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Die schönsten Bücher 1976

1976 wurde Helmut Schmidt als Kanzler wiedergewählt und erreichte, teilweise mit “harter Hand”, eine weitere Konsolidierung der Innenpolitik. Die Linke der SPD war konsequent abgemeldet. Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler, Vertreter des linken Parteiflügels, war schon 1974 zurückgetreten. Schmidt sollte aber auch schon seine letzte volle Legislaturperiode antreten.

Große Aufmerksamkeit erregten weiter die Geschehnisse um die Baader-Meinhof-Gruppe. Die vier Führungsmitglieder der RAF waren in Haft und bereiteten sich auf ihren Prozess vor. Über ihre Anwälte, den späteren Bundesminister Otto Schily, den späteren einflussreiche Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele und den über den Maoismus in einen militanten Rechtsextremismus abgedrifteten Gustav Mahler versuchten die Gefangenen in geschickter Weise Einfluss auf die legale, demokratische Linke auszuüben. Ulrike Meinhof schließlich beging am 9. Mai 1976 Selbstmord.

Die DDR zeigte mal wieder, wie sie mit kritischen Stimmen umging, auch wenn es überzeugte Sozialisten waren. Der populäre Liedermacher Wolf Biermann wurde zwangsweise ausgebürgert. Das Echo für die SED war katastrophal.

Mao Tse-tung starb und machte den Weg frei für eine Abkehr vom brutalen Steinzeit-Kommunismus. Welche gigantischen Kräfte in diesem Volk die vor allem von Deng Hsiao-ping (absichtlich alte Schreibweisen) initiierte Lockerung des staatlichen Zugriffs auf die Wirtschaft und Öffnung der Märkte freisetzen würde, konnte kein Mensch ahnen.

In der Welt des Sports jubelten nicht nur die Ski-Fans Rosi Mittermaier zu, die bei der Winterolympiade in Innsbruck zwei Gold- und eine Silbermedaille holte.

Die fünfzig Bücher 1976
Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main


Diesmal gibt es eine Einleitung sowie das übliche Vorwort zum aktuellen Jahrgang.

Die Einleitung dient dazu, die Auswahlpolitik erneut zu rechtfertigen. Der Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst ist kein Kind von Traurigkeit, wie es seine Vorgänger auch nicht waren. Hans Peter Willberg, jetzt genannt „Sekretär des Wettbewerbs“, stilisiert sich als einsamen Kämpfer (natürlich meint er stellvertretend für die Jury) „gegen eine Welt von Ignoranten“ – und das meint er nur halb ironisch.

Schon sein Vorgänger Kurt Georg Schauer habe es so gehalten: „Kenntnis des Guten” von einer „hohen Warte” aus, die „umfassendes Urteil” bewirke. Es gehe nämlich um „die Richtung”, um „Kulturkritik”. Es werde nicht nur danach gefragt, ob eine bestimmte „Typographie gut oder schlecht, sondern, ob sie gut oder böse ist”.

Im gleichen Absatz bekennt sich Willberg dazu, die „durch jahrhundertelange Leseerfahrung gültigen Normen” zu verteidigen, „gegen Mode”, „gegen Oberflächlichkeit und Effekthascherei” – ganz so, als habe er selbst nicht im Jahre 1970 wörtlich der „Provokation” und der Überwindung der „gültigen Gesetze des Lesens” applaudiert. Und als habe er 1971 nicht das „vielleicht noch ungesicherte Experiment, den avantgardistische Bildumbruch” gefordert. Und solche Bücher auch ausgezeichnet.

Im weiteren Verlauf des Textes wird wie fast in jedem Auswahlband das Verfahren der Jury wortreich verteidigt. Offenbar wurde seit Jahren massive Kritik von den Verlagen geübt – was der Chronist sehr gut verstehen kann, aber Herr Willberg damals nicht.

Es sei deshalb 1974 ein Punkteverfahren eingeführt worden, das aber nach wie vor nicht zu einer ausdrücklichen Begründung der jeweiligen Auswahl führen könne. Die Einsicht, dass mehr Transparenz hergestellt werden müsse, bleibt also folgenlos. Überhaupt seien „die Fragen nach dem Verfahren äußerlich und nicht entscheidend”. Wichtig seien „Grundeinstellung” und „Zielrichtung”. Und da hat der Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst ja schon eingangs erklärt, dass er die richtige habe.

Willberg wird dann noch sehr philosophisch, indem er von seinen Kritikern fordert, an die Arbeit der Jury „nicht urteilend”, sondern „fragend” heranzutreten. Dann kommt der Satz, der alles in den Schatten stellt:

„Damit wäre dann nicht mehr allein die Manifestation des Bleibenden anzustreben, sondern dazu die Dokumentation des Werdenden”.

So wird der Versuch gemacht, mit philosophischem Tiefgang (?) den Kritikern der Wind aus den Segeln genommen. Mit einem erst Jahrzehnte später entstehenden Sprachgebrauch würde man heute (2018) zu so einer Argumentation sagen: „abwegig” oder „nicht zielführend”.

Die folgenden fachlichen Erörterungen über Typographie sollen nicht weiter zusammengefasst werden. Im Widerspruch zur Einleitung geht Willberg natürlich wieder von den durch Schauer vertretenen „ehernen” Regeln ab, wenn er etwa „modische” oder gar „absichtlich schlampige Typographie ” und „‘linke’ Attitüde” gutheißt, wenn sie zum Inhalt passe. Wie subjektiv hier die Maßstäbe sind, wird deutlich, wenn ein „elegant” gesetzter Kafka von der Jury abgelehnt wurde. Als Leser versteht man das nicht. Aber um die geht es ja nicht?

Erneut wird auch der Wegfall der Adjektive „schön” und „deutsch” bei der Bezeichnung des Wettbewerbes gerechtfertigt – und beides doch ab 1980 und 1990 bleibend wieder eingeführt.

Zuletzt erfolgt noch die Warnung vor „sinkender Qualität”. Diesen Gesichtspunkt greift auch das Vorwort zum Jahrgang 1976 wieder auf.

Das „allgemeine Niveau” der eingereichten Bücher sei „gestiegen” (439 Einsendungen; 1975: 419, 1974: 384). Das spiegele den Gesamtmarkt wider, wo es eine sich ständig verbessernde Spitzengruppe bei einem „eher sinkenden Gesamtniveau” gebe  – sagt pikanterweise der Geschäftsführer einer Institution, hinter der die großen Branchenverbände stehen: Verlage, Druckereien, Buchläden.

Noch einige Einzelheiten: der Offset-Druck hat sich völlig durchgesetzt (48 von 53). Der Fotosatz, dem Willberg „Probleme” attestiert, auf höchstem Niveau mit dem Bleisatz mitzuhalten, hingegen noch nicht ganz (35 von 53).

Die Jury war zur Hälfte neu besetzt worden (was nicht ausschloss, dass Juroren zurückkehrten, wie früher schon praktiziert). Mehrfach bestand so große Uneinigkeit, dass es zu „Kampfabstimmungen” kam.

Die Auswahl macht einen schon etwas zufriedener als in einigen vorhergehenden Jahren, alleine schon deshalb, weil bei den Kunstbüchern (die Jury unterscheidet hier zwischen „Schaubüchern” und „Katalogen”) nicht mehr nur „Gegenwartskunst”, sondern auch die klassische Moderne und gar das Zeitalter der Romantik berücksichtigt wurde. Wurde guter Geschmack bei den Intellektuellen der Kulturszene etwa wieder salonfähig?

Dennoch bleiben einige Entscheidungen vom Grundsätzlichen nicht nachvollziehbar.

