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Die schönsten deutschen Bücher 1967

Das Jahr 1967 brachte weltweit und in Deutschland große kulturelle und wissenschaftlich-technische Umwälzungen, weshalb dieses Jahr vielfach als bedeutender als das Jahr 1968 angesehen wird.

In Deutschland verschärften sich die Studentenunruhen, nachdem ein Polizist auf einer Demonstration gegen den Schah von Persien den Studenten Benno Ohnesorg erschoss. Dass dieser Polizist ein Agent der DDR-Stasi war, wie es erst 2009 bekannt wurde, erschien damals völlig undenkbar. In der „hohen Politik” ging eine Epoche zu Ende: Mit Konrad Adenauer starb die Symbolfigur des westdeutschen Nachkriegs-Konservativismus.

In der Medizin machte die erste Herztransplantation durch den südafrikanischen Arzt Christiaan Barnard Furore. Weniger gut war die Entwicklung in der bemannten Raumfahrt. Drei NASA-Astronauten verbrannten bei einer Übung in ihrer Apollo-Kapsel auf Cape Kennedy.

Die Beatles brachten ihr legendäres Konzept-Album “Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band” heraus und in Amerika feierten die Hippies den “Sommer der Liebe”. Ein immer größeres Thema bei der jungen Generation wurden Drogen.

Auf dem hier untersuchten Teilsegment des Buchmarktes sehen wir typische Figuren aus den 60er Jahren wie den “Fernseh-Professor” Heinz Haber oder den Journalisten Georg Stefan Troller. Dessen “Pariser Gesprächen” verpasste der Verlag passend zum Zeitgefühl einen Umschlag mit einem erotischen Touch. Neu und charakteristisch für die nun anbrechende Zeit war auch, dass mit einer Untersuchung der Arbeiterbewegung im Druckereigewerbe der Marxismus im Wettbewerb der “schönsten deutschen Bücher” der BRD ankam. Bisher war diese Richtung nur in der DDR vertreten gewesen.

Um das schönste Buch aller deutschsprachigen Wettbewerbe konkurrierten eben diese “Schwarze Kunst und Klassenkampf”, die ebenfalls marxistisch ausgerichtete DDR-Analyse “Macht des Augenblicks” sowie aus Österreich die wundervolle “Grünverschlossene Botschaft”.

Die schönsten deutschen Bücher 1967

Der Einband der englischen Broschur ist in einem im Vergleich zu den Vorjahren schockierenden Scharlachrot gehalten, auch mit einem modernen Satz des Titels – man ist nun auch bei der Einbandgestaltung in den 60ern angekommen.

Ein kurzes Vorwort resümiert Geschichte und Regeln des Wettbewerbs, welche teilweise neu gefasst wurden, ähnlich des DDR-Pendants in einem Zwei-Stufen-Verfahren. Erstaunlich der Fehler “seit 1952” (statt “seit 1951”).

Das Layout scheint nicht gelungen. Die bibliographischen Angaben sind in 7 Punkt Helvetica zu klein – aber gestochen scharf und stehen deshalb in merkwürdigem Kontrast zu den schlecht gemachten, unscharfen Reproduktionen der aufgeschlagenen Buchseiten (das gelang in der DDR viel besser).

Verwirrend, dass am Anfang gleich vier (!) prämierte Bibelausgaben desselben Verlages stehen. Zum 450. Jahrestag der Reformation hätte es sicher auch eine Bibel getan.

Erstmals werden auch Taschenbücher berücksichtigt. Grundsätzlich stellt sich dabei die Frage, warum unveränderte Taschenbuchausgaben schönere Bücher sein können als vorher in Hardcover und Großformat erschienene Erstausgaben anderer Verlage.

Heinz Haber: Unser blauer Planet
Heinz Haber: Unser blauer Planet

Heinz Haber: Unser blauer Planet

Heinz Haber (1913–1990) war smart, blond, gutaussehend, seriös und kam als höchst erfolgreicher deutscher Wissenschaftler zurück aus USA. Haber war einer der ersten “Fernseh-Professoren” (vielleicht der beste), die seit den 60er Jahren das Publikum von ARD und ZDF über grundlegende, oft auch aufregende wissenschaftliche Themen informierten. Die 60er waren schließlich auch ein Jahrzehnt der wissenschaftlich-technischen Revolution – man denke nur an die Raumfahrt. Und genau aus dieser Ecke kam Heinz Haber.

