1992 wollte es so gar nichts werden mit den goldenen Zeiten “im Osten”. Vielmehr stiegen die Arbeitslosenzahlen in ganz Deutschland weiter und weiter.
Hans-Dietrich Genscher trat von seinem Posten als Außenminister zurück, den er fast 20 Jahren bekleidet hatte. So lange konnte er das allerdings nur, weil er 1982 beim Wechsel der FDP von der SPD zur CDU eine führende Rolle spielte. Den Wählern hatte man den “Partnertausch” aber vorher nicht mitgeteilt. Spätestens seitdem haftete der FDP der Ruf der “Umfallerpartei” an.
In Jugoslawien eskalierte der Krieg weiter. Schrecklich waren die Bilder von der Belagerung und Bombardierung von Sarajevo, der multi-kulturellen und multi-ethnischen bosnischen Hauptstadt. Der deutschen Bundesregierung und ihrem oben erwähnten Außenminister Genscher sprechen kritische Beobachter eine nicht unerhebliche Mitschuld an der kriegerischen Entwicklung zu, da sie vorschnell und ohne Not, motiviert von den üblichen hypermoralischen Ansprüchen der deutschen Politik, die Mitgliedsstaaten von Jugoslawien völkerrechtlich anerkannte.
In den USA wurde ein neuer Präsident gewählt. Bill Clinton hatte fast die junge, dynamische Ausstrahlung eines John F. Kennedy, machte aber nicht so viele Fehler wie dieser. Allerdings war er wohl genauso an außerehelichem Sex interessiert. Legendär seine Aussage “I had no sex with that woman, Monica Lewinsky.” Dadurch wurde Ms. Lewinsky berühmt. Seitdem lebt sie bis auf den heutigen Tag (2021) nur von der Vermarktung dieser von Anfang an von den Medien und dem politischen Gegner leidlich ausgeschlachteten und instrumentalisierten Affäre. Inspiriert von der “MeToo”-Bewegung ließ sie sich gar dazu hinreißen, die Freiwilligkeit ihrer sexuellen Beziehung mit Clinton in Frage zu stellen. Nach 20 Jahren. “Moment mal.... Wollte ich das eigentlich wirklich? Hat er mich nicht irgendwie dazu gebracht, es zu wollen?” Disgusting, Ms. Lewinsky.
Atemberaubend aber auch – gerade wenn man es nach all den Jahren noch einmal sieht – wie Clinton in jener berüchtigten Pressekonferenz vom 26. Januar 1998, nachdem er minutenlang in hehren Worten über den Wert einer guten Erziehung für die Kinder sprach, offen und glatt in die Kamera log.
Die schönsten deutschen Bücher 1992
Die beiden diesmal nur kurzen Vorworte widmen sich hauptsächlich Personalia und sind mit der bei Honoratioren-Reden üblichen Lobhudelei und Selbstbeweihräucherung gespickt (“die Jury erwies sich als außerordentlich kompetent”).
Nicht ins rosarote Bild passt allerdings das vermerkte Ausscheiden des Bundesverbandes der deutschen Druckindustrie aus der Stiftung Buchkunst. Sehr gerne hätte man die Gründe dafür erfahren.
Neuer Vorsitzender der Stiftung und Nachfolger von Wulf D. von Lucius ablöste, war nun Dieter Beuermann. Dieser war Geschäftsführer der Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, die in den letzten Jahren mehrfach bei den Preisträgern verzeichnet war, womit wir wieder bei den unguten personellen Verflechtungen im Wettbewerb sind.
Der Katalog hat einen der schönsten Umschläge der vergangenen Jahrzehnte des Wettbewerbes überhaupt. Das feingesprenkelte Blau hatte etwas von einem Sternenhimmel, und der goldene Prägedruck der Jahreszahl, das war schon sehr edel. Nur war das Material sehr lichtempfindlich, weshalb man auf dem antiquarischen Markt nur Exemplare bekommt, die vom Rücken bis einige cm auf Vorder- und Rückendeckel deutliche Aufhellung zeigen.