Vor allem war der Jury zunächst wieder wichtig, Juergen Seuss zu ehren. Nicht weniger als 7 Bücher des Mitarbeiters der Büchergilde Gutenberg wurden ausgewählt (als Hersteller und Künstler). Zieht man von den 53 Bänden die 12 Kinder- und Schulbücher ab, mit deren Gestaltung Herr Seuss sich (leider? Gottseidank?) nicht befasste, fallen bei dem gigantischen Buchmarkt der BRD 17 % der Preise nur auf einen einzigen Designer. Dazu schreibt Willberg im Vorwort, die Jury sei ob der Dominanz der Verlage Büchergilde und Insel/Suhrkamp „ganz verzweifelt”. Man glaubt es nicht „ganz”.

Und wieder wurden viele Bücher ausgezeichnet, die eher Seltenheitswert hatten und nie nennenswerte Leserschichten ansprechen würden. Typisch war etwa eine Veröffentlichung wie: „Briefe von F. M. Leuchsenring 1746 - 1827”. Auflage 1200. 2 Bände im Schuber. DM 140.” Dafür mal wieder kein Fotoband und kein Reiseband und viel „zeitgenössische Kunst” von nur Spezialisten bekannten Schaffenden in Auflagen von: 156 Exemplaren zu 68 DM, 300 zu 60 DM, 513 (!) zu 58 DM, 800 zu 148 DM. 1000 zu 98 DM.

Und kann ein noch so toll gemachtes Programmheft einer Theateraufführung zu „den 50 Büchern” gehören? Kann ein öffentlich subventioniertes Projekt eines eher einer Kunstmappe ähnelnden Buches in irgendeiner Weise vorbildlich oder relevant für den Buchmarkt sein?

So erscheint der Wettbewerb mal wieder Nischenprodukte für Insider zu präsentieren, ausgewählt von einer selbsterklärten Elite.

Kurios ist, dass es gleich zwei Bände über die Olympischen Spiele in die „Top 50" schafften. Aber nur die Veröffentlichung der Büchergilde (natürlich!) sei ein „ein typisches Sachbuch”, das andere (wie angeblich alle anderen Sachbücher) sei „vom ganzen Habitus her eher belletristischer Natur” – was dann doch beim verwundert, wenn man beim zweiten Olympia-Buch die bibliographischen Angaben liest: „Offizielles Standardwerk des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland. 3 Bände in Kassette. 632 Seiten mit 448 Farbfotos. 294 DM.” Belletristik?

Ebenfalls in der Auswahl war das Buch „222 spitze Witze” mit ordinären „Männerwitzen”, die an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten waren, wie schon die wenigen abgebildeten Beispiele zeigen. (Hier allerdings warf der Fischer Taschenbuch Verlag gleich 22.500 Exemplare auf den Markt.)

Da hätte man unter den Preisträgern doch lieber eines der Bücher gesehen, die in „Satz, Druck und Einband absolut perfekt” waren, deren „Illustrationen einem zu hoch gegriffenen literarischen Thema nicht standhalten konnten”. Schade, dass man sich hier nicht selbst ein Urteil bilden konnte.

Ein Vorschlag wäre auch gewesen, die Fälle, bei denen es eingestandenermaßen zu „Kampfabstimmungen” in der Jury kam, in den Katalog mit pro und contra der Argumente aufzunehmen. Damit wäre wirklich etwas gewonnen gewesen. Wer nahm denn schon diese vielleicht in einer Auflagenhöhe von 1000 oder 2000 gedruckten Auswahlhefte in die Hand? Das konnten doch nur in der Regel nur Leute aus der Branche mit eigenem Fachwissen und eigener Urteilskraft sein. Aber man tagte und entschied weiter im Geheimen und hielt sein Publikum im Zustand der Unmündigkeit.

Es sei noch erwähnt, dass „die 50 Bücher” dieses Jahr tatsächlich 53 Bücher waren. Seit der 1970 vorgenommenen Umbenennung von „die schönsten” in „50" Bücher wurde die Zahl nicht ein einziges Mal erreicht.

Gustav Regler: Das große Beispiel. Umschlag.
Gustav Regler: Das große Beispiel. Einband.

Gustav Regler: Das große Beispiel

Gustav Regler (1898–1963) gehörte zu jenen linientreuen KPD-Mitgliedern, die sich vom Stalinismus abwandten, als sich sein Versagen und seine Pervertierung der sozialistischen Idee nicht mehr leugnen ließen. Eine – wenn auch frühe – Etappe dieser Abkehr schildert der Roman “Das große Beispiel” (das vergebens war), dessen Thema der Spanische Bürgerkrieg ist, in dem Regler von 1936–1937 als Politischer Kommissar, das heißt als Beauftragter der stalinistischen Komintern, tätig war.

Die Lektüre des Buches ist tief deprimierend. Die schonungslose Schilderung der chaotischen Zustände bei den Internationalen Brigaden; die Unfähigkeit und der Dilettantismus der Befehlshaber; die menschenverachtende Brutalität, Freiwillige in Selbstjustiz und nach “Verhandlungen” ohne Richter, aber unter dem Vorsitz von politischen Kommissaren Stalins, als “Deserteure” hinzurichten, wenn sie krank mit Cholera und Krätze und wahnsinnig vor Angst in einer aussichtslosen Situation die Front verließen – all das verlangt dem Leser schon ohne die unvermeidlichen, aber sachlich bleibenden Schilderungen der Kriegsgreuel einiges ab.

Ein Nebenstrang der Erzählung stellen die Zweifel des Autors am Stalinismus dar.
Ein erster Bruch, erst zaghaft, aber dann tief und unumkehrbar, kommt mit den stalinistischen Schauprozessen von 1937, im Roman eingeleitet durch ein Zitat von Bucharin. Schon bei den Prozessen gegen Sinowjew und Kamenew 1936 waren dem Kommissar Albert (= Gustav) Zweifel gekommen, die sich nun verstärken und in Ablehnung umschlagen. Dieser Prozess, seine Folgen im Bürgerkrieg, der innere Kampf des Protagonisten, die Schilderung des kindlich-fanatischen Stalinisten Mischka, des kühlen, aber im Endeffekt genauso inhumanen Berliner Arztes Werner, der der russischen Opposition Geisteskrankheit attestiert, gehört zu den stärksten Passagen des Romans.

Die von Regler verwendeten, an der Front von den internationalen Brigadisten gelesenen Zitate aus der Prawda gegen die “Links”- und “Rechtsabweichler” in der Sowjetunion sind auch nach 80 Jahren schockierend. Sie sind zu einem unfassbaren Grad erniedrigend und barbarisch, zumal sie gegen enge Kampfgefährten (und noch zu Friedenszeiten) erhoben wurden. Wie konnten Intellektuelle noch an ein solches System glauben?

Auch Reglers Haltung zum Stalinismus bleibt in dieser Phase 1937/38 widersprüchlich. Immer wieder merkt man, wie der Politkommissar Albert mit sich ringt. Wie weit muss die “Wachsamkeit” gehen? Wer ist wirklich ein „Verräter”? Wer hat darüber zu befinden?

Wie mörderisch der Zugriff Stalins auf die Internationalen Brigaden tatsächlich war, konnte Gustav Regler damals nicht wissen. Aber es ist hochproblematisch, wie Regler das Verhör des Verräters Barna durch einen polnischen Stalinisten in den Romans einbaut. Der Angeklagte entpuppt sich tatsächlich als ehemaliger Polizeispitzel und der unkundige Leser wäre geneigt, die von Barna angeprangerten Absichten der Stalinisten bei ihrer “Volksfront”-Taktik als leere Schutzbehauptungen zu interpretieren und die brutale Vorgehensweise des polnischen Kommunisten als gerechtfertigt anzusehen. Ebenso könnte man glauben, dass die stalinistischen Schauprozesse in Moskau tatsächlich “Verräter” abgeurteilt haben.