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Haber gehörte zur Gruppe führender deutscher Wissenschaftler, die 1945 unter dem Namen Operation Overcast in die USA gebracht wurden und dort das amerikanische Raumfahrtprogramm begründeten. Der berühmteste dieser Leute war Wernher von Braun. Haber selbst spezialisierte sich zunächst auf Weltraummedizin. Ende der 50er kehrte er nach Deutschland zurück und begann 1958 seine Tätigkeit für die ARD. Berühmt war seine Serie “Professor Haber experimentiert”. Sehr populär wurden auch die Reihen “Unser blauer Planet”, welche auf eine Hörfunkreihe des Bayerischen Rundfunks zurückging, und “Stirbt unser blauer Planet?” Hingegen wäre die Sendung “Unser Freund das Atom” in Deutschland heute völlig unmöglich.

Das von der Jury ausgewählte Taschenbuch erschien 1967 in der rororo-Reihe und ist gegenüber der Erstveröffentlichung im Hardcover-Format bei der Deutschen Verlagsanstalt 1965 inhaltlich unverändert. Warum die DVA-Ausgabe, die als Buch dem Taschenbuch in jeder Hinsicht weit überlegen war, keine Berücksichtigung fand, ist unerfindlich, gerade wenn man das holzhaltige Papier und die bekannt problematische Klebebindung der rororo-Reihe bedenkt. Bei einem antiquarischen, äußerlich noch gut aussehenden Exemplar fiel mir beim Aufschlagen ein Teil des Buches entgegen. Die abgebildeten Bücher hingegen sind die Erstauflagen von DVA und rororo.

Inhaltlich ist es interessant zu sehen, wie als sicher geglaubte wissenschaftliche Erkenntnisse wieder verloren gehen und 50 Jahre später längst überholt sind. Breiten Raum nimmt zum Beispiel im vorliegenden Buch die Theorie der “Expansion der Erde” ein, die heute von (fast) keinem Wissenschaftler mehr vertreten wird.

Materialien zu Peter Weiss' "Marat/Sade"

Materialien zu Peter Weiss' "Marat/Sade"

Eine Taschenbuchreihe herauszubringen, war Anfang der 60er Jahre im Suhrkamp Verlag hochumstritten. Die intellektuelle Elite des Verlages wie etwa Hans Magnus Enzensberger befürchtete eine Art ‘Vermassung’, ein Absinken des Niveaus. Noch schlimmer war die Idee von Verlagsleiter Siegfried Unseld und Chef-Designer Willy Fleckhaus, die Bücher mit farbigen Umschlägen – und als Reihe auch noch in Regenbogenfarben – auszustatten. Chef-Lektor Walter Boehlich leistete Widerstand bis zum Letzten. Unseld musste sich auf den Kompromiss einlassen, dass die Bücher einen hellgrauen Einband mit farbigem Umschlag erhielten (wie auch der abgebildete Band). Ab der Nummer 355 im Jahre 1970 (Boehlich war seit 1968 eh nicht mehr im Verlag) gab es dann nur noch den üblichen und bis heute bekannten Taschenbuch-Umschlag.

Auch beim Wettbewerb der „schönsten Bücher”, zu denen die edition suhrkamp von Anfang an, seit 1963, ganz sicher gehörte, dauerte es vier Jahre, bis die Juroren sich dazu begnügten, einem der Bücher einen Preis zu verleihen und damit wohl eigentlich der Reihe selbst.

Die Verdienste der edition suhrkamp nach Aufmachung und Inhalt können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Taschenbücher waren handwerklich hervorragend gemacht, das Papier war immer sehr gut.

