Das politische Geschehen der Bundesrepublik wurde 1971 weiter durch die Reformtätigkeit der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt geprägt. Heftig umstritten bei konservativen und reaktionären Kräften war vor allem die “Neue Ostpolitik”, die in erster Linie die Anerkennung der durch die Niederlage im 2. Weltkrieg entstandenen Grenzen zu Polen und zur Sowjetunion beinhaltete. Dafür erhielt Willy Brandt im Oktober 1971 den Friedensnobelpreis. Brandt befand sich in diesen Jahren auf dem absoluten Höhepunkt seines Ansehens.
Beachtlich war auch das weitere Vordringen der Linken, die sich seit der Studentenrebellion in mehrere Strömungen gespalten hatte. Bedeutend war die kleine terroristische Gruppierung RAF sowie auf der anderen Seite die zahlenmäßig ungleich stärkeren, friedlichen, aber strikt marxistisch ausgelegten Richtungen, die auf ihrem “Marsch durch die Institutionen” vor allem in der SPD, den Gewerkschaften und sehr stark an den Hochschulen an Einfluss gewannen. Man sollte das auch an den Veröffentlichungen auf dem Buchmarkt, selbst im Bereich der “schönen Bücher” deutlich merken.
Auf dem hier besprochenen Segment des Buchmarktes erkennt man Folgendes: In der Bundesrepublik setzen sich “modernistische” Trends fort. Man geht einen Sonderweg, indem man sich von den herkömmlichen Kriterien von “schön” zumindest partiell löst und stattdessen auffällige, neuartige, experimentelle Veröffentlichungen gezielt fördert. Die DDR stagniert und wirkt eher rückwärtsgewandt. In Österreich wird weiterhin das gediegene und “schöne Buch” gemacht. Die Schweiz lag in diesem Jahr leider nicht vor.
Sehr aufschlussreich ist ein Vergleich der prämierten Veröffentlichungen zum 500. Geburtstag von Albrecht Dürer, der natürlich auf dem Buchmarkt ausgiebig gefeiert wird. Der BRD-Wettbewerb zeichnet einen Katalog einer gigantischen, ressourcenfressenden Ausstellung aus. Der Katalog hat ein tolles, dreidimensional wirkendes Umschlagbild, leider angebracht auf einem zwar “innovativen” (was man damals noch nicht sagte), aber minderwertigen Softcover-Material.
Die DDR bringt mit “Deutsche Kunst der Dürer-Zeit” einen (natürlich gebundenen) Ausstellungskatalog, thematisch gesehen wohl auch der Not gehorchend, dass man kaum eigene Dürer-Werke hatte. Am traditionellsten ist der österreichische Beitrag “Die Dürer-Zeichnungen der Albertina”, ein Werk, das durch eine über 100-seitige Einleitung eher abschreckend wirkt, aber viele sehr schöne Zeichnungen enthält, die man nicht nach Nürnberg geben wollte.
Bei Gestaltung und Druckqualität wurde vor allem bei den Spitzenprodukten der BRD und Österreichs ein Stand erreicht, der in den folgenden Jahrzehnten nicht überboten werden konnte. Das Buchdesign war in der Jetzt-Zeit angelangt, auch was den Geschmack betraf. Man erkennt, welche Umwälzung die Jahre um 1970 gebracht haben. Lediglich eine durchgängige Farbigkeit der Illustrationen war 1971 aus technischen und kostenmäßigen Gründen noch kaum möglich.
Die fünfzig Bücher 1971
Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main
Man versuchte, die Bedeutung des Wettbewerbes zu steigern, indem er „unter die Schirmherrschaft des Herrn Bundesministers des Inneren, Hans Dietrich Genscher” gestellt wurde.
Das Cover ist in Fortsetzung des vorjährigen Heftes wieder
Op Art. Der Korridor, der auf den vor tiefrot glühendem Hintergrund gelegten Titel führt, erinnert an den Film „Odyssee 2001". Die Lesbarkeit des Titels ist nicht optimal.
Das innovative Seitenlayout sieht sehr gut aus und ermöglicht es, mehr von den Büchern zu zeigen als bisher. Die Reproqualität der Buchseiten wird besser, ist aber teilweise viel zu dunkel geraten (z. B. Dürer).