Der Autor verspielt damit eine Chance, mit Stalin abzurechnen. Auch wenn Regler in seiner inneren Entwicklung noch nicht so weit war, bekommt die Architektur des Buches hier eine bedenkliche Schlagseite. Wenn man weiß, wie Tausende von aufrechten Sozialisten und Trotzkisten wie der große Andrés Nin von stalinistischen Agenten mitten in Spanien gefoltert und ermordet wurden, stockt einem der Atem bei diesem “Verhör”. Immer war es derselbe Vorwurf: für die Faschisten gearbeitet zu haben. Leider tauchen im Verlauf des Romans auch mehrmals gehässige Bemerkungen gegen die trotzkistische POUM auf, die von Regler in den nur wenig relativierten Ruch des Verrates gebracht wird.

Die Frage, ob Regler als Politischer Kommissar der Komintern wirklich so brav war, wie er sich selbst darstellt, bleibt unbeantwortet. Immerhin schritt er nicht ein, als der Kämpfer Barna im Schnellverfahren unter schwerster, die Todesstrafe nach sich ziehender Anklage von einem polnischen Stalinisten verhört wurde, welcher gleichzeitig als Richter und Staatsanwalt tätig war und ein Verteidiger ohnehin nicht vorgesehen war.

Die Machenschaften der Emissäre Stalins als auch der spanischen Stalinisten schildert Julián Gorkin in seinem Buch “Stalins langer Arm”, veröffentlicht in Deutschland 1984 beim selben Verlag Kiepenheuer & Witsch, der 1976 auch Regler herausbrachte. Die Büchergilde, deren Regler-Ausgabe ich hier bespreche, verzichtete leider auf dieses Korrektiv. Wenn man weiß, wie DKP-nah manche DGB-Kader, vor allem in der IG Metall und in den Fortbildungseinrichtungen in den 70er und 80er Jahren waren, war dies wohl eine bewusste und politische Entscheidung.

Dass die DDR, auf deren Buchmarkt sozialistische Themen eine so große Rolle spielten, meistens aber in Selbstbeweihräucherung, weder Regler und schon gar nicht Gorkin verlegte, liegt auf der Hand.

An Hemingway, mit dem Regler gut befreundet war, reicht “Das große Beispiel” nicht heran. In weiten Teilen erreicht es nicht die Sicherheit und Eleganz des Stils, die Tiefe und die Poesie von “Wem die Stunde schlägt”. Dazu ist es auch zu oft eine Aneinanderreihung von Einzelereignissen, bleibt dann tagebuchartig, wie autobiographische Erinnerungen. Nur in Einzelsequenzen wie dem aufrührenden Schlusskapital liest man einen Roman der Weltliteratur. Aber bei beiden Werken steht am Ende dasselbe: ein sinnloser Tod, der die Besten hinwegrafft.

Die Résumees von Bucharin und von Regler ähneln sich frappierend:

„Denn wenn man sich fragt: wenn du stirbst, wofür stirbst du? Dann ergibt sich plötzlich mit erschütternder Deutlichkeit eine absolut schwarze Leere.” (Nikolai Bucharin im Schlusswort seines Prozesses, S. 175)

“Gab es schon je einen so blutigen Krieg, wo man nur wertvolles Material vernichtete? Eine ganze Generation von Revolutionären ist verschwunden.” (Gustav Regler, S. 391) –

Juergen Seuss hat – mit Abstrichen – für die Büchergilde ein schönes und edel aufgemachtes Buch produziert.

Genial sind die Fotomontagen, die jedem Kapital vorangestellt sind. Gerne hätte man aber etwas über die Herkunft des Materials gewusst. Und die scheinbar bekannten Personen auf dem Titelbild gehören natürlich irgendwo in den Vorsatzblättern oder im Impressum bezeichnet. Die Person in der Mitte scheint Regler zu sein.

Das Papier ist wertig und angenehm. Aber dass es “fein holzhaltig” ist, merkt man selbst bei dem sehr gepflegten Exemplar, das ich erworben habe. Es wird schon von den Rändern her gelb. Deutlich treten gelbe Fasern auch auf den Seiten hervor, wo teilweise, wie auf dem Schnitt, regelrechte gelbe Flecken entstehen.

Die feine und blumige Schrift Excelsior scheint so gar nicht zum brutalen Kriegsgeschehen des Inhalts zu passen. Die sehr straffe Klebebindung bei zu schmalem innerem Seitenrand erschwert das Lesen.

Die von Seuss geliebten Spielereien mit horizontalen Linien und der Seitennummer, die die Paginierung viel zu markant erscheinen lassen, sind überflüssig.

Größtes Manko und eine echte Schlamperei ist die fehlende Karte, die die antiquarisch noch erhältliche amerikanische Originalausgabe von 1940 („The Great Crusade”) hatte. Das Buch wimmelt nur so von geographischen Begriffen, dass es so für den Leser sehr schwierig ist, sich zu orientieren. 

Die verdienstvolle, überarbeitete deutsche Erstausgabe erschien bei der Büchergilde Gutenberg in Parallelausgabe mit Kiepenheuer & Witsch. Federführend war dabei die Büchergilde. Die zeitgleich erscheinende Ausgabe für den normalen Buchmarkt hatte nur einen anderen Schutzumschlag. Die Büchergilde kehrte also die übliche Lizenzierung um und wurde selbst Lizenzgeber. Zwei Jahre später folgte eine Taschenbuchausgabe beim Suhrkamp Taschenbuch Verlag. 1983 gab es noch einmal eine erneute Ausgabe bei der Büchergilde. Also ein sehr erfolgreiches Projekt der Büchergilde Gutenberg.

Siegfried Unseld: Dar Marienbader Korb. Über die Buchgestaltung im Suhrkamp Verlag. Willy Fleckhaus zu ehren.

Siegfried Unseld:
Der Marienbader Korb.
Über die Buchgestaltung im Suhrkamp Verlag.
Willy Fleckhaus zu ehren.


Jeder, der mit Buchgestaltung zu tun hat, wird an diesem Band große Freude haben.

Thema ist die Geschichte der Buchgestaltung im Hause Suhrkamp, vor allem der Umschläge, und die Rolle, die der Gestalter Willy Fleckhaus dabei spielte. Verwoben ist dieses Hauptanliegen der Buches mit der Geschichte des Hauses Suhrkamp selbst, um nicht zu sagen, der deutschen Literatur ab 1945.

Der Text, den Siegfried Unseld (1924–2002), der Nachfolger von Peter Suhrkamp (1891–1959) als Verlagschef, launig und gekonnt erzählt, ist mit vielen Anekdoten angereichert. Zum Beispiel, wie Peter Suhrkamp sich in den 50er Jahren in seinem Auto unter dem Armaturenbrett ein Regal einbauen ließ, um mehr Bücher transportieren zu können.

Der von Unseld stellenweise eingebaute theoretische Bezug auf die Frankfurter Schule, erweitert um die Kulturkritik eines Walter Benjamin und Hans Magnus Enzensberger, mutet aus heutiger Sicht abstrus an, zeigt aber doch auf faszinierende Weise, wie in der damaligen Zeit diese Theorie die Links-Intellektuellen beeinflusste.

Hingegen greift Unseld in seiner Replik auf die marxistische Kritik der Warenästhetik, etwa von Wolfgang Fritz Haug in der eigenen Reihe „edition suhrkamp” formuliert, zu kurz, wenn er sie ausdrücklich nur für den Vertrieb, jedoch nicht für Produktion und Konsumtion des Buches gelten lassen will.

Viel aufschlussreicher als diese kurzen theoretischen Einschübe ist die eigentliche Geschichte der Ästhetik der Buchgestaltung. Da taucht etwa die Schlacht um die Einführung von „kulturlosen” Taschenbüchern auf, die von vielen Personen im Suhrkamp Verlag anfangs erbittert bekämpft wurden. Wie antiquiert mutet das an, angesichts des heute (2018) drastisch zurückgehenden Lesens von gedruckten Texten überhaupt?

