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1988 mehrten sich die Vorzeichen der großen kommenden Veränderungen in der sozialistischen Welt, zum Beispiel durch die von Michail Gorbatschow verkündete offizielle Abkehr der Sowjetunion von der Breschnew-Doktrin. Damit hatten die anderen Ostblock-Staaten “freie Hand” bei der Gestaltung ihres politischen Systems. Die DDR-Führung nutzte diese Möglichkeit nicht und sollte im nächsten Jahr spüren, was der wohl berühmteste Ausspruch von Michail Gorbatschow bedeutete: “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.”

In der Bundesrepublik war die errungene Legalisierung von Radio Dreyeckland ein erster Meilenstein zur völligen Wandlung der Medienlandschaft, in der zukünftig private Rundfunk- und Fernsehanstalten eine große und teils auch dominierende Rolle spielen sollten.

Mit der Einführung des Dax (Deutscher Börsenindex) fing ein Börsenhype an, der einige Jahre später mit Einführung und Verbreitung des Internet den Aktienhandel von einer Veranstaltung, an der nur mit Spezialwissen ausgestattete Banken und Börsenhändler teilnahmen, zu einem regelrechten Volkssport machen sollte, vor allem seit 1996 mit einer der geschicktesten Marketingkampagne in der deutschen Wirtschaftsgeschichte die “T-Aktie” plaziert wurde, nachdem ein Jahr zuvor die Deutsche Bundespost zerschlagen worden war.

Die DDR-Eiskunstläuferin Katarina Witt, eine der überragendsten Figuren des deutschen Sports, machte erneut Furore mit ihrem Sieg bei der Olympiade in Calgary, nachdem sie schon 1984 in Sarajevo gewonnen hatte. Viele kommerziell erfolgreiche Jahre bei Shows wie “Holiday on Ice” folgten. Nach ihrer Sportkarriere fiel “Kati” Witt noch zwei Mal auf. Als sie 1998 als Nacktmodell im “Playboy” auftrat und für einen weltweiten Ausverkauf des Edelporno-Heftes sorgte, und als sie 2021 mit Äußerungen zur “Corona”-Politik bewies, dass ehemalige DDR-Bürger durchaus kritisch und selbständig denken können: “Die Ähnlichkeit ist verblüffend, was man im Namen ‘zum Wohle des Volkes’ so kollektiv, früher im Sozialismus und gegenwärtig im Kapitalismus, in so kleinem Kreise einfach durchsetzten kann.” Auffällig dabei auch die nach wie vor linke Wortwahl: sie sagt nicht “in der Marktwirtschaft” oder “in der freiheitlichen Demokratie”, sondern “im Kapitalismus”. Recht so, Kati. Ich bin stolz auf Sie.

Die schönsten Bücher
der Bundesrepublik Deutschland 1988

1988 gelang es der Stiftung Buchkunst, einen der unpraktischsten und unmöglichsten Kataloge des gesamten Wettbewerbes seit 1951 zu produzieren. Wenn man den Katalog aufschlägt, muss man ihn um 90° drehen, da er hochkant über die aufgeschlagene Doppelseite gesetzt ist. Aber wie blättert man jetzt? Sollte man sich den Arm dabei verrenken? Lästig auch dabei, wie Teile des Seiteninhalts im straff geklebten Innenfalz fast verschwinden.

Mag das noch als spleen durchgehen, ist eine kleine und feine Univers-Schrift auf dunkelrotem Hintergrund eine Zumutung, da es an der Grenze zur Unlesbarkeit liegt. (Das Rot ist dunkler als es auf der Abbildung des Einbandes erscheint. Der Sensor der D700 weigerte sich, das Rot im Kontrast zum Grau der Umgebung anders als hell darzustellen.)

Jetzt wollen wir doch mal nachsehen, wer in diesem Jahr für das Design zuständig war. Aha, da haben wir’s schon. „Studenten der Fachhochschule für Gestaltung, Hamburg. Unter Leitung von Professor (soweit hatte er es jetzt gebracht) Juergen Seuss.”

Wer so eine Gestaltung verbrach – wie um alles in der Welt wollte der Bücher von anderen bewerten? In der Zukunft würde man allerdings noch mehr solcher Kapriolen sehen. Mehr noch, sie sollten fast zum Standard werden.