Das Papier ist wie üblich toll. Die Klebebindung ist hingegen sehr schlecht. Schon bei einmaligem Blättern löst sich der Buchblock vom Umschlag. So sollte es natürlich nicht sein.
Neu ist der Zusatz auf der Titelei: „Bewertet nach Satz Druck Bild Einband.” Das wurde wohl erforderlich, weil man sich seit dem Jahre 1970 nur noch nannte: „Die fünfzig Bücher” und nicht mehr „die schönsten Bücher”.
Wiederum ist irritierend, dass die Zahl 50 nur ein Slogan ist, da tatsächlich nur 49 Bücher (von 423 eingereichten) ausgezeichnet wurden – als ob die Kriterien so weit objektivierbar waren, dass man nicht noch eins hätte finden können. Immerhin kam man dem Ziel näher, denn letztes Jahr waren es nur 41 Preisträger.
Das Vorwort von Hans Peter Willberg, Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst, ist konkret und detailliert, wenn auch aus der Sicht „herkömmlicher” ästhetischer Prinzipien nicht unbedingt erfreulich. Nochmals, wie bereits im Vorjahr, wird die Richtungsänderung des bundesdeutschen Wettbewerbes beschrieben. Zitiert wird ein Satz aus dem Wettbewerb des Jahres 1967, als noch „das nach allen Regeln der Kunst solid gemachte Buch” im Vordergrund stand. Das „vielleicht noch ungesicherte Experiment, der avantgardistische Bildumbruch” war damals noch kaum vertreten. Nun dränge die gewünschte Richtung auf breiter Front vor – ganz deutlich soll dies durch die von der Jury (erneut fehlen die Funktionsbezeichnungen der Mitglieder) vorgenommene Auswahl gefördert werden. Immerhin wurden im Vergleich zum Vorjahr weniger Bücher mit „experimentellem” Satzspiegel ausgezeichnet.
Willberg glaubt, aus den Entwicklungen in Gestaltung und Technik, wie sie im Wettbewerb zu beobachten sind, auf Tendenzen des gesamten Buchmarktes zu schließen zu können (wie es auch die Grundthese der vorliegenden Website ist).
Weiterhin im Vormarsch waren das nach Ansicht von Willberg begrüßenswerte broschierte Buch (siehe unten), ganz klar auch der Offset-Druck (mit dem 40 von 49 Büchern gedruckt wurden) und der Filmsatz (20 von 49).
Im Wettbewerb machte sich ein starker Einfluss des Ehepaars Willberg bemerkbar. Hans Peter Willberg (Hochschullehrer, Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst, Sekretariat der Jury) brachte den Wettbewerb in eine akademisch und ideologisch angehauchte Richtung, die er bereits im letzten Jahr explizit beschrieben hatte: weg vom bestimmenden Auswahlkriterium „schön”. Dass zwei Bücher ausgezeichnet wurden, die Willberg selbst gestaltet hatte, störte scheinbar nicht weiter. Seine Frau Brigitte besorgte das Umschlag-Design des Auswahlheftes.
Inhaltlich sind es neben den klassisch bildungsbürgerlichen Themen, auf die im Wettbewerb später ebenfalls verzichtet werden sollte, die ins Zeitumfeld passenden Schwerpunkte: Sex, linke Politik (auch die Kinderbücher werden immer sozialkritischer) sowie zum Medium Buch passend: moderne Grafik. So hat man alleine zwei Werke mit Collagen ausgezeichnet, leider beide im Taschenbuch-Format, das von der Stiftung Buchkunst, hinter der damals vor allem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die deutsche Druckindustrie standen, aus durchsichtigen Gründen massiv propagiert wurde. Gebundene Werke werden hingegen als “bibliotheksgerecht” abgekanzelt.
Neu auf dem Buchmarkt ist das Interesse am Vormärz und der 1848er Revolution, die nach langer Vernachlässigung erst in den 1970er und 1980er Jahren etwa auch im Bereich des Liedes wieder starke Beachtung fanden.
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“schöne Buchkunst”? “experimentelle Gestaltung”? “avantgardistisches Layout”?