Da gibt es erneut heftige Diskussionen um das Aufkommen von farbigen Umschlägen bei der edition suhrkamp, die sich doch so ungemein verdienstvoll erweisen sollte und deren Konzept vielfach kopiert wurde.

Da erscheint der erste gebundene Roman mit einem Bild auf dem Umschlag. Das war 1972 Peter Handkes „Brief zum langen Abschied”.

Höchst interessant sind auch die vielen eingestreuten Zitate aus den Gesprächen und Schriftwechseln mit den Autoren, wo es um die Gestaltung der Bücher geht. Wie eigen Schriftsteller sind, wie empfindlich, auch wie hartnäckig oft.

Ernüchternd und befremdlich ist es, wie wenig Autoren verdienen. Wenn ein Schriftsteller 10 % vom Verkaufspreis erhält und ein teures Buch für 40 € sich 2000mal verkauft – hat er 8000 € verdient, unversteuert. Was ist, wenn er nur ein Buch im Jahr schreibt? Wovon lebt er dann?

Ein Wermutstropfen ist die Illustrierung des Bandes. Zunächst ist es nicht optimal, die Schutzumschläge als 2D-Bild mit abgeschnittenem Rand abzubilden, und nur die Vorderseiten. So sieht beispielsweise die „Halbzeit” von Martin Walser eben nicht aus, sondern das Buch sieht wie jedes Buch räumlich aus. Schwierig zu fotografieren?

Dann fällt beim Lesen zunehmend störend auf, dass die Zuordnungen nicht stimmen. Vielleicht wollte man aus Gründen des Layouts keine statische Gegenüberstellung von Text und Bild haben. Aber die im Text anhand von Beispielen beschriebenen Entwicklungsstufen sollten eigentlich auch mit genau diesen Büchern illustriert werden. Stattdessen werden oft andere Bücher abgebildet, die manchmal im Text nicht einmal erwähnt werden. Das ist wirklich sehr unverständlich, da der Suhrkamp Verlag wohl doch noch alle Bücher im Archiv hat, die er jemals verlegt hat.

Ein krasses Beispiel ist Peter Handkes „Der kurze Brief zum langen Abschied”, dessen Umschlag bahnbrechend war, wie Unseld ausführlich erklärt, da hier zum ersten Mal eine Illustration verwendet wurde, statt nur Schrift. Gezeigt werden aber zwei andere Bücher von Handke, eines ganz ohne Bild („Die Hornissen”), eines nur mit einer kleinen Umrisszeichnung auf dem Umschlag („Die linkshändige Frau”).

Und wenn etwa im Text der Rücken einer Joyce-Ausgabe beschrieben wird, die Illustration aber die Vorderseite zeigt, ist es ärgerlich.

Später wird über 4 Seiten eine ganze Kategorie von Büchern, die „insel taschenbücher” mit ihrer Umschlaggestaltung, besprochen – gezeigt werden aber zwei Insel Hardcover-Ausgaben. Welche Schlamperei! Ob es der Jury auffiel, darf bezweifelt werden. Dafür hätte man das Buch ja lesen müssen.

Ein Highlight ist hingegen das Portraitfoto von einem merkwürdig entrückten und fragend schauenden Fleckhaus auf dem Vorsatztitel, vom Gestalter Rolf Staudt auch toll gesetzt gegenüber dem Haupttitel.

Unseld schließt seinen Text mit einer Analyse der Entwicklungen der Druck- und sonstigen Technologien der Buchproduktion. Das Aufkommen der Textverarbeitung ahnt er 1976 schon. Internet und E-Reader sind natürlich noch Science Fiction.

Der Titel „Marienbader Korb” ist einem Goethe-Zitat aus den Gesprächen mit Eckermann entlehnt: „er ist nicht allein so vernünftig und zweckmäßig als möglich, sondern er hat auch dabei die einfachste, gefälligste Form” – so soll auch die Gestalt eines Buches sein.

Insgesamt ein wundervolles und aufwendig gestaltetes Buch. Besonders gefallen die auf dem schwarzen Leinen aufgebrachten Aufkleber in den Regenbogenfarben der edition suhrkamp.

Beim Wettbewerb der „schönsten deutschen Bücher” spielte Suhrkamp übrigens keine große Rolle mehr, nachdem die „Stiftung Buchkunst” (ab 1965) und Hans Peter Willberg (ab 1968) das Sagen hatten. Man bevorzugte die Effekthascherei eines Juergen Seuss. Von 1968 bis 1975 wurden 25 Publikationen der Büchergilde ausgezeichnet, aber nur 7 des Suhrkamp Verlages. Der Insel Verlag brachte es immerhin auf 19, ist aber nicht vergleichbar, da er sich ohnehin den „schönen Werken” verschrieben hat.

Else Lasker-Schüler: Die Wupper

Else Lasker-Schüler: Die Wupper

Diese Frau, die sich auch “Jusuf” nannte oder “Prinz von Theben”, war “die größte Lyrikerin, die Deutschland je besaß”, so Gottfried Benn. Das gleiche Urteil einer höchsten und

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einfach nur sprachloses Staunen verursachenden Qualität gilt nach Ansicht des Chronisten auch für die Briefe und anderen Texte der Else Lasker-Schüler (1869–1945).

Der in seiner Kreativität, seiner Vorstellungskraft und seiner Wortgewandtheit unvergleichliche Stil lässt sich nach der Meinung des Verfassers am ehesten als Magischer oder Phantastischer Realismus bezeichnen. Diesen Hinweis gibt die Autorin selbst, wenn sie erklärt, dass ihr Text die “Wirklichkeit phantastisch ergreift” (S. 70).

Was ist los mit der Germanistik und mit dem Deutsch-Unterricht, dass ein Jahrhundert-Talent bisher nicht seinen gebührenden Platz eingeräumt bekam?

Die hochwertig aufgemachte englische Broschur “Die Wupper” ist eigentlich das Programmheft zur Aufführung des gleichnamigen Theaterstücks an der Schaubühne am Halleschen Ufer, Berlin. Alle Textseiten sind im selben zwischen Kupfer und Gold liegenden Farbton des Umschlages.

Der Band enthält zahlreiche, hervorragend ausgewählte Gedichte, Prosastücke und Briefe der Autorin sowie viele historische Fotos aus Wuppertal, wo Else Schüler aufwuchs. Das Schauspiel selbst ist, außer einigen Regieanweisungen nicht enthalten.

Das schönste Buch des gesamten Jahrgangs aller deutschsprachigen Bücher in 1976, soweit sie dem Verfasser bekannt sind.

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Der Wettbewerb in der DDR

Die schönsten Bücher der DDR 1976

Der DDR-Katalog kommt wieder im mittlerweile doch sehr bieder wirkenden, diesmal in einem stumpfen Orange gehaltenen Leinenumschlag einer englischen Broschur. Auch an der Seitengestaltung hat sich schon lange nichts geändert, allerdings ist sie auch übersichtlich und die Papierqualität traditionell sehr gut.

Insgesamt wurden in der DDR 1976 genau 5955 Titel in einer Gesamtauflage von 145,1 Millionen Exemplaren verlegt. 1973 lag die Produktion bei 5300 Titeln und 120,7 Millionen Exemplaren, also ein rasanter Anstieg in nur drei Jahren.

Bei der Auswahl habe man nur „die besten, vollkommensten, gelungensten Arbeiten“ berücksichtigt, da man sich bei der 1977 wieder in Leipzig stattfindenden Internationalen Buchkunst-Ausstellung (iba) behaupten müsse.