Die Einbandillustration zeigt den Ausschnitt eines teilweise ausgefüllten Bewertungsbogens. Es ist erfreulich, das mal zu sehen und sollte beweisen, wie detailliert und objektiviert das ganze Verfahren war. Tatsächlich erkennt man schon beim ersten Blick, wie (unvermeidbar) subjektiv die Beurteilungen waren. In diesem Fall störten den Juror unter anderem halbfett gesetzte Kapitälchen, der Zeilenabstand des Rückenschildes, die Farbe des Schutzumschlages, irgendwas „Unschönes” im Zusammenspiel der lebenden Kolumnentitel (Seitenzahl unter Angabe eines Titels der Seite) mit dem Einzug der ersten Absatzzeile.

Im Innenteil des Katalogs sieht man dann erstmals einen kompletten (leider leeren) Fragebogen. Als Außenstehender erkennt man leicht, dass mit diesen Checklisten ein Buch als handwerkliches Produkt beurteilt werden kann, dass aber die Kategorie „Schönheit” so ungreifbar, so nicht objektivierbar und so zeitgebunden ist, dass durch die Hintertür subjektive Einschätzungen und Werturteile der Juroren ihr Urteil maßgeblich beeinflussen müssen.

Wie subjektiv die Beurteilungen waren, geht auch aus dem Bericht von Wolfgang Rasch selbst hervor, denn es habe „bei den Diskussionsgängen wieder bis in die Nachtstunden erregte Debatten und unterschiedliche Abstimmungsergebnisse” gegeben (S. 13).

Neu war dabei, dass die Sitzungen von einigen Journalisten sowie Studenten „beobachtet” werden konnten. Welchen Presseorganen die Journalisten zugeordnet waren und wie man in den Genuss einer Einladung kam, erfährt man aber nicht.

Im Vergleich zum Vorjahr wurde erfreulicherweise wieder eine deutliche Reduktion der Vorworte durchgeführt.

Als eine weitere Veränderung ging man nun dazu über, die drei Hauptpreise nicht mehr nachträglich im Folgejahr zu vergeben, sondern sie gleich aus den prämierten Titeln des aktuellen Jahrgangs herauszuziehen. 1988 brachte man also zwei Jahrgänge mit den Hauptpreisen. (Für 1989 wurde allerdings kein 1., dafür aber je zwei 2. und 3. Preise vergeben.). Positiv war, dass die Hauptpreise seit 1987 auch begründet wurden (hauptsächlich „bestechen” sie) – aber das war immer noch viel zu wenig.

Die „Lobenden Anerkennungen” wurden zum zweiten Mal vergeben und für 1989 wurde sogar eine vierte Preiskategorie angekündigt, nämlich ein „Förderpreis für junge Buchgestalter”, mit drei Preisen je 4-stellig dotiert. Hierbei sollten vor allem kreative und mutige „Konzeptionen” belohnt werden. Die „technische Ausführung” dürfe aber „nicht generell fehlerhaft” sein – so etwas drollig Wolfgang Rasch von der Stiftung Buchkunst. Die „Lobenden Anerkennungen” und der Förderpreis erschienen eigentlich, abgesehen vom Alter der Buchdesigner und der Dotierung, zumindest teilweise redundant.

Auf jeden Fall waren die (bis 2001 vergebenen) „Lobenden Anerkennungen” und der Förderpreis für junge, „mutige” Konzeptionen ein Blick in die Zukunft, denn der ganze Wettbewerb sollte sich leider in diese Richtung bewegen.

Waren vier Preiskategorien nicht zu viel des Guten? Dieses Argument konterte Wolfgang Rasch mit dem Hinweis, es gebe auch viele Literatur-, Film- und andere Preise. Nur wurden diese auch innerhalb derselben Branche von jeweils anderen Trägern vergeben. Dass sich in der Stiftung Buchkunst und ihrer Jury ein bestimmtes Milieu aus der Buchbranche versammelte, das immer wieder dieselben ästhetischen, technischen und sonstigen Kriterien anwendete, ob für die Gesamtheit der Preisträger, für die Hauptpreise, für die „Lobenden Anerkennungen”, für die „Förderpreise”, entkräftet die „Beweisführung” von Herrn Rasch doch sehr deutlich. Auf die bedenkliche Teilnahme von Buchdesignern an der Jury oder an die auffällige Nähe zur Büchergilde Gutenberg (die dieses Jahr mit 4 Preisträgern und mit weitem Abstand vor allen anderen Verlagen wieder rund 10 % der Preise absahnte), wurde hier in diesem Projekt schon öfters hingewiesen. Mit jedem neuen Preis verfügte man aber über mehr Geld (ausgenommen die „Lobenden Anerkennungen”). So würde man ab 1989 mit den drei Hauptpreisen und dem Förderpreis immerhin 21.000 DM an dankbare Preisträger verteilen können. Bis 1983 verfügte die Stiftung für diese Zwecke noch über gar kein Geld – da hatte sich in wenigen Jahren ein fundamentaler Wandel vollzogen.

