch nur eine einzige Vogelart zufriedenstellend abzulichten.

Roland Schneider: Meine Bilder. Fototagebuch 19862-1982.

Roland Schneider:
Meine Bilder. Fototagebuch 19862-1982.

Der Schweizer Fotograf Roland Schneider (*1939) legte mit seinem Fototagebuch eine rundum gelungene Werkschau vor, die in mehrere Themenkreise unterteilt ist, begleitet von kurzen, nachdenklich machenden Notizen (leider aber ohne technische Angaben über die verwendete Ausrüstung).

Das Œuvre von Roland Schneider ist breit: von der Landschafts- bis zur Technik-Fotografie. Aber was er auch ablichtete – durchgängig sieht man den Könner, der ein hervorragend ausgebildetes Auge hatte und sein Equipment beherrschte.

Besonderen und dauerhaften Rang hat das umfangreichste Kapitel, die Industrie- und Arbeiter-Fotografie. Das schönste Bild von ganz besonderem Reiz ist jedoch das allererste: der Schimmel unter den blühenden Obstbäumen.

Ebenso große Expertise bewies der renommierte Walter-Verlag aus Olten bei der Herstellung dieses Bandes. Die Jury befand:

“Eine moderne Dokumentation, die durch beachtlich gedruckte Photographien besticht.”

Roland Schneider

Roland Schneider (Foto Franz Gloor)
Abbildung auf Rückseite des Umschlags.

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Hochgeladen am 8. April 2020. Zuletzt aktualisiert am 8. August 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Buch-Galerie Silvia Umla (Auswahlhefte BRD und DDR), Heinzelmännchen im Buchdorf (Hamburg), Antiquariat Ballon + Wurm (Der Sturm), Bücher-Netz, Berlin (Hodler), Le Livre du Chat, Limas (Nos Oiseaux).

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