Wegen dem teuren Einband musste man offenbar wieder auf Farbreproduktionen der Bücher im Innenteil verzichten, was doch sehr schade war, gerade weil die Preisträger so wie die gesamte Tendenz auf dem Buchmarkt immer mehr vom großzügigen Einsatz von Illustrationen lebten.
Zudem galt es immer, auf irgendetwas Verrücktes gefasst sein, das war die Stiftung Buchkunst wem auch immer wohl schuldig, um als “kreativ” zu gelten. Diesmal machten die Gestalter des Kataloges den Fehler, die prämierten Bände im richtigen Größenverhältnis zueinander abzubilden. Das macht der Chronist hier auf diesen Seiten seit dem Jahrgang 1951, jedoch hat man bei Webdesign ganz andere Möglichkeiten, da die “Seite” im Prinzip unendlich groß sein kann. Beim Printdesign ist das natürlich unsinnig, weil die Seitenfläche des Kataloges bei einem Format von 24 x 17 cm abzüglich der Ränder dann für die kleinsten Bücher nur noch grotesk wenig Fläche vorsieht und der Platz auf den Katalogseiten verschenkt wird (siehe Beispiele; vgl. die Abbildung des London-Führers unten).
49 von 664 eingereichten Titel wurden ausgezeichnet, weiterhin gab es 9 Lobende Erwähnungen. Damit ist erneut das vielleicht größte Manko des Wettbewerbes genannt: nur ein winzig kleiner Ausschnitt des Buchmarktes kam überhaupt zur Bewertung. Laut Branchenreport “Buch und Buchhandel in Zahlen 1993” wurden 1992 in Deutschland 67.277 Titel aufgelegt. Hinzu kamen Druckwerke, die nicht in den Handel kamen, wie Unternehmens-Festschriften und ähnliches, die aber bei der Deutschen Nationalbibliothek eingereicht und beim Wettbewerb auch häufig vorgelegt wurden. Man wird nicht sehr fehlgehen, die Gesamtproduktion auf mindestens 70.000 Titel zu schätzen. Die Jury bei der Stiftung Buchkunst traf also ihre Auswahl aus höchstens 0,08 % der in Deutschland erschienenen Bücher.
Unter anderem daraus erklärt sich, dass im Wettbewerb immer wieder dieselben Verlage und Buchgestalter auftauchten. Seit einigen Jahren sah man zum Beispiel regelmäßig den Nieswand Verlag, hier auch mehrmals vorgestellt, unter anderem 1991 mit dem Jazz-Band von Ydo Sol. Ein weiterer prämierter Jazz-Band folgte 1992. Dass dann der Nieswand-Verlag als Sponsor auftrat und den Katalog des Wettbewerbes 1992 druckte, das sind Interessensverflechtungen, die einfach nicht angehen.
Aber es kommt noch schlimmer. Eines der ausgezeichneten “Werke” war der eigene Katalog des Vorjahres. Diesen Fauxpas erlaubte sich die Stiftung Buchkunst nach 1969 (für den Katalog von 1968) zum zweiten Mal.
Dass man das sowas macht, ist eine Frage des Stils und der methodischen Sauberkeit. Aber dann noch einen Katalog mit Designfehlern auszuzeichnen, dafür fehlen (veröffentlichungsfähige) Worte.
Es macht keinen Spaß mehr, den Wettbewerb zu begleiten.
Helga Quadflieg / Christine Boving: London
Das Eine gute Wahl. Hier ist alles, wie es sein soll und früher in den meisten Städteführern auch war. Fachkundiger, ausführlicher Text, gegliedert in Rundgänge von 2–3 h Dauer (gerechnet auf die Wegstrecke, also z. B. ohne die Museumsbesuche).
Übersichtliche Pläne, sowohl für die Stadtviertel als auch für die Verkehrsanbindungen.