Die Zahl der Einsendungen war mit 606 Titeln wieder rückläufig, blieb aber in dem Bereich, der jetzt seit einigen Jahren zu verzeichnen war (1987: 641; 1986: 544; 1985: 647; 1984: 620). Ausgewählt wurden 46 Titel.

Leider vermisst man wieder Angaben über irgendwelche Trends auf dem Buchmarkt, ob technisch, ob künstlerisch, ob kulturell. Der Chronist hat auch nicht immer die Zeit, das nachzuholen, verweist aber unten bei einem Titel auf eine Weiterentwicklung des Layouts.

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Paul Nadar / William Howard Adams
Prousts Figuren und ihre Vorbilder

Marcel Proust wurde in den 80ern in der intellektuellen Szene irgendwie en vogue. Wer die 5800 Seiten von “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” wirklich las, war fraglich. Aber man hatte 1984 den (völlig missratenen) Film “Eine Liebe von Swann” von Volker Schlöndorff gesehen und glaubte also, man könne also mit dem Namen “Marcel Proust” etwas verbinden.

Die entstehende Nachfrage, auch nach leichterem Proust-Stoff, wurde findig von Verlagen bedient.

Der vorliegende Band ist in jeder Hinsicht sehr wertig und sehr ansprechend gemacht.

Die ausgezeichneten Reproduktionen wurden von der amerikanischen Erstausgabe (1984) übernommen. Gesetzt wurde das schöne Werk bei der Firma Jung aus Lahnau bei Gießen. Ganz besonders angenehm ist auch das 135 Gramm schwere mattgestrichene, cremefarbene Papier von der Hamburger Firma Geese, auf deren 2017 erfolgte traurige Schließung der Chronist letztes Jahr bereits hingewiesen hatte.

Interessant ist es immer, wenn deutsche Titel vom Original abweichen. Das persönliche, auch etwas wehmutsvolle “A Proust Souvenir” (etwa: “In Erinnerung an Proust”) ist dann doch etwas anderes als das sachlich, und fast wissenschaftlich klingende “Prousts Figuren und ihre Vorbilder”. Typisch deutsch.

Aber gegenüber der amerikanischen Originalausgabe (im Bild das kurz nach der Hardcover-Version erschienene Paperback, ebenfalls mit der irisierenden, lichtempfindlichen und schier unmöglich zu fotografierenden Farbe) hat die deutsche Version noch viel mehr Abweichungen aufzuweisen.

Den Jugendstil entfernte man vom Umschlag, machte die Illustration seitenfüllend, was ihr an sich schon eine ganz andere Anmutung gibt und auch einen schönen Kontrast zum Text ermöglicht. Zudem laufen Titel und Verfasser laufen (auch nicht mehr lila, sondern rosa) im sehr stylishen Konturumfluss um Kopf und Oberkörper der “Dame in Rosa” – das war dann schon genial, denn es war auch voller Anspielungen.

Reihenfolge von Texter und Fotograf wurden vertauscht.

Die größte Veränderung betraf aber das Layout, das sehr hell und licht und deshalb sehr modern wirkte. Man vergrößerte sowohl die Seitenränder als auch den Zeilenabstand und wählte auch eine neue, sehr feine Schrift. Außerdem ersetzte man den hässlich wirkenden Flattersatz, in den die Zitate aus der “Recherche” gesetzt waren, durch einen durchgängigen Blocksatz. Das alles ließ sich die Buchgestalterin Elke Dörr aus Riedstadt einfallen.