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Typisch für die damalige Zeit ist ein Titel wie „Literatur im Klassenkampf”, ein Signal für die fortschreitende Durchdringung „bürgerlicher” Wissenschaften durch linke Theorien an den Universitäten. Als Buch langweilig gemacht. Leicht gilbendes Papier (in den obigen Abbildungen aufgehellt), Seiten über Seiten Buchstabenfriedhöfe. Rätselhaftes (nicht näher bezeichnetes) Titelbild von George Grosz. Auf „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!” marschieren alle, nicht nur der kommunistische Arbeiter, zum Klassenkrieg.
Die weniger marxistischen als leninistischen Thesen des Readers sind haarsträubend. “Mehr noch als die Geschichte wird die Literaturgeschichte nach den Bedürfnissen der herrschenden Klasse geschrieben”, so der Verlag im Klappentext.
“Lenin hatte 1918 bemerkt, dass es im Gegensatz zu Russland in den westeuropäischen Ländern ‘schwieriger’ sei, ‘die Revolution zu beginnen, weil sich dort der hohe Grad der Kultur gegen das Proletariat auswirkt und die Arbeiterklasse sich in Kultursklaverei befindet’ (Lenin, Bericht über die gegenwärtige Lage, 27. Juni 1918).” Damit beginnen die beiden Herausgeber des Bandes, beide bei Erscheinen 27 Jahre alt, examinierte Germanistikstudenten und wissenschaftliche Mitarbeiter an der FU Berlin, ihr fast 40seitiges Vorwort, bleiben dem eingeschlagenen Proseminar-Niveau auch treu und enden mit der Forderung nach dem “konkreten Einsatz von Literatur im Klassenkampf”. So las man das zu diesem Zeitpunkt nicht mal mehr in der DDR.
Und Adorno musste man als linker Intellektueller einfach im Bücherschrank stehen haben, egal wie unlesbar sein Sprachduktus auch war. Aber ist die bei der Büchergilde erschienene Auswahl seiner Schriften mit dem fragwürdigen Schutzumschlag (was will der Gestalter Juergen Seuss mit der Farbe Grün sagen?) „schön” oder sonst in irgendeiner Art herausragend? „Experimentell” ist die Umschlaggestaltung allemal.
Und „provokativ” war sicher die Auswahl des Titels „Blue Movie” von Andy Warhol („der ungekürzte Dialog mit über 100 Fotos” aaahh...), ein Buch, das man kaum anders als Pornographie bezeichnen kann. Abgebildet wurde eine sehr explizite Stelle mit dem Text: „L***** du mir ein bisschen die F****?” Auf der gegenüberliegenden Seite ein alternativer „Seelsorgereport”. Für die Vielfalt war wenigstens gesorgt.
Alles in allem scheint in dieser Zeit im bundesdeutschen Wettbewerb “Anspruch” zunehmend neben “Qualität” gestellt worden zu sein, um das Mindeste zu sagen.
Albrecht Dürer 1471 1971
Die Dürer-Ausstellung in Nürnberg zum 500. Geburtstag des vielleicht bedeutendsten deutschen bildenden Künstlers setzte bei über 700 genauestens beschriebenen Exponaten gewiss Maßstäbe. Gerade in Nürnberg sollte 25 Jahre nach dem Krieg das neue Deutschland (gemeint war natürlich nur die Bundesrepublik) als das humanistische, sich seiner Geschichte und deren positiven Seiten bewusste Land gezeigt werden. Die Ausstellung (heute würde man sagen: das „Event”) wurde als staatstragendes Ereignis zelebriert. Es konnten Bundespräsident Gustav Heinemann als Schirmherr sowie Bundeskanzler Willy Brandt als 1. Vorsitzender des Kuratoriums gewonnen werden. Wie viel Kunstexpertise die beiden Herren allerdings einbrachten, ist nicht bekannt.
365.000 Besucher kamen damals, ein Rekord für Deutschland und in Nürnberg bis auf den heutigen Tag (2017) nie mehr erreicht.
Es gab aber auch Kritik. Tatsächlich ist es erstaunlich, dass einige der bedeutendsten Werke Dürers fehlten. Eine Werkschau ohne die Apokalyptischen Reiter, ohne das Rasenstück, auch ohne den Hasen, ist doch nur sehr lückenhaft.
Der innere Strukturierung des Kataloges ist verwirrend bis zur Hoffnungslosigkeit. (Ähnliches wurde von der Ausstellung behauptet.) Dass in der Einführung vielfach auf Werke verwiesen wird, die in Ausstellung und Katalog nicht vorhanden sind, ist schwer nachvollziehbar. Die vielfach referenzierte, teils kryptische Systematik ist nur für Kunsthistoriker verständlich, genauso wie Teile des Textes.