Der prämierte Band war auch für den Inhalt ganz typisch. Lesefutter für die literarische und links-avantgardistische Elite. Diese interessierte sich brennend für den richtigen Weg zur “Befreiung” des Menschen, der den Diskussionen zwischen Jean Paul Marat und Marquis de Sade zugrunde liegt. Die Materialien zu Peter Weiss’ damals ungemein populärem Theaterstück „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade” (kurz „Marat/Sade”) beinhalten alternative Fassungen, Kritiken etc. sowie einige Fotos von Proben und ein paar Zeichnungen. Die Erstauflage war immerhin 15.000 Exemplare.

Der abgebildete Band stammt aus dem Nachlass von Fritz J. Raddatz. Es handelt sich (wie fast immer auf diesen Seiten) um die erste Auflage der Erstausgabe, ist also fast 50 Jahre alt. Das Papier zeigt außer am Schnitt noch keine Lichteinwirkung.

dtv-Atlas zur Biologie

Hartmut Angermann, Günter Vogel (Text)
Inge und István Szász (Bild)
dtv-Atlas zur Biologie

Der 1960 gegründete Deutsche Taschenbuch-Verlag brachte zunächst Lizenzausgaben von Hardcover-Editionen seiner Gesellschafter wie Fischer, DVA oder Kiepenheuer & Witsch heraus.

Das Verlagsprogramm war von Anfang an ungeheuer erfolgreich. So ist z. B. das “Irische Tagebuch” von Heinrich Böll bis heute als dtv Nr. 1 lieferbar.

Später kamen auch Eigenproduktionen hinzu. Sehr populär waren und sind die seit 1964 erscheinenden dtv-Atlanten. Jeder Schüler kannte früher den dtv-Atlas zur Weltgeschichte. Auch der 1967 ausgezeichnete dtv-Atlas zur Biologie wurde bereits in der abgebildeten Erstausgabe mit 50.000 Exemplaren aufgelegt und erfuhr zahlreiche Neuauflagen. Ganze Generationen von Biologie-Studenten dürfte den Band ihr eigen genannt haben.

Die Aufmachung, insbesondere die Illustrierung durch Inge und István Szász, setzte damals Maßstäbe. Die streng fachwissenschaftlichen Texte hatten aber den Bereich des Populärwissenschaftlichen bereits weit hinter sich gelassen. Typisch sind Seiten wie: “Metazoen-Entwicklung beim Seeigel-Keim”.

Die Aufmachung der Reihe “dtv-Atlas” war durchgehend ungemein hochwertig. Typisch aber und der einzige Fehler der sich aufbiegende vordere Umschlag.

Georg Stefan Troller: Pariser Gespräche

Georg Stefan Troller: Pariser Gespräche

Der damals frivol wirkende Umschlag reitet aus „durchsichtigen” Gründen auf der Erotik-Welle der späten 60er Jahre. Der Titel tut sein übriges. Tatsächlich handelt es sich um Gespräche mit einigen bekannten und einigen weniger bekannten Persönlichkeiten. Es sind nicht mal alles Franzosen. Zu den Interview-Partnern gehören auch Shirley MacLaine und Curd Jürgens. Gegenstand der Gespräche sind Liebe und Beziehungen, aber auch Arbeit, Kinder und alles, was zum Leben gehört.

Georg Stefan Troller (*1921) war einer der bekanntesten Fernsehjournalisten vor allem der 60er und 70er Jahre. Sehr populär war seine Reihe „Pariser Journal”. Die im Buch erschienenen Interviews stellen eine Zweitverwertung dar, sie wurden zuerst in Zeitschriften wie „Quick” und „Twen” veröffentlicht.

Es handelt sich nicht um klassische Interviews, sondern Troller ergänzt das Frage-Antwort-Spiel mit Einleitungen und einfühlsamen Beobachtungen der Personen und Szenerien. Beachtlich ist seine Anpassungsfähigkeit an die Befindlichkeiten der Interviewpartner.

Seine subjektive Vorgehensweise war zuerst bei seinen Kollegen verpönt, wirkte aber stilbildend. Die Fragen sind oft simpel und wirken immer wieder recht altbacken. Irgendwie schafft es Troller aber, die Persönlichkeit seiner Gegenüber zum Vorschein zu bringen, ja zu entblößen.