Noch zwei Tips für diejenigen, die das ganze Werk “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” nicht schaffen:

a) Nicht entmutigen lassen durch “Combray”, den ersten Teil des ersten Buchs “Unterwegs zu Swann”. “Combray” ist der schwierigste und sperrigste Teil des ganzen Werks. Vielleicht anfangen mit ”Eine Liebe Swanns”, dem zweiten Teil dieses Buchs.

b) Man kann auch zunächst den Vorläufer der “Suche” lesen: “Jean Santeuil”. Das sind in zwei Bänden zwar auch 1200 Seiten, die aber in kleine, “praktische” Abschnitte unterteilt sind. Jean Santeuil, das ist derselbe Stil, das sind zum großen Teil dieselben Themen wie in der “Suche”, nur deren extensive Beschäftigung mit männlicher und weiblicher Homosexualität fehlt hier Gottseidank. Da traute sich Proust wohl noch nicht ran.

Auf jeden Fall sollte man den hier vorgestellten Bildband nicht vorab lesen. Es würde viel vom Zauber des Romans verloren gehen.

Djuna Barnes: Paris, Joyce, Paris
Djuna Barnes: Die Frau, die auf Reisen geht, um zu vergessen

Djuna Barnes:
Paris, Joyce, Paris

In der Tat hatte der Wagenbach Verlag, der aus der scharf linken intellektuellen Ecke kam, sein Programm geschickt diversifiziert und eine sehr hübsche Reihe mit Klassikern des 20. Jahrhunderts aufgebaut.

Für die Büchlein der Salto-Reihe wählte man nicht allzu schwere Texte aus, die nicht links sein mussten, aber doch irgendwie anders sein sollten.

Unter anderem verschaffte man sich die Rechte an einigen Texten der exzentrischen, die freie Liebe praktizierenden amerikanischen Schriftstellerin Djuna Barnes (1892–1982) , darunter die beiden abgebildeten Bücher mit Erinnerungen an Paris und an James Joyce. Ausgezeichnet im Wettbewerb wurde “Paris, Joyce, Paris”.

Den kurzen, schnoddrigen Stil muss man mögen. Die Reiseschilderungen erscheinen dem Chronisten jedenfalls oberflächlich und snobistisch.

Die von Rainer Groothuis gestalteten Bücher sind sehr chic und wertig gemacht. Sofort ins Auge fallen natürlich das ungewöhnlich schmale Format (in dem zweiten Titel herrlich mit dem auf extremes Hochformat zurechtgeschnittenen Portrait-Foto harmonierend) und der scharlachrote Leineneinband. Erstaunlich allerdings, dass man es bei Titeln aus derselben Reihe nicht hinbekam, denselben Rot-Ton zu treffen.)

Sehr ansprechend ist die Auswahl der Fotos, bei denen etwas gewagt, aber geschickt Aufnahmen mit der Autorin und andere zeitgenössische Aufnahmen gemischt wurden.

Für den schmalen Umfang (unter 100 Seiten) war der Preis von 19,80 DM recht hoch gegriffen, zeigte aber, dass das neue linke Establishment gut genug verdiente.

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Ein Blick nach Österreich

Die schönsten Bücher Österreichs 1987/88

In Österreich hatte der Wettbewerb 1987 nicht stattgefunden – das erste Mal seit Beginn im Jahre 1952. Immerhin ein einschneidendes Ereignis. Warum das aber so war und weshalb die Auswahl der “schönsten Bücher Österreichs” 1988 wieder aufgenommen wurde, darüber verliert die ohnehin immer sehr wortkarge Jury, die weitgehend unverändert geblieben war, kein Sterbenswort. Das war schon recht eigenartig.

An den Zahlen änderte sich nicht viel, was ebenfalls überraschend war. Denn obwohl es sich um einen Doppeljahrgang handelte, belief sich die Anzahl der eingereichten Bücher mit 93 Titeln im Bereich der Vorjahre bzw. war sogar leicht rückläufig (1986: 99, 1985: 104, 1984: 98). Es wurden auch nur wie (fast) immer 12 Titel prämiert.

Recherchen des Chronisten ergaben, dass sich tatsächlich Titel beider Jahre im Auswahlheft wiederfinden. Möglicherweise war es den wenigen Verlagen, die regelmäßig teilnahmen, den Aufwand und die damit in unbekannter Höhe entstehenden Kosten für eine verdoppelte Einsendung von Büchern nicht wert.

Hanna Egger / Hella Pflanzer: Impressionen aus der Wachau

Hanna Egger / Hella Pflanzer: Impressionen aus der Wachau

Die natürliche Schönheit der Wachau wird durch die Fotos von Hella Pflanzer so wiedergegeben, wie sie am besten zur Geltung kommt. Sowohl klar als auch dezent, sowohl prächtig als auch behutsam.