Hervorragend gelungen sind Gestaltung und Druck. Ob die Farbabbildungen einen Tick mehr Sättigung vertragen hätten, ist ohne Vergleich mit den Originalen (und dies über 500 Jahren nach ihrer Entstehung) schwer zu entscheiden.
Zum Einband: Die Illustration ist ihrer Zeit weit voraus. Die in Farbumkehr weiß über das Selbstportrait gelegten Skizzen Dürers geben dem Bild einen phantastischen 3D-Effekt. Genial z. B. auch, wie die weißen Schädelrundungen der zweiten Reihe genau die Augenhöhlen markieren. Besser geht es, auch heute, wirklich nicht.
Alles wird aber durch das minderwertige Material des Einbandes verdorben, das sehr stark gilbt (obwohl angeblich „holzfrei”) und sich, was die Jury zumindest hätte bemerken müssen, extrem nach außen aufwellt. Zu allem Überdruss löst sich auch noch die auf dem Einband hauchdünn aufgebrachte Folie schon bei der kleinsten Berührung, so dass es unangenehm ist, das Buch herumzutragen, welches allerdings der Sinn eines Ausstellungskataloges ist. (Eine gebundene Version erschien erstaunlicherweise nicht.)
Wie kann man ein Buch mit solchen handwerklichen Fehlern auszeichnen? Wohl nur mit den oben referierten „neuen Richtlinien” der Stiftung Buchkunst.
Tankred Dorst: Sand
Dieses Paperback ist begeisternd in der Gestaltung und tief beeindruckend im Inhalt.
Der Dramatiker Tankred Dorst (1925–2017) zeigt in der Umsetzung der letzten Monate des Attentäters Carl Sand wahre Genialität. In einer Verbindung und tiefen Durchdringung von dokumentarischen Fakten sowie imaginiertem Geschehen schafft es der Autor, in seinem entstandenen Szenarium das historische Geschehen so lebendig werden zu lassen, dass es geradezu atemberaubend und spannend wie ein Thriller ist.
Beispielhaft und heute noch modern und aufregend ist die Gestaltung des Buches durch Hannes Jähn, Wieland Heitmüller und Norbert Kleiner.
Zum historischen Hintergrund: Der Student Carl Sand ermordete am 23. März 1819 in Mannheim den als reaktionär geltenden Schriftsteller August von Kotzebue. Die Tat führte zur Verabschiedung der repressiven Karlsbader Beschlüsse.
Nur noch wenig bekannt ist das Attentat des Idsteiner Apothekers Carl Löning auf den Nassauischen Regierungspräsidenten Carl von Ibell am 1. Juli 1819 in Bad Schwalbach. Ibell überlebte allerdings. Die Schilderung des Kampfes zwischen Täter und Opfer in den Nassauischen Annalen von 1874 ist ebenso spannend zu lesen wie das Drehbuch von Dorst.
Beide Taten waren es, die “Karlsbad” verursachten.
Tankred Dorst lernte übrigens bei den Dreharbeiten zum Film “Sand” seine Lebensgefährtin Ursula Ehler kennen. In einem Interview sagte er zum Zusammenleben mit Ursula:
“Unser Leben ist ein Gespräch.”
Theodor W. Adorno: Eine Auswahl
Das Buch ist ansprechend gemacht, vor allem das grau-melierte Leinen und der pech-schwarze, an Textil erinnernde Vorsatz gefallen. Aber der Versuch, mit dem Schutzumschlag den Philosophen der Frankfurter Schule zum Pop Star zu machen, ist doch fragwürdig.
Zu den Texten, sozusagen „Adorno revisited”. Die Sprache ist unzugänglich bis zur partiellen Unverständlichkeit.
Es handelt sich bei Adornos Ausführungen um ein in sich geschlossenes, unanfechtbar scheinendes Theoriegebäude, aus dem heraus humorlos, staubtrocken und rigoros argumentiert, eher deklamiert wird.
Auffällig ist ein gewisser herablassender Ton gegenüber dem Leben der bestenfalls „halbgebildeten” Massen (exemplarisch etwa S. 311 oben). Selbst der Jazz wird als primitive Wiederholung immer derselben einfachen Schemata hingestellt.
