Das Jahr 1969 machte nicht nur das Dezennium voll (das streng mathematisch ja erst 1970 endete). Das Jahr war auch tatsächlich in vielerlei Hinsicht Abschluss und Höhepunkt einer aufregenden Zeit voller Umbrüche.
In der Bundesrepublik Deutschland verlor die CDU die Macht. Nach den Septemberwahlen bildeten SPD und FDP die sozialliberale Koalition. Damit stellte die SPD zum ersten Mal seit 1930 wieder den Regierungschef in Deutschland. Am 28. Oktober 1969 sprach Willy Brandt im Bundestag die legendären Worte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“
Das Ereignis, das aber die ganze Welt in Bann zog, war die erste Mondlandung. Am 20. Juli 1969 betrat als erster Mensch der Amerikaner Neil Armstrong, Kommandant des Raumschiffes Apollo 11, den Erdtrabanten. Auch seine Worte wurden berühmt: “That’s one small step for a man, one giant leap for mankind.”
In der Musik steht das Jahr 1969 für Woodstock, das legendäre Festival der Rockmusik, einzigartig in seiner Wirkung noch auf Jahrzehnte. Dieses Jahr war auch die Geburt der progressiven Rockmusik. Gruppen wie King Crimson, Yes, Genesis, Van der Graaf Generator und Renaissance brachten ihre Debutalben heraus.
Die schönsten deutschen Bücher 1969
Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main
Das Heft hat einen sehr edlen, farbig auf den Einband abgestimmten Vorsatz, ansonsten aber dieselbe Machart wie in diesem ganzen Zeitraum bis 1978. Die Seiten der prämierten Bücher werden jedes Jahr ein bisschen besser reproduziert.
Im wieder relativ ausführlichen Vorwort von Hans Peter Hillberg (Stiftung Buchkunst) wird dargestellt, wie die einzelnen Literaturgruppen im Wettbewerb abgeschnitten haben. Auffällig ist die ausdrückliche Aufforderung an die Verlage der fachwissenschaftlichen Werke, „überkommene Gestaltungs-Vorurteile” hinter sich zu lassen. Selbst die „Überwindung der Grenzen des Mediums Buch”, wie sie die Juroren im Bereich der Kataloge und Werbedrucke feststellen, wird positiv herausgestellt – vor einigen Jahren noch undenkbar. Kein Zweifel, beim Wettbewerb der „schönsten deutschen Bücher” wehte ein neuer Wind.
Leider wurden aber tatsächlich vor allem im Bereich der Belletristik wieder „Experimente” ausgezeichnet, die zu einer völligen Auflösung jeglichen Layouts führten. Was soll es, wenn man ein Buch beständig drehen muss, um Zeile für Zeile zu lesen? Oder wenn die Spalten einer Seite partiell ineinanderlaufen? Seiten, auf denen nur 3 Wörter stehen? Text, der einen Weihnachtsbaum darstellt? Schwer zu erkennende Schwarz-Weiß-Collagen im Taschenbuchformat? So fünf der ausgezeichneten Werke...
Dennoch und bei aller Kritik am Detail fand eine wahre Explosion an Kreativität und neuen Formen statt. Da war die Firmenschrift „50 Jahre Madaus”, voll mit aufklappbaren und beweglichen Extras, das 3-Kilo-Buch „13 Foto-Essays”, dessen überdimensionierte Seiten sich noch mal ausklappen lassen... Nichts dergleichen gab es in der DDR.
57 von 493 eingesandten Büchern wurden ausgewählt. Prämiert wurde auch: „Die schönsten deutschen Bücher 1968”. Schon kurios, dass man sich selbst auszeichnete.
Udo Kultermann: Neue Formen des Bildes
Udo Kultermann (1927–2013) war einer der bedeutendsten Kunstkritiker und -historiker der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts. Im vorliegenden Band, Teil einer mehrbändigen Reihe, stellt er zeitgenössische Richtungen der Bildenden Kunst vor. Pop-art, Op-art sind einige Schlagworte, deren Verwendung Kultermann allerdings samt und sonders ablehnt.
In seine lesbar geschriebene Abhandlung bezieht Kultermann jeweils als Ausgangspunkt, als auch vielfach als Referenz die gesamte Kunstgeschichte ein. Sein Kenntnisreichtum ist unfassbar.
Das Buch hat jede Auszeichnung verdient (außer für den Schutzumschlag). Der Wasmuth Verlag produzierte einen hochwertig aufgemachten, schwergewichtigen Band mit einem toll gesetzten Layout und einer hervorragenden Abbildungsqualität. Das Werk ist wunderbar mit Fadenheftung gebunden. Es hat einen edlen Vorsatz, farbige Trennblätter und ist sehr intelligent und übersichtlich aufgebaut.
Mir liegt ein wundervolles, druckfrisches Exemplar des Antiquariats Pressler vor.
Dass Kultermann ein „aficionado” der „modernen Kunst” war und ihre diversen Richtungen in aller Ausgiebigkeit, ja Kritiklosigkeit abfeiert (siehe z. B. die euphemistischen Formulierungen auf S. 65), überrascht nicht weiter. Seine Einschätzung der gesellschaftlichen Relevanz der zeitgenössischen Kunst muss man nicht teilen, ist es doch nach wie vor überwiegend der Kunstbetrieb, in dem weite Teile dieser Werke überhaupt eine Rolle spielen und dem der Verlag sein Coverbild widmete, in der Mitte deutlich Gabriele Henkel.