Der Band ist ein schönes Beispiel dafür, dass gedruckte (oder abgezogene) analoge Fotos dem menschlichen Sehen und Empfinden am nächsten kommen, im Gegensatz zu den hyperrealistischen, übermäßig gesättigten („truer than life”) digitalen Reproduktionen auf den neuen „OLED”- und ähnlichen Bildschirmen.

Hella Pflanzer fotografierte mit Leica R 4 auf Kodachrome Dias. Da eine analoge Kamera im Grunde nichts anderes macht als Blende und Belichtungszeit einzustellen, wäre es interessant, die verwendeten Objektive kennen. Tip des Chronisten ist bei den meisten Bildern das sehr helle und klare, leuchtende Farben hervorbringende Leitz 50mm 1.4 Summilux. Die 50 mm Standardbrennweite entspricht auch am ehesten dem menschlichen Auge und tut ein übriges für die Natürlichkeit der Aufnahmen.

Außer durch den schwarzen Hintergrund, der natürlich sehr effektvoll ist, wird hier vom Layout nichts getan, was von der Wirkung der Fotos ablenken konnte. Sie stehen für sich. Verantwortlich für die gelungenen Reproduktionen war die Firma Tiroler Repro aus Innsbruck.

Otto Mazal: Der Aristoteles des Herzogs von Atri

Otto Mazal: Der Aristoteles des Herzogs von Atri

Der prachtvolle Band im Überformat zeigt in ganzseitigen (!), hervorragend gedruckten Faksimile-Abbildungen eine alte, illuminierte Handschrift aus der Renaissance. Die Illustrationen werden nochmals in Einzelteile (schwarzweiß) zerlegt und genauestens beschrieben, wobei sich ein bunter und lehrreicher Reigen durch die griechische Sagenwelt ergibt.

Bei den Textseiten waren die Buchgestalter so klug, einen besonders breiten Rand sowie großen Zeilenabstand zu wählen. 170 g schweres Papier und einwandfreie buchbinderische Verarbeitung vollenden dieses edle Werk.

Der Verlag überschätzte aber offenbar mit einer Auflag von 3000 den Markt für den Titel. Man erkennt es daran, dass man heute antiquarisch neuwertige Exemplare des ehemals 880 Schilling (rund 125 DM) teuren Buchs für ein paar wenige Euro nachgeworfen bekommt. Eine Schande.

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...was macht die Schweiz?

Die schönsten Schweizer Bücher 1988

Der Katalog war nach wenigen Jahren wieder neu gestaltet worden. Die Titelillustration, ein stilisiertes Buch mit schräger Aufsicht, wirkte gelungen. Lediglich der Effekt der darüber gelegten Schrift vermochte nicht zu überzeugen.

Das um etwa 50 % vergrößerte Seitenformat des Heftes nutzte man leider nicht für wesentlich größere Reproduktionen der Bücher, sondern verschenkte in einem selten unruhigen, gestückelt wirkenden Layout viel Platz für den hell-grüngrauen Hintergrund.

Die Schweiz hatte eine neue Jury unter dem Vorsitz von Paul Hauser vom Schweizerischen Buchhändler- und Verleger-Verband, dem Pendant zu deutschen Börsenverein. Hauser löste nicht nur Rudolf Bosch ab, sondern eine lange Ära, in der die Schweizerische Bibliophilen-Gesellschaft die Jury geleitet hatte.

Außer dem Leiter wurde auch die restliche Jury fast komplett ausgewechselt und gleichzeitig inkl. des Präsidenten von 12 auf 14 Mitgliedern erweitert. Zusätzlich gab es nun eine 4-köpfige Vorjury, die aber von den 226 beim Wettbewerb eingereichten Büchern (Vorjahr: 212) keine Titel aussonderte, sondern nur vorab die handwerkliche Qualität beurteilen sollte.

Im Vorwort erfuhr man nun dankenswerterweise nichts mehr von den Sightseeing-Aktivitäten der Jury, dafür aber einiges, was man anders machen wollte. In forschen Worten stellte Herr Hauser das „neue und straffe Reglement” vor:

„Massgebend für die Beurteilung der Bücher sind insbesondere die Idee und Konzeption, die graphische Gestaltung, die Typographie, die Schönheit und Qualität des Druckes, die Schönheit und Qualität des Einbandes, die verwendeten Materialien, der Gesamteindruck. Der Inhalt eines Werkes wird nicht beurteilt.”