Insgesamt eher ein Kunstreiseführer, da Geschichte, Architektur, Museen usw. ausführlich gewürdigt werden, Hotels, Restaurants und Geschäfte hingegen kaum vorkommen – ein Buch also für Menschen, die wirklich etwas sehen und lernen wollen und für die nicht „Shoppen” das größte und wichtigste „Event” einer Städtereise ist.
Nicht zu viele Fotos, wie in den heutigen Reiseführern, nach deren Lektüre es nichts mehr zu entdecken, sondern nur noch abzuhaken gibt.
Im Internet-Zeitalter sind allerdings selbst neuere Reiseführer, die voll mit bunten Bildern und Empfehlungen von Restaurants und Läden sind, fast schon überholt. Viele Leute, die überwiegend noch zum „Shoppen” und Fr***** herumfahren, stellen sich heute vor ein Restaurant und rufen die entsprechenden Bewertungen bei Tripadvisor etc. auf. Welch ein Kulturverlust.
Der sich schon um 1990 verändernde Markt brachte es wohl mit sich, dass der vorliegende Band einer der letzten der Artemis-Führer war, die ihre große Zeit Ende der 80er / Anfang der 90er hatte, als die Reisenden noch nicht mit Text überfordert waren und die Exzesse des Massentourismus, ermöglicht vor allem durch die Billigflieger und die endlose Küstenstriche verschandelnden Hotelneubauten, noch bevorstanden.
Die Umschlagillustration erscheint sehr unglücklich gewählt. Sie ist für den Stil des Buches nicht im Geringsten repräsentativ oder exemplarisch und auch als Fotografie missraten. Manchmal ein Rätsel, wie solche Entscheidungen fallen. Da tun sich wohl eher die Marketing-Experten hervor.
Ein weiterer, für Sammler und Bücherliebhaber leider empfindlicher Makel: der (etwas prahlerische) Aufkleber der Stiftung Buchkunst lässt sich nicht ohne Rückstände und ohne den Umschlag zu beschädigen lösen.
Aber insgesamt über die Jahrzehnte eines der besten Bücher des Wettbewerbes. Und ein schöner Abschluss für den Chronisten, der selbst London mehrmals besuchte.
Kursbuch Freie Szene
Rheinland-Pfalz 1992/93
Akteure und Veranstalter der rheinland-pfälzischen Kulturszene werden in einem pfiffig und außerordentlich übersichtlich gelayouteten Handbuch vorgestellt, übrigens komplett in QuarkXPress erstellt – die Verwendung von DTP-Programmen sah man jetzt immer öfter bei den Preisträgern.
Aber so gut das alles war, einige Missgriffe passierten dann doch, aber sozusagen nur „außen”. Warum es ein „Kursbuch” sein soll, ist nicht recht klar. Der dunkle Einband mit der rätselhaften Illustration erscheint unpassend, der oben angeschnittene Titel modischer Schnickschnack. Auch das mikroskopisch klein und mit einem schwer lesbaren Kontrast versehene „freie Szene” ist unglücklich gewählt. „Kultur-Szene Rheinland-Pfalz” – gut und auffällig zu lesen – wäre ein besserer Ratschlag gewesen. Dass es sich um nicht staatlich gebundene Angebote handelt, hätte man ja im Untertitel erwähnen können.
Elke Bussemeier: Vademecum Mac /
In 6 MacTouren vom Einstieg bis zur Computergrafik.
1991 hatte die Stiftung Buchkunst die Taschenbuch-Ausgabe eines Computerbuches von rororo ausgezeichnet, das im Systhema-Verlag erschienene Original aber „übersehen”.
Dass man ein Jahr später einen Systhema-Titel auswählt, zeugt von einem schlechten Gewissen. Man hatte etwas „gutzumachen”. Für die Vermutung einer Konzessionsentscheidung spricht auch die Tatsache, dass Systhema-Verlag vor- und nachher nie mehr beim Wettbewerb zum Zuge kam.