Da erkennt man kurz nach der Scheidung von Picasso eine Françoise Gilot, in deren Aussagen trotz aller Selbstverliebtheit und Selbstbespiegelung aber auch tiefe Einsichten und Wahrheit liegen. Eine Coco Chanel, deren vornehme Eleganz und distinguierter Stil wie aus dem vorigen Jahrhundert, mindestens aus den 20er Jahren, zu stammen scheinen. Und eine Shirley MacLaine, deren Unkonventionalität Troller vor große Rätsel stellt.

Das Buch hat ein ungewöhnlich schmales Hochformat, was es aber praktisch und auch ansprechend macht. „Schön” sind sicher auch die Schwarz-Weiß-Fotos, allerdings in einer unmöglichen Anordnung.

Irritierend ist die absichtliche Weglassung von Kommas bei der Abtrennung von Nebensätzen: "auf Wunsch des Autors".

Gerhard Beier: Schwarze Kunst und Klassenkampf

Gerhard Beier: Schwarze Kunst und Klassenkampf. Band 1. Vom Geheimbund zum königlich-preußischen Gewerkverein. 1830–1890.

Die Büchergilde Gutenberg, selbst im Besitz der Gewerkschaften, war natürlich die erste und einzige Wahl für dieses Werk, in dem der marxistische Historiker Gerhard Beier (1937–2000) die Geschichte der Druckergewerkschaft darstellt. Mit dieser Arbeit promovierte er auch.

Tatsächlich wurde hieraus eines der schönsten Bücher, das die Büchergilde gemacht hat. Allerdings hat es einen schwer nachvollziehbaren Mangel. Als “Schutzumschlag” wurde ein Fetzen Papier gewählt, der so dünn ist und auch noch einen solchen Zug hat, dass man das Buch kaum in die Hand nehmen kann, ohne den Umschlag zu beschädigen. Entsprechend miserabel ist der Zustand der antiquarisch erhältlichen Exemplare.

Das vorzügliche Antiquariat “Buch & Plakat” in Stuttgart hatte jedoch in seinem Bestand ein ganz druckfrisches Exemplar – was für ein Glücksfall nach einem halben Jahrhundert. Die Mitarbeiter von “Buch & Plakat” waren so fachkundig und umsichtig, dass sie den Schutzumschlag auch noch mit einer eigens hergestellten Folie umhüllten.

Inhaltlich beeindruckt das Werk, das das Ergebnis 10jähriger Arbeit ist, durch Umfang und Detailschärfe der Darstellung. Der Verfasser kann auch schreiben. Manche Passagen lesen sich spannend wie ein Kriminalroman.

Jedoch wollte Gerhard Beier zu viel. Zum einen soll das Werk gleichermaßen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen als auch für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit geeignet sein. Dabei kommt immer wieder die eine oder die andere Seite zu kurz, wie Beier im Vorwort selbst andeutet.

Zum anderen will der Autor die gesamte marxistische Gesellschaftsanalyse einschließlich ihrer Weiterentwicklung seit den Klassikern anhand der Geschichte der Druckergewerkschaft und ihres Gewerbes verifizieren. Vergleiche mit liberalen und anarchistischen Theoretikern werden ebenfalls herangezogen. Damit wird der Geschichte der Druckergewerkschaft ein Überbau verpasst, der erdrückend wirkt.

Hinzu kommt, dass Beier trotz seiner Abgrenzung gegenüber dem Leninismus und Stalinismus selbst einigen Verkürzungen des Marxismus erliegt, so etwa, wenn er den Ausspruch "Die herrschende Sprache ist die Sprache der Herrschenden" allzu wörtlich und unreflektiert übernimmt. Der spätere Bezug auf Max Weber steht dazu im scharfen Widerspruch.

Trotzdem ist es ein Genuss, in diesem mit Bild- und Textquellen üppig ausgestatteten Buch zu lesen und zu blättern. Leider erschien nur der 1. Band der zunächst auf drei Bände konzipierten Reihe. Dieselbe Kraftanstrengung von 10 Jahren Archivarbeit wollte Gerhard Beier sich verständlicherweise wohl nicht mehr antun.