Erwin Fieger: 13 Photo-Essays
Ein handwerklich hervorragend gemachtes Buch. Papier, Bindung, Einband, Umschlag, Layout (sofern dafür Platz gelassen wurde), alles hochwertig und edel.
Aber die damalige Begeisterung der Fachkritik für den Inhalt, die Reisefotos von Erwin Fieger (1928–2013), ist schwer nachvollziehbar. Allzu oft stößt Fieger an die Grenzen seines Materials und darüber hinaus. Allzu sehr merkt man, dass die Agfa Kleinbild-Dias, die er mit Asahi Pentax schoss, die Vergrößerung auf das Überformat des Buches, oft sogar auf Doppelseiten, nicht hergeben. Ganz arg wird es, wenn für die Arbeit in Innenräumen oder des nachts schnelle, grobkörnige Filme verwendet wurden.
Zweifelsohne ist die journalistische Herangehensweise Fiegers interessant, und es sind einige wirkliche “Treffer” bei den Aufnahmen, aber häufig sind es auch Schnappschüsse ohne einen durchdachten Bildaufbau.
Das Vorwort des Sammlers und Photographiehistorikers Helmut Gernsheim
(1913–1995) ist in seiner distanzlosen, extensiven Lobhudelei überaus peinlich. "Nur ganz wenige Photographen verfügen über diese Fähigkeiten"; das Werk "dürfte die höchsten Erwartungen übertreffen"; "photographische Ausdruckskraft auf einen bisher unerreichten Höhepunkt gesteigert"; Fieger "überlässt es den kleinen Fischen, mit dem Strom zu schwimmen". Dies nur ganz wenige Beispiele.
Das Buch kostete 1969 unfassbare 189 DM. Es wurde in einer hohen Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt, die scheinbar auch wegging, denn es sind nur noch wenige Exemplare antiquarisch erhältlich.
Werbung in Deutschland '69
Es ist höchst unterhaltsam und anregend, in diesem hervorragend und sehr aufwendig gemachten Wälzer zu blättern. Man blickt nicht nur in ein "Spiegelbild der Werbung" (Die Welt), sondern auch der damaligen Zeit.
Sehr aufschlussreich sind die den Werbekampagnen jeweils vorangestellten erläuternden Texte mit Insiderwissen. Ganz genau lassen sich so die ausgeklügelten und raffinierten Strategien zum Marketing und zur Manipulation der Verbraucher verfolgen. Meist geht es gar nicht um neue Produkte, sondern darum, bestehenden ein neues, moderneres Image zu verschaffen.
Das war auch erforderlich, denn man befand sich in einer Zeit großer Umbrüche. Man sieht es auch an der Werbung, die in bestimmten Bereichen immer freizügiger wird. Beine bis zum Ansatz, Brüste. Die kulturelle Revolution der 60er, v. a. der zweiten Hälfte, lässt sich kaum besser studieren als in der Werbung. Offen wurde jetzt z. B. über die weibliche Menstruation gesprochen, als „ob” mit behutsamen Schaubildern und viel medizinischer Information „eingeführt” wurde.
Die meisten Produkte und Anbieter gibt es immer noch. Einiges, wie die großen deutschen Kunstfaserhersteller, ist verschwunden und von der Globalisierung hinweggefegt.
Lustig auch, wie noch ein Jahr vor der desaströsen, betrügerischen Pleite des milliardenschweren Investmentkonzern IOS (Investors Overseas Service) noch scheinbar seriös für dessen Produkte geworben wurde.
Am besten war in dieser Zeit die Werbung von Doyle Dane Bernbach, am aufregendsten die Arbeiten von Willy Fleckhaus für „Twen”.
Der Wettbewerb in der DDR
Die schönsten Bücher der DDR 1969
Die Auswahl der „schönsten Bücher der DDR” wirkt, gerade im Vergleich mit den anderen deutschsprachigen Ländern, zunehmend altbacken und bieder. Leider ein Eindruck, der sich auch nie mehr ändern sollte.
Bei der Auflistung der Bände werden auch 1969 unvermeidlich zunächst wieder Marx, Engels und Darstellungen des Staates DDR abgearbeitet – wie lange würde das wohl noch so bleiben?
Am deutlichsten ist die dezente Langeweile im Bereich der Belletristik, wo es kaum mal was Neues, Unkonventionelles gibt. Das hatte die SED-Führung 1965 durch das 11. Plenum ja auch nachhaltig abgewürgt. Die kritischen Autoren sahen sich zunehmend auch persönlichen Repressalien ausgesetzt. Statt frischer, aufregender Veröffentlichungen beherrschten die ewigen Klassiker das Bild.
50 von 228 eingereichten Büchern wurden ausgewählt. Zusätzlich gab es 10 “Lobende Erwähnungen”.
Hein Wenzel: Mare Aeternum
Toll (aber konventionell) gemachter, größtenteils in Schwarz-Weiß gehaltener Bildband über das “ewige Meer”. Teils geographisch, teils thematisch geordnet. Vom Autor selbst verfasste Texte werden gekonnt mit Dokumenten aus der Weltliteratur ergänzt. Am eindrucksvollsten und technisch perfekt sind neben den Portraits tatsächlich die Fotos von Wellen, die einen enormen Eindruck davon geben, welchen Gefahren sich ein Seemann aussetzt.
Hochgeladen am 8. Juni 2017; zuletzt aktualisiert am 27. Juli 2021.
Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Antiquariat Ballon + Wurm (Auswahlhefte BRD und DDR), Antiquariat Bernd Preßler (Kultermann), Buchhandlung Bauer, Dinkelsbühl (Mare Aeternum).