Gisela Bergsträsser:
Darmstadt. Eine bürgerliche Residenz.
Ein hübsches Büchlein legte der Hermann Emig Verlag aus dem idyllischen Amorbach da auf. “Kleine Auflagen mit großer Sorgfalt hergestellt” – dabei waren 7000 Stück gar nicht so wenig.
Die Kunsthistorikerin Gisela Bergsträsser (1911–2003) publizierte in den 60ern und 70ern einiges aus dem regionalen Bereich um Odenwald und Spessart, immer in derselben Machart wie das vorliegende “Darmstadt”.
Hauptsächlich geht es um die kulturelle und bauliche Entwicklung Darmstadts seit Beginn des 19. Jahrhunderts.
Das Buch ist schön und recht aufwendig illustriert. Stadtplan, Abbildungsverzeichnis und vor allem eine formale und inhaltliche Gliederung hätten jedoch gut getan.
Wolfgang Weyrauch: Ein Clown sagt
Das buchbinderisch sowie durch farbiges Papier und monochrom verfremdete Fotos graphisch an für sich ansprechend gemachte Buch wird abgewertet durch zwei Mängel. Zum einen durch den auf dem Einband unschön über das Gesicht gelegten Text.
Vor allem aber werden häufig im Blocksatz die Wörter einer Zeile so dicht zusammengedrängt, dass diese keinen größeren Abstand als die Buchstaben im Wort haben. Wie man ein Buch mit solch einem fehlerhaften Satz auszeichnen kann, ist unergründlich.
Auch inhaltlich bleibt der Text in weiten Teilen rätselhaft und wirkt in seinem Klamauk und seiner irgendwie linken Sozialkritik bemüht. Der ganze Stil der Verfassers scheint fahrig und ziellos.
Wolfgang Weyrauch (1904–1980) schrieb schon seit der Weimarer Republik, belastete sich während des „Dritten Reiches” durch aktive Mitarbeit auch in führenden NS-Publikationen, was er nach 1945 aber gerne verschwieg, als er für einen „radikalen Neubeginn” der Literatur eintrat.
Der Wettbewerb in der DDR
Die schönsten Bücher der DDR 1971
Das Auswahlheft kommt wieder mit ellenlangen Ausführungen in Form eines viersprachigen Vorwortes, bevor ab S. 53 die Bücher vorgestellt werden.
52 von 250 eingereichten Titeln wurden von der öffentlich tagenden Jury ausgesucht, die auch 31 „schönste Schutzumschläge der DDR” benannte (unsinnigerweise werden diese wie im Vorjahr nicht abgebildet).
Viel hält man darauf zugute, gemäß den Richtlinien der UNESCO zu arbeiten, welche zum „Internationalen Jahr des Buches” vorgegeben habe und zitiert feierlich: „Stets sollten sich die Buchhersteller um bestmögliche Qualität in Gestaltung und Bearbeitung bemühen.” (S. 5). Für die DDR war es schon vor der Aufnahme in die UNO eine Sache der Ehre und des Selbstverständnisses, übergeordnete internationale Bezüge herauszustellen.
Entgegen der Richtung, die neuerdings der BRD-Wettbewerb eingeschlagen hatte, ging es in der DDR nach wie vor um das klassisch „schön gestaltete Buch”. Allerdings wurde auch weiterhin das Bemühen herausgestellt, „in erster Linie dem Massenbuch zu dienen” (S. 8-9). Darin liege „das Wesen der sozialistischen Buchkunst”. Ansonsten bleiben im Vorwort ideologische Kommentare fast gänzlich aus, was wohltuend ist. Interessant ist immerhin, dass im selben Jahr in der BRD ebenfalls dem günstig herzustellenden und gut zu verkaufenden Softcover eine Lanze gebrochen wurde.
Insgesamt ist man mit der Entwicklung auf allen Gebieten, bei punktuellem Verbesserungsbedarf, sehr zufrieden. Inhaltlich sei im Bereich der Belletristik ein starker Anteil der „sozialistischen deutschen Gegenwartsliteratur” zu verzeichnen. Dennoch wird vieles aus dem Bereich der Romantik und der Aufklärung ausgezeichnet, und natürlich auch Goethe.