Von 246 Einsendungen wurden 51 Titel ausgewählt. Erfreulich seien Fortschritte „bei der Gestaltung von Kinder- und Jugendbüchern sowie illustrierter Ausgaben der Belletristik“. Bei der Gestaltung populärwissenschaftlicher sowie naturwissenschaftlicher und medizinischer Fachwerke sei hingegen eine rückläufige Qualität festzustellen.

Hauptziel sei es, Bücher zu fördern, die für „weite Leserkreise bestimmt“ seien. Trotzdem wurde aber auch eine 2-bändige Merian-Ausgabe, das „Leningrader Studienbuch“, erhältlich für 1800 Mark, ausgezeichnet. Man wollte also auch auf hohem Niveau konkurrenzfähig sein.

Der Anteil der Belletristik ist mit 15 Titeln, also etwa 30 %,  höher als bei den anderen drei hier vorgestellten Wettbewerben.

Der Anteil des Offset-Drucks blieb mit etwa der Hälfte aller Titel gleich gegenüber den Vorjahren, hatte in der BRD aber bereits 90 % erreicht, ein deutliches Indiz für einen technologischen Rückstand der DDR-Druckereien, sicher symptomatisch auch für den Stand der restlichen Industrie des Landes.

Sieht man die Titel der ersten drei ausgezeichneten Bände, weiß man, in welchem politisch-gesellschaftlichen System man sich befindet.

Die Jury ließ es sich nicht nehmen, das neue „Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands”, das in 1. Auflage mit satten 500.000 Exemplaren zum Preis von 1 Mark gedruckt wurde, an die erste Stelle des Kataloges zu rücken. An zweiter Stelle folgt die apologetische Darstellung „Die Vereinigung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in Bildern und Dokumenten” mit 50.000 Exemplaren zu happigen 29,50 Mark. Drittens ein Werk von Marx und Engels zum „Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten”, „nur” gedruckt in 6000 Exemplaren à 7,80 Mark.

Danilo Dolci: Der Himmel ist aus Rauch gemacht

Danilo Dolci: Der Himmel ist aus Rauch gemacht

Bittere Armut bis zur Verrohung, Aberglauben, Korruption der Behörden und der Polizei, Eindringen der Mafia in alle Lebensbereiche, Auflehnung und Widerstand gegen Willkür, gewerkschaftliche Organisation unter widrigsten Bedingungen – das sind einige Stichpunkte dieser Geschichten, deren Hauptrolle die ländliche Bevölkerung im Westen Siziliens spielt. Die Rolle der Kirche ist dabei gar nicht mal so groß, wie man dachte.

Danilo Dolci (1924–1997) gibt den Armen Siziliens eine Stimme. Der Autor, selbst aktiver Sozialreformer, macht aus langen und mehrfachen Interviews, die er führte, teils auch im Gefängnis, kurze Geschichten. Er schafft es dabei, das jeweilige, durchaus unterschiedliche intellektuelle und Sprachniveau der Personen zu erhalten und dadurch authentisch zu wirken.

Das Buch von Danilo Dolci ist eine gute Ergänzung zu den Werken von Giuseppe Tomasi di Lampedusa oder Leonardo Sciascia.

Hervorgehoben werden soll das Vorwort von Christine Wolter (*1939), selbst Verfasserin zahlreicher Italien-Bücher. Genauso soll es sein. Kurze Lichtblicke aus dem Inhalt des vorzustellenden Werkes, ein Resumée der bisherigen Sizilien-Literatur, Einordnung des Autors, Einschätzung der aktuellen politisch-gesellschaftlichen Lage der Insel. Gekonnt geschrieben, gut zu lesen und Interesse am Buch weckend. Wohltuend auch, dass kein ideologischer Überbau errichtet wird, wir so oft bei DDR-Literatur, von dessen Warte aus das vorliegende Werk betrachtet wird.

Hervorragend und das Buch endgültig zu einer bis heute wertvollen und auch ästhetisch ansprechenden Veröffentlichung machend, sind die vielen ganzseitigen Schwarz-Weiß-Fotos aus Sizilien, die das harte Schicksal der Menschen auf dieser großen Insel illustrieren. Fotograf: Enzo Sellerio.

Das Buch hat, wie es für Veröffentlichungen dieser Art fast zum Standard wurde, einen schwarzen Leineneinband mit Prägedruck sowie scharlachrote Vorsatzblätter.

Wegbereiter. 25 Künstler der Deutschen Demokratischen Republik.

Wegbereiter
25 Künstler der Deutschen Demokratischen Republik


Bei diesem Buch handelt es sich um aufwendiges und ansprechendes, voluminöses Kompendium der „DDR-Kunst”. Der Band ist eine Fortsetzung der 1970 erschienenen Zusammenstellung “Weggefährten” mit ebenfalls 25 Künstlern. Die Aufmachung ist ähnlich, nur gibt es mehr Farbreproduktionen und die einzelnen Beiträge sind auch länger.

Insgesamt gibt es 950 Abbildungen (der Band verzeichnet im Register nur 450), allesamt in sehr guter technischer Qualität. Das Werk kostete teure 76 Mark („Auslandspreis 88 Mark”).

Das Vorwort von Willi Sitte ist in altstalinistischer Manier gehalten, die in dieser exzessiven Form in anderen DDR-Publikationen schon überholt war – ein Beleg dafür, dass es sich um eine quasi offizielle Staatsveröffentlichung handelte.

Aufgenommen wurden teils ausgesprochen politische Künstler, die mit Emphase den „Arbeiter- und Bauernstaat” zelebrierten, und teils auch Künstler, die der DDR mit einer wohlwollenden Neutralität gegenüberstanden. Es fehlten SED-kritische Künstler (die wurden ausgebürgert oder mit Ausstellungs- und Publikationsverboten an den Rand gedrängt) und (mit einer unten vermerkten Ausnahme) Künstler, die neue, politisch nicht abgesegnete Wege in ihrem Schaffen gingen, vor allem in Richtung der im Westen so bezeichneten „Gegenwartskunst”.

An anderer Stelle (DDR-Gebrauchsgrafik 1975) vom Chronisten beobachtete kulturelle Öffnungstendenzen lassen sich in diesem Buch also nicht feststellen. Ob dies Ausdruck einer neuen Verhärtung der SED-Führung war, bleibt abzuwarten, würde aber zu der ebenfalls 1976 vorgenommenen Ausbürgerung von Wolf Biermann passen.

So bleibt derselbe eigenartige Eindruck wie schon bei der Vorgängerpublikation. Man sieht zwar nicht durchgängig „Sozialistischen Realismus” in Reinkultur, aber insgesamt blieb die „DDR-Kunst” auf dem Stand der 20er und frühen 30er Jahre stehen, teilweise sogar der Jahrhundertwende. Expressionismus, Neue Sachlichkeit, ein bisschen der frühen Sowjetunion entlehnter Konstruktivismus – das war’s.

Einzig ein Fritz Dähn, als etablierter Professor und Hochschulrektor offenbar sattelsicher, erlaubte sich einige Freiheiten in der Auflösung naturgetreuer Formen und dem Einsatz flächiger, kontrastreicher Farben, im Katalog weit nach hinten gerückt.

Fast alle vertretenen Künstler wurden schon in der Weimarer Republik Mitglied der KPD – es handelt sich also um eine Art Kollektion „alter Kämpfer”. Häufig sieht man eine tiefe Verachtung der bürgerlichen Gesellschaft schon in der Weimarer Zeit. Typisch etwa verächtliche Kaffeehaus-Szenen, die einem George Grosz in nichts nachstehen.

Entsprechend dieser Richtlinie wurden auch einige Künstler in den Band aufgenommen, die künstlerisch nur mittelprächtig, aber ideologisch konform waren.

Überprüft man punktuell Vorwort und biographische Artikel, ergeben sich eklatante Entstellungen der Wahrheit.