Der SPD-Publizist Fritz Sänger kam 1968 in der „Zeit” zu einer deutlich positiveren Einschätzung von “Schwarze Kunst und Klassenkampf”.

Roman Fink / Anton Stankowski: Augen Blick

Roman Fink / Anton Stankowski: Augen Blick.
Ein Bilderbuch vom Sehen und Drucken.

Es handelt sich hier im Grunde genommen um eine großangelegte Werkschau des Belser Verlages, aufgelegt für die Geschäftsfreunde des Unternehmens. Ein kleinerer Teil der Gesamtauflage von 3000 ging für damals sehr teure 75 DM in den Buchhandel. Mit dem Buch wollte der Verlag zeigen, welche tatsächlich beeindruckende Qualität drucktechnisch möglich war.

Die Reproduktionen der Bilder und Fotografien sind versehen mit tiefschürfenden Erörterungen über visuelle Kommunikation. Ganze Passagen sind so unverständlich wie die Aussage auf S. 59: “Die Oberfläche ist das Substrat der Kommunikation.” Im zweiten Teil werden die 1967 verwendeten Druckverfahren ebenfalls in mehr feuilletonistischer als nachvollziehbarer Weise beschrieben. Damit schlägt man den Bogen vom “Ein-Leit-Thema Mutter und Kind” zum “Elektronisch gesteuerten Photosatz”.

Anton Stankowski (1906–1998) war einer der bedeutendsten Grafik-Designer der Bundesrepublik. Roman Fink wirkte später vor allem bei der Bebilderung von Kochbüchern mit.

Der Schutzumschlag darf durchaus als misslungen bezeichnet werden. Ein Rätsel, warum das unansehnlichste Bild des ganzen, hervorragend illustrierten Buches auf den Umschlag genommen hat.

Hans Adolf Halbey / Gervasio Gallardo: Vatterchen Rotkopf

Hans Adolf Halbey / Gervasio Gallardo: Vatterchen Rotkopf

Der Beltz Verlag legte 1964 ein neues Programm auf: "Besondere Bilderbücher". Es handelte sich um künstlerisch anspruchsvoll gemachte Bücher, die manchmal auch den Rahmen des Konventionellen sprengten. Regelmäßig schaffte es der Verlag damit unter die “schönsten deutschen Bücher” und natürlich auch auf die Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises. Man lief damit ein bisschen dem Sigbert Mohn Verlag aus Gütersloh den Rang ab, der die Kategorie Bilderbücher auf den Auswahllisten jahrelang dominiert hatte.

Bei “Vatterchen Rotkopf” hatte man einen Künstler verpflichtet, der ansonsten in anderen Gefilden zu Hause war: Gervasio Gallardo (*1934) machte sich einen Namen in den Genres Fantasy und Surrealismus. Im vorliegenden Buch stiehlt er dem Texter Hans Adolf Halbey (1922–2003) die Schau. Die Geschichte ist skurril und interessant, aber die doppelseitigen Illustrationen mit ihrer Farbenpracht, ihrer Detailverliebtheit und ihrem leicht impressionistischen Touch eine pure Augenweide.

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Der Wettbewerb in der DDR

Die schönsten Bücher der DDR 1967

Das Vorwort hakt zunächst die gewohnten Klischees ab („zutiefst demokratischer Charakter der Buchkunst in der DDR”, Eigenschaft der gesamten Buchproduktion „humanistisch und sozialistisch”).

Interessant ist, dass bereits jetzt auf ein erst 1968 stattfindendes Jubiläum eingegangen wird: nämlich den 500. Geburtstag von Johannes Gutenberg. Denn das „Erbe des Johannes Gutenberg bewahren und weiterentwickeln” – mit keinem geringeren Anspruch wollte man antreten.