Im Bereich des Gestaltung bleibt man sehr traditionell, wahrscheinlich auch aus Kostengesichtspunkten. Nicht nur sieht man mehrmals den Grafikstil der 50er Jahre, es wurden auch mehrere Neuerscheinungen mit Holzschnitten ausgezeichnet. Eine Ausnahme bildet das Cover des Literatur-Almanach, aber auch nur dieses.
Literatur 71 Almanach.
25 Jahre Mitteldeutscher Verlag.
Der Mitteldeutsche Verlag war der bedeutendste belletristische Verlag der DDR. In ihm veröffentlichten vor allem “junge Autoren” und auch im Westen viel gelesene Schriftsteller wie Volker Braun und Christa Wolf.
Anlass der Veröffentlichung war nicht etwa das eigene Jubiläum, sondern der “25. Jahrestag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands”, deren “jahrzehntelanger geduldiger Unterstützung” ein “besonderer Dank” gebühre.
Wem diese unterwürfige Ehrerbietung noch nicht reicht, der möge sich die Einleitung zu Gemüte führen, in der gröbste leninistische Literaturtheorie verhackstückt wird.
Der Band an sich, der sich schwer vom befremdlichen Rahmenwerk des Inhaltes lösen lässt, ist hübsch und gediegen gemacht, sieht man von den Autoren-Portraits im Passbildstil ab. Interessant sind die Randvignetten vom bekannten DDR-Karikaturisten Thomas Schleusing in ihrer Mischung von Biederkeit und Frivolität, wie sie für die DDR-Kunst ganz typisch war. Ungewöhnlich modern der Einband.
Ernő Vajda: Visionen eines Botanikers
Der Ungar Ernő Vajda (1889–1980) war einer der bedeutendsten Pflanzenfotografen des 20. Jahrhunderts.
Der VEB Verlag der Kunst Dresden würdigte ihn mit dieser Werkschau, die von Anfang der 30er bis in die 60er Jahre reicht.
Das Buch stellt, da muss man der Jury Recht geben, eine herausragende Leistung dar, sowohl drucktechnisch, von der gesamten Gestaltung her als auch die Begleittexte betreffend. Die Reproduktionen sind gestochen scharf.
In perfekter Weise verbindet Ernő Vajda wissenschaftliche Exaktheit mit Ästhetik. Vor allem die Einbindung der Pflanzen – ob Wasserlinse, Farn oder mächtige Eiche – in ihre unmittelbare Umwelt gelingt in perfekter Weise. Diese natürliche Umgebung ist auf den Bildern oft sehr rauh. Vom Brackwasser, abgestorbenen Flussarmen, Salzböden bis hin zu Hochgebirgsfelsen kommt hier alles vor, was an unwirtlichen Standorten vorstellbar ist. Dennoch entfalten Pflanzen hier ihren Lebenswillen, ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Schönheit.
Der Fotograf, der Voigtländer Mittelformat einsetzte, arbeitete durchgängig mit Unterbelichtung, um den Aufnahmen einen noch mehr künstlerischen, fast reliefartigen Eindruck zu verschaffen. Ob man das mag, ist Geschmackssache.
Dieses wundervolle Buch erstand ich in praktisch neuwertigem Zustand bei einem Händler aus Dortmund für 2,50 €.
Ein Blick nach Österreich
Die schönsten Bücher Österreichs 1971
Österreich stellte jetzt seinen Katalog dauerhaft auf ein quadratisches Format um. (Der silbrige Einband wurde aber 1974 wieder abgeschafft.) Durch das neue, an sich unhandliche Format gewann man mehr Platz, den man großzügig nutzte, um die Preisträger auf jeweils einer Doppelseite vorzustellen. Layout und Druckqualität sind ganz hervorragend.
Der österreichische Buchmarkt war überraschend klein. Nach der offiziellen Statistik gab es nur 2336 Neuerscheinungen, was sogar einen Rückgang um 11 % gegenüber 1970 und sogar um 21 % gegenüber 1969 bedeutete.
Analog dazu sank auch die Anzahl der beim Wettbewerb eingereichten Bücher. 1971 waren es 89 Titel gegenüber 94 im Vorjahr und 103 im Vorvorjahr. Die Jury beklagt im kurzen Vorwort die geringe Beteiligung am Wettbewerb, hätte sich aber auch die Gründe selbstkritisch überlegen können.