Gerne werden bei den vorgestellten Bildenden Künstlern Konflikte unterschlagen, die diese mit der Staatsführung hatten.

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Max Lingner: “Mademoiselle Yvonne” (1939).

Yvonne war eine Buchhalterin, die in der KPF engagiert war. Mit Beginn der deutschen Besatzung unterstützte sie die Resistance. 1942 wurde sie verhaftet und nach Auschwitz gebracht, wo sie 1943 starb.

Die ganze bewegende Geschichte dieses Bildes erzählt ein im Dezember 2016 erschienener Artikel.

Bildrechte: Max Lingner Stiftung.

Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der großartige Künstler Max Lingner, der heftig und lange mit der SED und den Behörden aneinander geriet. Lingner, der schon 1927 nach Frankreich übergesiedelt war, 1949 in die DDR kam und voll in den „Formalismus”-Streit geriet, warf die SED „westlich dekadenten” und „französischen” Stil vor. Er solle „deutsch” und „national” malen. Gemeint war der Stil des sozialistischen Realismus, wobei die Nähe zum Nazi-Jargon bezeichnend ist.

Insbesondere störten den SED-Staat seine Entwürfe für das monumentale Wandbild am Haus der Ministerien in Ostberlin (heute „Detlev-Rohwedder-Haus”).

Ministerpräsident Otto Grotewohl (ehemals SPD, dann SED), der selbst in seiner Freizeit malte, nahm persönlich (!) Änderungen an den Entwürfen vor. So sollten die dargestellten Intellektuellen Rollkragenpullover statt Schlips und Krawatte tragen sowie marschierende Volkspolizisten eingefügt werden.

Die Korrektur durch einen Hobbymaler muss für Lingner demütigend gewesen sein. Aber auch ein Künstler muss leben. Lingner übte wie in einem stalinistischen Schauprozess Selbstkritik und schrieb an Walter Ulbricht:

"Ich habe nun meine seit meiner Rückkehr nach Deutschland geschaffenen Arbeiten geprüft und habe feststellen müssen, daß die Vorwürfe zu Recht erhoben wurden. Denkfaulheit, ungenügendes Anpassungsvermögen an eine durch 24-jährige Abwesenheit fremd gewordene Umwelt und ein gewisses Ausruhen auf alten Lorbeeren waren die Ursachen."

Max Lingner starb, bevor das Bild endgültig angebracht wurde.

Der DDR-Kunsthistoriker Hellmuth Heinz deutet zwar in seinem Artikel über Lingner an, dass es bei dem Wandfries zu Unstimmigkeiten kam, verrät aber nichts Genaueres und resümiert stattdessen genauso pathetisch wie der Stil, der von Lingner verlangt wurde, und in einer unglaublichen Entstellung:

„Max Lingner hat große Maßstäbe an sein Schaffen gestellt: realistischen Traditionen verpflichtet, tief mit der Gegenwart verbunden, Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft zu sein. Sie entsprachen den hohen Zielen, dem Mut und Opfer der Kämpfer der Arbeiterklasse. Er hat sie als Beispiel vorgelebt.” In Wahrheit wurde ihm von der SED der Wille gebrochen.

Umfangreiche Erläuterungen gibt die Biographie zu Lingners langjährigem Aufenthalt in Frankreich, wo er “mitgekämpft”, “geteilt”, “seinen Mann gestanden”, “teilgenommen”, gar “aus verantwortlicher Moralität leidenschaftlich Anteil teilgenommen” habe, und so geht es in einem fort in der Beschreibung dieses heroischen Lebensweges.

Der oben in der Legende von “Mademoiselle Yvonne” zitierte Artikel sagt nüchtern und schonungslos das, was zur vollen Wahrheit noch fehlt:

"Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Lingner als 'dangereux agitateur communiste international' eingestuft und verhaftet. Die folgenden fünf Jahre verbrachte er in verschiedenen Internierungslagern, unter anderem war er über ein Jahr lang im größten französischen Lager Gurs."

Eine weitere schwere Entgleisung leistet sich der Band auch bei der Biographie des Bildhauers Will Lammert, dessen bekanntesten Werke die Gefangenengruppe an der Gedenkstätte Ravensbrück und Thomas Müntzer in Mühlhausen sind.

Im Vorwort wird „die brüderliche Freundschaft zur Sowjetunion” herausgestellt, die die Kunstschaffenden mitbegründen geholfen hätten (der Stil des Originaltextes ist so sperrig; PE). Den Künstler Will Lammert habe (so schreibt ausgerechnet seine Frau) seine Haltung und seine Einstellung „ein Wirkungsfeld in der Sowjetunion finden lassen und zu einer hohen Wertschätzung und Achtung bei seinen sowjetischen Kollegen geführt.”

Das mag sein – in späteren Jahren. Dabei wird aber unterschlagen, dass Will Lammert während der Kriegszeit innerhalb der Sowjetunion, in die er als Kommunist geflohen war und deren „Solidarität” er bitter nötig gehabt hätte, mehrfach verbannt wurde, zuletzt gar in eine „Arbeitsarmee”, und dies nur, weil er Deutscher war. Die Verbannung wurde bis 1951 (!) aufrecht erhalten.

Solche Geschichtsverfälschungen sind traurig und erschütternd. Wenn dann Willi Sitte zudem im Vorwort seine Rede auf dem „VII. Kongress des Verbandes Bildender Künstler der Deutschen Demokratischen Republik” zitiert und von schweren Lebenskämpfen der Künstler spricht, von ihren „Irrtümern und Fehlern”, durch die sie hindurch gemusst hätten – dann ist es bitterer Zynismus.

Jedoch schmälert das alles nur unwesentlich die viele schönen Entdeckungen, die man in diesem Band machen kann.

Als ein Beispiel sei der famose Bildhauer Fritz Cremer genannt, der vor allem durch seine Gestaltung der Gedenkstätte Buchenwald bekannt wurde. Einen Gesichtsausdruck von trauernden, gedemütigten Menschen mit einem frappierenden, detailgetreuen Realismus aus Stein herauszumeißeln – das ist schon allerhand.

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Fritz Cremer: Mahnmal Ravensbrück (1959)
(Detail)

Abbildung aus dem besprochenen Band.

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Martin Erbstößer: Die Kreuzzüge

Gerne gingen DDR-Verlage Kooperationen mit westdeutschen Verlagen ein. Das war gut für’s Renommee, für den kulturell-wissenschaftlichen Austausch und brachte der DDR willkommene Deviseneinnahmen.

Ein gutes Beispiel dafür die Arbeit des Leipziger Historikers Martin Erbstößer über die Kreuzzüge. das Werk erschien im Verlag für Kunst und Wissenschaft, Leipzig, und parallel im Prisma Verlag Gütersloh. (Das abgebildete Exemplar ist die 2. Auflage 1980 vom Prisma Verlag und befindet sich bereits seit 1983 im Bestand des Chronisten.)

Modernes Layout und eine vorzügliche Aufmachung hatten zahlreiche Nachauflagen in BRD und DDR zur Folge.

Eberhard & Elfriede Binder: Sonne, weck den Igel auf

Eberhard & Elfriede Binder:
Sonne, weck den Igel auf


Hier wird die Liebe zur Natur gelehrt und das Verständnis für ihre Zusammenhänge gefördert.

Auf doppelseitigen Illustrationen wird immer dieselbe Szenerie vom Dezember bis Ende April gezeigt, ein Feld in der Nähe eines Dorfes. Ein Igel liegt geschützt in einem alten Eimer und das volle Leben rollt über ihn hinweg.

Die Jahreszeiten ändern sich, das Wetter auch, und die Geschichte geht vom Hereinbrechen des Winters bis fast in den Frühsommer.

Detailreichtum, Naturtreue, herausragend gestaltete Farbigkeit und Fröhlichkeit der Szenerien beweisen das große Können der beiden Grafiker Eberhard und Elfriede Binder.