Letzteres wird von allen nationalen Wettbewerben der „schönsten Bücher” behauptet bzw. angestrebt, obwohl jedem klar  ist, dass der Inhalt sich nicht komplett ausblenden lässt und das Urteil unwillkürlich mehr oder weniger beeinflusst.

Alle anderen genannten Punkte sollten auch vorher „massgebend” (in schweizerischer Rechtschreibung) gewesen sein. Was wurde denn sonst beurteilt? Man wird nicht schlau daraus.

Eine Erläuterung schiebt Hauser noch nach. Es kämen „gewisse bisherige ‘Ausgewogenheiten’ nicht mehr zum Tragen.” Was genau gemeint ist mit dieser, die Arbeit seiner Vorgänger diskreditierenden Formulierung, bleibt im Ungewissen. Denn man spricht zum Beispiel von einem „ausgewogenen Schriftbild” und Ausgewogenheit und Harmonie werden allgemein auch als Kriterien für Schönheit angesehen.

Dementsprechend fehlen im Katalog jetzt auch die kurzen Beurteilungen der Preisträger, bei denen häufig Formeln wie “in harmonischer Übereinstimmung”, “im Einklang mit”,  “ansprechende Einheit” usw. verwendet wurden.

Im Endeffekt wurde die Anzahl der Preisträger radikal zusammengestrichen. Gegenüber 29 (1987), 34 (1986) und 43 (1983) kamen jetzt nur noch 16 (!) Titel zur Auswahl. Vor allem die großen Verlage flogen raus. Stattdessen fand man jetzt vorwiegend Privatpressen, Kleinstverlage, Galerie-Drucke und ähnliches. Es war schon sehr merkwürdig, was da passierte.

Auch Angaben über die Verteilung der eingereichten oder der prämierten Titel auf die sprachlichen Regionen der Schweiz fehlen nun gänzlich. Damit konnte man sich auch die Klagen über die mangelhafte Beteiligung bzw. das schlechte Abschneiden der rätoromanischen Gebiete sparen.

Ciba-Geigy: Dicot Weeds 1

Ciba-Geigy: Dicot Weeds 1

Unter der Reihe „Weeds”  (Unkräuter oder „Wildkräuter”, „Beikräuter”) hatte das schweizerische Pharmaunternehmen Ciba-Geigy bereits in den Jahren 1980–1982 zwei Bände über Gräser und einen über einblättrige Unkräuter herausgebracht. Vorläufer der Reihe waren Unkrauttafeln, die in den Jahren 1968 bis 1975 unter der Leitung von Ernst Häflinger erschienen waren.

1988 wurde dann die famose Sammlung Dicot Weeds, also zweikeimblättrige oder breitblättrige Unkräuter, veröffentlicht.

Jede aufgenommene Pflanze wird wissenschaftlich mit größter Exaktheit beschrieben und in 13 Familien mit 127 Arten gruppiert.  Alle Pflanzen sind mit mehreren Zeichnungen erfasst, 13 auch in Farbe mit bewundernswerten Aquarellen. Das sind dann Abbildungen, mit denen ernsthafte Bestimmungsarbeit möglich ist, was eben mit einem Foto nicht geht. Toll etwa, wie beim Klatschmohn (S. 92) alle vier wichtigen Stadien der Blüte dargestellt werden. Und wie leicht können Unkundige zum Beispiel Klatschmohn (Papaver rhoeas), Saatmohn (Papaver dubium) und Sandmohn (Papaver argemone) verwechseln.

Über die zweikeimblättrigen Unkräuter sollten dann insgesamt 6 Bände erscheinen. Es blieb aber bei diesem einen, für den alleine schon mehrere Jahre Vorarbeit erforderlich waren, die dadurch erschwert wurde, dass Ernst Häflinger, der Initiator und große Mentor des Projektes, verstorben war.

Vielleicht war es dann die im Zeichen des shareholder value vorangetriebene Fusion von Ciba-Geigy (1970 selbst durch einen Zusammenschluss entstanden) mit Sandoz zu Novartis (1996), durch die kein gesteigertes Interesse mehr an solchen nicht profitorientierten Aktivitäten gegeben war.

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Hochgeladen am 22. Mai 2021. Zuletzt aktualisiert am 1. August 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Ton und Form, Frankfurt (Proust), Antiquariat am Ungererbad, München(Aristoteles), Abraxas Libris, Becherel (Weeds).

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