Hingegen wird erstaunlicherweise der 1967 stattgefundene 450. Jahrestag der Reformation mit nur einem einzigen Buch gewürdigt, während im BRD-Wettbewerb alleine vier Bibeln ausgezeichnet wurden. Immerhin galt in der DDR-Geschichtsforschung unter Rückgriff auf Friedrich Engels die Reformation als Bestandteil der „frühbürgerlichen Revolution”. Aber es war wohl von der Partei beschlossen worden, den 450. Jahrestag nicht offiziell zu begehen, vielleicht auch, um die Kirche nicht aufzuwerten. Ganz anders sollte es 1983 zum 500. Geburtstag von Luther werden.

Der Bericht der Jury ist wieder sehr ausführlich. So etwas gab es nach wie vor im BRD-Wettbewerb nicht. Mittlerweile ging die DDR sogar noch weiter. Es wurden öffentliche Beratungen über die auszuzeichnenden Bücher eingeführt, bei denen die Gäste auch das Wort ergreifen konnten. Unterschiedlicher konnten die Bedingungen in den beiden deutschen Staaten kaum noch sein. Geheimnistuerei hinter verschlossenen Türen vs. offene und öffentliche Argumentation – so hatte man sich den Sozialismus ja auch mal vorgestellt.

Die Festansprache bei der Auszeichnung der 51 Bücher und sieben lobenden Erwähnungen hielt Kulturminister Klaus Gysi. Auch das war eine Publicity, die alles in den Schatten stellte, was in Frankfurt am Main passierte.

Bei den prämierten Büchern ist zunächst wieder jede Menge Marx abzuarbeiten, wenngleich das Verzeichnis ausnahmsweise nicht mit Marx anfängt.

Auf allen Gebieten der Buchproduktion war man mit den Fortschritten, insbesondere den künstlerisch-ästhetischen, im Großen und Ganzen sehr zufrieden und es gab viel weniger Kritik als in den letzten Jahren.

Bemerkenswert ist, wie in mehreren Bereichen freiere Ausdrucksformen begrüßt und gefördert werden, v. a. bei der belletristischen Gegenwartsliteratur und bei der graphischen Gestaltung der Kinderbücher. Die „außerordentlich starke Betonung der didaktischen Momente” in den Illustrationen wird als einschränkend kritisiert und „vielfältigere Gestaltungsformen” werden gefordert, wie in dem Kinderbuch „Frido fall nicht ‘runter” vorgefunden.

Außerordentlich auffällig ist in diesem Jahrgang der extrem aufwendige Nachdruck des Astronomicum Caesareum des Peter Apian aus dem Jahre 1540. Das Werk beinhaltet unter anderem 21 handkolorierte drehbare Scheiben mit jeweils bis zu 8 drehbaren Ringen. Hier wollte man zeigen, was man kann – und tatsächlich gilt der Reprint weltweit bis heute als einer der schönsten naturwissenschaftlichen Drucke überhaupt. Das Buch kostete 2050 Mark. Deutlicher konnte man vom Dogma des preisgünstigen „Massenbuches”, wie es noch vor einigen Jahren vertreten wurde, nicht mehr abrücken.

Berthold Beiler: Die Gewalt des Augenblicks
Berthold Beiler: Die Gewalt des Augenblicks

Berthold Beiler: Die Gewalt des Augenblicks

Hier hat der VEB Fotokinoverlag mit der Gestaltung durch Walter Schiller ein wundervoll gemachtes Buch vorgelegt, das bis heute nichts von seiner Wirkung verloren hat. Es stimmt einfach alles. Papier, Layout, Einband, Umschlag, Qualität der Abbildungen. Ganz hervorragend auch die Aufmachung und Erschließung des Bildteils.

Die brillante Analyse von Berthold Beiler zur Ästhetik der Fotografie hat eine solche Leistung auch verdient. Sieht man von den eingestreuten, kruden marxistisch-leninistischen Versatzstücken ab (wie der Bedeutung des “weltanschaulichen Standpunktes des Fotografen”) ist das Werk durchgängig von großer analytischer Durchdringung des Gegenstandes und darüber hinaus erstaunlich aktuell: “Millionen und Abermillionen Fotos wecken und befriedigen als tägliche Bilder-Flut das Bedürfnis nach Anschauung und sind für die aktuelle Information, die ästhetische Erziehung und die Wissenschaften gleichermaßen unentbehrlich.”