Aber die Geschichte hat auch eine pädagogische Bedeutung: so schön es ist, gut und lang zu schlummern – man muss auch mal wieder aufstehen. Und dann hat man richtig Hunger und braucht ein gutes Frühstück.

Während Elfriede Binder nie groß heraus kam (die Gründe sind nicht erfindlich), wird ihr Mann Eberhard (1924–1998) zu den bedeutendsten Kinder- und Jugendbuchillustratoren der DDR gerechnet. Er gestaltete rund 800 Bücher, darunter in hoher Qualität auch einige Science-Fiction-Werke. Science Fiction in der DDR? Ja, auch das gab es.

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Ein Blick nach Österreich

Die schönsten Bücher Österreichs 1976

Für den österreichischen Wettbewerb waren 69 Titel eingereicht worden, was einem erneuten Rückgang gegenüber den Vorjahren entspricht. 12 Werke wurden insgesamt ausgezeichnet.

Österreich konnte wieder seinen Trumpf der Malerei ausspielen. Kolo Moser, Oskar Kokoschka und A. P. Gütersloh räumten gleich ein Viertel der Preise ab. Hätte man aber die Veröffentlichungen, die auf die Wiener Secession und die Schule des Phantastischen Realismus zurückgehen, nicht, sähe es seit Jahren eher trist aus im Wettbewerb.

Den “III. Staatspreis” erhielt eine Sammlung von frühen Grafiken von Oskar Kokoschka (“OK Die frühe Graphik”), limitiert auf 1000 numerierte Exemplare. Diese werden von Sammlern gut behütet. Falls überhaupt einmal ein Exemplar auf dem Markt auftaucht, wird es mit bis zu 680 € gehandelt. Die Titelvignette des Auswahlheftes ist diesem Band entnommen.

Das “K. u. K. Marinealbum” (als viertbestes Buch “Diplom des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie”) erinnert daran, dass Österreich einmal

eine Großmacht war und eine territoriale Ausdehnung bis ans Mittelmeer hatte. Die österreichische Marine war 1914 die sechstgrößte Kriegsflotte der Welt. Hauptstützpunkt war der Hochseehafen von Triest.

Das Auswahlheft bleibt in seiner Qualität, vor allem wegen seiner vielen Reproduktionen aus den prämiierten Büchern, seinem intelligenten und aufwendigen Layout, der durchgehenden Farbigkeit, der hervorragenden Druckqualität auf Kunstdruckpapier und dem großen Format, seinen Pendants aus der BRD, der DDR und der Schweiz haushoch überlegen.

Das war man wohl seiner Tradition bei den Bildenden Künsten schuldig!

Wie man bei aller Schönheit aber auch detailgenau war (Anspruch des Jugendstils: Ästhetik und praktische Verwertbarkeit), zeigt das Beispiel der Angaben nur zu den verwendeten Papieren beim unten vorgestellten Buch Kolo Moser:

„Papier: Holzfrei glänzend weiß Euroart 135 g/m2 (Schutzumschlag); holzfrei matt weiß Euroart 135 g/m2 (Textteil); beide Papiere von Borregaard Industries Limited, Hallein, über Gustav Roeder & Co. GmbH, Papiergroßhandlung, Wien. Fabriano-Ingres braun 351780 (Vorsatz), von Cartiere Miliani, Fabriano/Italien, über Gruber & Schmidt OHG, Wien.
Einbandstoff: Efalin 121 schwarz von Zanders Feinpapiere GmbH, Bergisch Gladbach/BRD, über Peyer & Co. AG, Wien.”

Nicht nur die Hersteller und genauen Typenbezeichnungen werden genannt, sondern auch die Lieferanten.

Genauso wird es auch beim Katalog selbst praktiziert:

„Der Katalog wurde gesetzt in 10 und 12 Punkt Garamond-Antiqua (Fotosatz). Umschlagentwurf und Gestaltung: Hans Schaumberger, Wien, unter Verwendung einer Illustration aus dem Werk „OK Die frühe Graphik", ‘Melancholie’. Druckverfahren: 4- und 2farbiger Offsetdruck. Druckstöcke: Seyss Offset-repros und Druckplatten Gesellschaft mbH., Wien. Papier: Innenteil gedruckt auf holzfrei Refena-Super weiß 135 g/m2 von Leykam-Mürztaler Papier- und Zellstoff AG. Umschlag Bütten-Kupferdruckkarton 250 g/m2 Nr. 7315/2 elfenbein, Vorsatzpapier Bütten-Ingres 90 g/m2 Nr. 2806 elfenbein von Papierfabrik Zerkal, Renker & Söhne, Hürtgenwald, Zerkal/BRD, über Josef Stiassny, Feinpapier-Großhandlung, Wien und Brunn am Gebirge. Druck: Brüder Rosenbaum, Wien.”

Man erkennt daran, dass der Wettbewerb sich nicht an das große Lesepublikum wandte, sondern an die Branche selbst sowie an bibliophile Endkunden.

Auch beim Sponsor weiß man sich artig zu bedanken:

„Der Hauptverband des österreichischen Buchhandels in Wien als Veranstalter des Wettbewerbs und Herausgeber dieses Kataloges dankt dem Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie für die verständnisvolle und großzügige Förderung.”

Zahlte die Jury für die Zuwendungen auch einen Preis?

Unterschiede zwischen BRD, DDR, Österreich und der Schweiz: Nationaler/Internationaler Fokus

Österreich
verzeichnete im Vergleich mit den anderen deutschsprachigen Ländern im Wettbewerb der „schönsten Bücher” deutlich weniger internationale Autoren und Themen. Ob Reiseführer, Fotojournalismus, selbst im Bereich der Belletristik: es kamen stark vorwiegend österreichische Autoren vor, die sich österreichischen Themen widmeten.

Nachdem der Chronist 25 Jahrgänge der vier Länder verglichen hat, ist im Auswahlverzeichnis ein etwa in Wien, Salzburg oder Graz erscheinender Fotoband über die Sahara und ihre Bewohner für ihn schwer vorstellbar.

Unklar ist, ob die Jury aus „Rücksicht” auf den Sponsor eine solche Auswahlpolitik betrieb. Oder waren es die Verlage selbst, die in ihren Veröffentlichungen eine solche Kirchturmspolitik betrieben? Zensierten sie sich selbst bei ihren Einsendungen an die Jury? Oder war es letztlich doch ein bisschen die österreichische Mentalität, zufrieden zu sein damit, was im eigenen Land passiert? Wahrscheinlich eine Mischung von alldem.

Natürlich muss man berücksichtigen, dass den österreichischen Lesern mit ihrer deutschen Muttersprache auch die gesamte Bandbreite der bundesdeutschen Verlage zur Verfügung stand. Aber ein Suhrkamp, ein Fischer oder ein Rowohlt Verlag gab und gibt es in Österreich einfach nicht. Und zu diesen bundesdeutschen Verlagen gingen aber sehr schnell die Autoren wie Peter Handke oder Elfriede Jelinek, sobald sie größeren Erfolg hatten.

Der Buchmarkt der Bundesrepublik Deutschland war – soweit es man es im Wettbewerb ablesen kann und es auch der eigenen Erfahrung entspricht – sehr international ausgerichtet. Alles, was irgendwo Erfolg hatte, wurde verlegt und vom Publikum begierig aufgegriffen. Immer hatte man aber den Eindruck, dass dem so verstandenen Fortschritt und der aktuell gültigen Ideologe entsprochen werden musste. Außerdem erscheint die BRD im Vergleich der Wettbewerbe immer am intellektuellsten, am nachdenklichsten, auch am bemühtesten.