14 Bücher wurden ausgewählt. Die Spitzenwerke erhielten wieder Staatspreise und Diplome des Wirtschaftsministeriums. Es blieb bei der seit Ende der 60er Jahre erreichten Mischung von Tradition und Moderne.
Dass jetzt auch ein Buch (wie üblich: unlesbar) des umstrittenen Thomas Bernhard ausgezeichnet wurde, war sicher auch ein Zeichen der Jury, wie fortschrittlich man war.
Aber sehr kurios ist doch der mit 6 von 14 ausgewählten Titeln sehr hohe Anteil von Bilderbüchern für Kinder.
Robert Waissenberger: Die Wiener Secession
Die Wiener Secession, also die um die Jahrhundertwende gegründete Künstlervereinigung, die hauptsächlich durch den Jugendstil bekannt wurde, bietet bis heute (2017) ein schier unerschöpfliches Reservoir für Buchveröffentlichungen. Was sollte sich auch für den Text besser eignen als all die Geschichten um Gustav Klimt und seine Gefolgsleute, und was würde sich für Illustrationen besser eignen als die ornamentalen und luxuriösen Bilder der Secession?
Das Buch im Verlag Jugend und Volk, Wien, ist geradezu überwältigend. Alles stimmt, alles ist perfekt vom wundervollen, schweren Papier, farbigen Trennblättern, grandiosem Umschlag, bis hin zu den handgeschriebenen Kapitelüberschriften und Seitenzahlen. Die vielfach in Farbe gehaltenen Abbildungen sind von hervorragender Qualität. Das war jetzt der neueste Stand: Ein ganzes Buch wurde im Offset-Verfahren gedruckt. Text und Farbreproduktionen mussten nicht mehr getrennt werden und kamen auf dasselbe Papier. Die Farbbilder wurden nicht mehr eingehängt oder in einem eigenen Buchteil untergebracht. Trotzdem kostete der Band natürlich richtig Geld. Verlangt wurden 780 Schilling, was etwa 110 DM entsprach.
Insbesondere informiert die Veröffentlichung auch eingehend darüber, dass die Wiener Secession sehr viel mehr zu bieten hatte als Gustav Klimt oder Egon Schiele. Der Schwerpunkt liegt dabei, da waren die Macher gut beraten, auf der klassischen Zeit von 1898 bis etwa 1905. Sehr klug war es auch, sich nicht nur auf die eigentlichen Mitglieder zu beschränken, sondern auch das Umfeld miteinzubeziehen. So wurde auch der phantastische Künstler Giovanni Segantini aufgenommen.
Angelika Kaufmann: Ein Pferd erzählt
Angelika Kaufmann (*1935) ist eine bekannte österreichische Illustratorin von Kinderbüchern. Bei „Ein Pferd erzählt” übernimmt sie Bild und Text.
Schön sind der Umgang mit Farbe und der Bildaufbau (sieht man davon ab, dass bei der Herstellung des Einbandes die Schnauze des Pferdes auf die Innenseite gebogen wurde), aber man muss den Stil der Kaufmann auch mögen. Die Tiere werden nicht in ihren natürlichen Umrissen und Proportionen dargestellt. So sieht man das Pferd meist von der Seite mit zwei Beinen. Kindgerecht?
Das Ende der Geschichte, als das Pferd nach jahrelangem Arbeiten und Abrackern und auch noch Unterhalten der Kinder von einem Abdecker abgeholt wird und das Mädchen (das nie zusammen mit dem Pferd älter wurde) sich in Träumen wiegen darf, dass das Pferd jetzt in den Tierhimmel kommt, stimmt bedenklich.
Das Buch wurde auch auf der Biennale für Illustration in Bratislava 1973 ausgezeichnet.
Hochgeladen am 10. August 2017; zuletzt aktualisiert am 28. Juli 2023.
Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Buch-Galerie Silvia Umla (Auswahlhefte BRD und DDR), Antiquariat Armebooks (Weyrauch), KULTur-Antiquariat (Klassenkampf), Galerie-Antiquariat Schlegl (Dürer), Medium Buchmarkt (Literatur 71), Cottage Antiquariat (Auswahlheft Österreich), Antiquariat Weinek (Secession).