Der Leipziger Kunsthistoriker Professor Berthold Beiler, leider schon 1978 verstorben und heute zu Unrecht fast vergessen, legte in den 60er und 70er Jahren wichtige Arbeiten zum kritischen Verständnis der Fotografie als Kunstrichtung vor. “Die Gewalt des Augenblicks” ging hervor aus seiner 1964 eingereichten Dissertation “Fotografie als künstlerisches Bildverfahren”.

Wera Küchenmeister / Gertrud Zucker: Auf dem ABC-Stern

Wera Küchenmeister / Gertrud Zucker:
Auf dem ABC-Stern


Das Buch ist eine hübsche Idee: eine Weltraumreise auf den “ABC-Stern” zur Einführung und zur Gewöhnung an den Schulalltag, der ja wirklich erstmal eine fremde Welt ist.

Auf diesem fernen Planeten gibt es einen Bleistiftwald, einen Tintenfluss, ein Buchstabendorf und einiges mehr. Daniel und sein Hamster Egon Murkel müssen so manche Abenteuer bestehen!

Wera Küchenmeister (1929–2013) und Gertrud Zucker (*1936) waren zwei der bekanntesten Kinderbuch-Autoren der DDR. Gertrud Zucker war schon im Vorjahr ausgezeichnet worden.

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Ein Blick nach Österreich

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Die schönsten Bücher Österreichs 1967

Die edel aufgemachte Broschüre hat eine dem Jugendstil entlehnte Umschlagillustration. Wie beim österreichischen Wettbewerb üblich, gibt es nur ein minimalistisches Vorwort, das in aller Kürze das Prozedere des Wettbewerbs beschreibt.

Österreich feiert in diesem Jahr seine großen Künstler des 20. Jahrhunderts. Drei Bände der 20 prämierten (von 104 eingereichten) Bücher sind Gustav Klimt, Egon Schiele und Alfred Kubin gewidmet, ein weiterer Band behandelt die Geschichte der Akademie der Bildenden Künste Wien.

Einen der beiden Staatspreise erhielt die bejubelte große Werkschau „Gustav Klimt” vom Verlag Galerie Welz, Salzburg. Jedoch sind die Farbreproduktionen enttäuschend blass ausgefallen.

Insgesamt wirkt die Auswahl längst nicht mehr so bieder wie noch vor einigen Jahren, wozu auch der unten vorgestellte Band beiträgt.

H. C. Artmann / Ernst Fuchs: Grünverschlossene Botschaft

H. C. Artmann / Ernst Fuchs:
Grünverschlossene Botschaft


Das vielleicht schönste Buch des Jahres 1967.

Die 90 Träume, gedichtet von H. C. Artmann (1921–2000), sind extrem verschlüsselt. Jeder Traum entführt in eine eigene phantastische Welt mit einer eigenen Gesetzlichkeit, bevölkert von lebendig gewordenen Dingen, Pflanzen, fabelhaften Tierwesen und Geliebten.

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Der unfassbare Einfallsreichtum, die Wortgewandtheit... das ist wahre Genialität.

Kongenial dazu steuerte Ernst Fuchs (1930–2015) wunderbare Zeichnungen bei, die die Geschichten graphisch umsetzen.

Alles in allem ein herrlicher Spaß.

H. C. Artmann und Ernst Fuchs gehörten zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Sie waren Mitbegründer der "Wiener Schule des Phantastischen Realismus".

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Hochgeladen am 12. März 2017; zuletzt aktualisiert am 27. Juli 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Antiquariat Ballon + Wurm (Auswahlheft BRD und DDR),
Das Buchuniversum, Neuss (Haber), Antiquariat Tarter (dtv-Atlas), Buch & Plakat (Schwarze Kunst), unterwegs antiquariat & galerie (Gewalt des Augenblicks), Antiquariat Petri (ABC-Stern), Buch-Galerie Silvia Umla, Völklingen (Auswahlheft Österreich), Antiquariat.Wien (Artmann/Fuchs).

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