Die Schweiz war als mehrsprachige Handelsnation auch auf dem Buchmarkt sehr global ausgerichtet, vielleicht noch mehr als die BRD, und wirkte vor allem offener und weniger ideologisch. Da, wo manches in der BRD gezwungen wirkte, schien es in der Schweiz die Freude am Genuss und an der Qualität im Vordergrund zu stehen.

Eine internationale Ausrichtung hatte auch der Literaturmarkt der DDR, der wohl im Wettbewerb einigermaßen repräsentativ abgebildet wird. Dabei wurden zwar auch sozialistische und humanistische Traditionen aus dem Westen aufgegriffen, aber die in allen Literaturgattungen überwiegende Ausrichtung auf den sozialistischen Block bis hin zu den ständig aufgelegten Märchenbüchern aus den „sozialistischen Bruderstaaten” war extrem stark ausgeprägt und der Literaturmarkt dadurch sehr eingeengt. In der Rückschau ist es unfassbar und konnte auf Dauer nicht gut gehen, wie viel den Bürgern der DDR auch kulturell vorenthalten wurde.

Werner Fenz: Kolo Moser

Werner Fenz: Kolo Moser

Der Band, angereichert mit verständlichen Textbeiträgen, zeigt Einblicke in das Lebenswerk von Koloman „Kolo” Moser, der einer der bekanntesten und besten Vertreter der Wiener Secession war.

Kolo Moser war so vielfältig begabt, dass ihn der Schriftsteller Hermann Bahr den „Tausendkünstler” nannte, denn er war auch kunstgewerblich tätig: Textilien, Möbel, Glasfenster, allem versuchte er seinen unverwechselbaren Stempel aufzudrücken. Am besten sind aber wohl seine Grafiken und Illustrationen –  Jugendstil in Perfektion.

Blättert man im Buch, springt einem Seite für Seite eine Schönheit entgegen, die einem den Atem verschlägt.

Die 91 Abbildungen des Bandes, viele davon in Farbe, sind durchweg in hervorragender Qualität.

Als Kunstband hätten das Format und einige Abbildungen etwas größer sein können. Jedoch ist alles an dem Buch so erlesen und hochwertig, dass dieser kleine Nachteil kaum ins Gewicht fällt. Es war wohl eine Kostenfrage, denn schon im Format 20,3 x 24,5 cm kosteten die 3000 gedruckten Exemplare je 385 Schilling, was damals etwa 55 DM entsprach.

Das Werk erhielt den „II. Staatspreis des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie”.

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Selbstbildnis, um 1908.

Postkarte zur ersten Secessionsausstellung 1898.

Abbildungen aus dem besprochenen Band.

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A. P. Gütersloh: Beispiele
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A. P. Gütersloh: Beispiele

Das Buch liefert ein vorläufiges Werkverzeichnis mit ausgewählten Beispielen des Malers und Schriftstellers Albert Paris Gütersloh (eigentlich: Albert Conrad Kiehtreiber) (1887–1973), der als Vater der Schule des Phantastischen Realismus gilt.

Die Gemälde haben oft einen naiven bis surrealistischen Einschlag. Die Vignetten auf den farbigen Trennblättern zeigen, dass Gütersloh auch die klassische Zeichenkunst beherrschte.

A. P. Gütersloh

Abbildung aus dem besprochenen Band.

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...was macht die Schweiz?

Die schönsten Schweizer Bücher 1976

Gegenüber dem Vorjahr gab es bei den Einsendungen einen Sprung nach oben: 324 Titel wurden eingereicht (1975: 253). Was sich nicht änderte: “das Ausbleiben von völlig neuen Gestaltungen” und “das Beharren auf bewährten Formen” – das entsprach, wie bereits vom Chronisten beim bundesdeutschen Wettbewerb mehrmals hervorgehoben,  der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung.

Die regionale Verteilung blieb ähnlich wie in den Jahren zuvor: 266 aus der deutschen Schweiz, 55 aus der Westschweiz, 3 aus dem Tessin. Ausdrücklich wird das Fehlen der 4. Schweizerischen Sprache, also des Rätoromanischen, bedauert. Noch vor einigen Jahren war das keiner Erwähnung wert, falls überhaupt als vollwertige Sprache wahrgenommen.

36 Titel wurden prämiiert, die bisher höchste Anzahl im Wettbewerb. Damit schloss man schon fast zur BRD auf. Bei den riesigen Unterschieden in der Buchproduktion und den wohl harten Maßstäben der Jury schon sehr beachtlich für die Qualität der Schweizerischen Verlage.

Die Jury war bei vielen Büchern nicht einhelliger Meinung, es sei zu “temperamentvollen Diskussionen” gekommen. Oft seien es nur “für den Fachmann erkennbare Mängel” gewesen,

die eine Auszeichnung verhindert hätten. Als Beispiele werden “Einband, Papierqualität, angenehme Handhabung usw.” genannt. Mehr Transparenz wird leider nicht hergestellt. Gerade über die Kriterien der “angenehmen Handhabung” hätte man sich etwas Aufklärung gewünscht. Und die Einsender mit einem “usw.” abzuspeisen, ist sehr unbefriedigend und wäre wohl heute (2018) nicht mehr denkbar.

Unterschiede zwischen BRD, DDR, Österreich und der Schweiz: Vorworte der Auswahlhefte


Vergleicht man nicht nur für diesen Jahrgang, sondern über die Jahre hinweg die Vorworte, kommt man zu sehr interessanten und für die unterschiedlichen Mentalitäten typischen Ergebnissen.

In der BRD ist der sehr hohe intellektuelle Anspruch auffällig, der Seiten über Seiten zum Ausdruck gebracht wird, aber wahrscheinlich auch der hohe Rechtfertigungsdruck.

Eine noch umfangreichere Darstellung findet man in der DDR, allerdings mehr in die Praxis und in die Breite gehend. Am Anfang steht immer eine ideologische Rückversicherung.

Die paar Sätze in den österreichischen Heften machen eine Interpretation schwierig. Die Jury meint wohl, die Ergebnisse sprechen für sich.

Die Schweiz bleibt am ehesten übersichtlich und bündig. Die vorgegebene eine Seite im Layout wird immer sehr korrekt  eingehalten.

Edgar Pelichet / Michele Duperrex: La Ceramique Art Nouveau

Edgar Pélichet / Michèle Duperrex:
La Céramique Art Nouveau

Die in Lausanne erschienene Reihe "Les Editions Du Grand-Pont" widmete sich Kunsthandwerk und regionalen landschaftlichen Besonderheiten.

Kunsthandwerklich sehr gut gemacht ist auch das großformatige Buch. Die Epoche des Jugendstils in der Keramik wird vorbildlich dargestellt. Stil, Entwicklung, Fabrikanten und Künstler werden übersichtlich erschlossen. Auch die deutschen Hersteller sind natürlich alle vertreten. Selbst die Gravuren, die in der Keramik, in der Regel am Boden, hinterlassen wurden, werden detailliert aufgeführt und erklärt.

Die Jury schreibt: “Sujet bien servi par de remarquables photographies. Approche conséquente d’une epoche.” Die Foto- bzw. Abbildungsqualität hält der Chronist aber nur für durchschnittlich. Sie hätte klarer und brillanter ausfallen können.

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Hochgeladen am 11. Dezember 2018; zuletzt aktualisiert am 29. Juli 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Buch-Galerie Silvia Umla (Auswahlhefte BRD und DDR), Pandora Antiquariat, Nordwalde (Gustav Regler), Bibliographica Hamburg (Marienbader Korb), Fahlbusch-Bücher (Wegbereiter), Cottage-Antiquariat, Langenzersdorf (Auswahlheft Österreich), Antiquariat Löcker, Wien (Gütersloh), Mister Book Klaus Ennsthaler, Steyr (Kolo Moser), Bouquiniste Penchenat Jean Guy, Pierrelaye (Céramique).

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