Das Buch an sich liefert in einem äußerst verspielten, teils an ein Kinderbuch (die Sparte, welche die Autorin in den kommenden Jahren auch überwiegend bediente) anmutenden Layout Tips für Mac-User. Im Gegensatz zur Verlagswerbung richtet sich der Inhalt nicht an Profis, sondern an Einsteiger und höchstens Semi-Professionelle.
Das komplette Buch ist in Grau-Weiß gedruckt. Auch der Text ist in Grau gesetzt, sicher zur Erhöhung der Lesbarkeit. Die linke Seite ist grundsätzlich leer, aber nicht weil das Buch äußerlich umfangreicher und gewichtiger wirken sollte als es innerlich tatsächlich ist, sondern um Platz „für Ihre Anmerkungen” zu lassen. Der Preis von 59,00 DM erscheint viel zu hoch für das, was tatsächlich geboten wird. Das alles sind Gesichtspunkte, welche von der Jury hätten bedacht werden sollen.
Die dem Buch beigefügte 3,5” Diskette ist ein Beispiel für den grundsätzlich unaufhaltsamen Verfall digitaler Daten. Die Auslesbarkeit der Daten ist für Normalanwender kaum noch gegeben, alleine schon weil Diskettenlaufwerke fehlen, von anderen Problemen wie Dateikompatibilität, Alterung der Magnetschicht etc. ganz abgesehen.
Unerklärlich ist es, nachdem man den Systhema Verlag nehmen musste, zusätzlich noch ein Mac-Buch des Rowohlt Taschenbuch Verlages auszuzeichnen, erneut aus der Reihe “rororo Computer” und in nur gering veränderter Aufmachung gegenüber dem 1991 ausgewählten Buch. Damit wurden im Prinzip Einzelbände einer Reihe gewürdigt, was den eigenen Richtlinien widersprach.
Lobende Erwähnungen
91/92 Jugendfotografie in Nordhessen
Dass dieses Heft mit Spiralbindung, vertreten bei den “Lobenden Anerkennungen” und damit eines der 58 „schönsten deutschen Bücher” einer Jahresproduktion von rund 70.000 Titeln (siehe oben) war, glaubt kein Mensch und zeigt einmal mehr die Fragwürdigkeit des ganzen Wettbewerbes und der Unzulänglichkeit seiner Anlage.
Angeblich spielt ja die Qualität der Fotos keine Rolle bei der Auszeichnung (und würde es bei diesem Heft auch nicht rechtfertigen). Was bleibt vom Rest?
Allenfalls gefällt das Layout des wie das ganze Heft im Ventura Publisher gesetzte Vorwort, wenn es auch in Gill Sans 9 pt sehr klein geraten ist und die Palatino, in der die Legenden der ebenfalls recht kleinen Fotos der Ausstellungsdokumentation stehen, nicht dazu passen will.
Der Hauptteil der Publikation besteht aus nichts anderem als zwar passend, aber auch nicht anders als konventionell auf die Seiten plazierten Fotos. Zwischen den Fotos und den daneben gestellten Legenden ist der Abstand zu klein. Er darf natürlich nicht kleiner sein als zu den Legenden, die unterhalb der Abbildungen stehen.
Inhaltlich sieht man einige passable Aufnahmen, wie die „Hommes de Paris”. Wie nicht anders zu erwarten, zeigen die Jugendlichen in den meisten Fällen aber die Schattenseiten der Wohlstandsgesellschaft: auffällig oft geht es um Verfall in allen möglichen Variationen. (Das realistische Foto einer auf der Straße liegenden toten Katze sollte allerdings noch nicht zur Auszeichnung in einem Wettbewerb ausreichen.) Außerdem sieht man viele technische Spielereien.
Was genau zur Abstufung unter die „Lobenden Anerkennungen” führte, ist nicht bekannt. Tatsächlich ergeben sich einige Fragwürdigkeiten
Der Umgang mit Farbe erscheint problematisch, da nur einige der Farbfotos auch farbig wiedergegeben wurden. Die Farbreproduktionen sind dabei sehr schlecht und haben Schlieren wie von einem einfachen Tintenstrahldrucker.
Unklar ist die Funktion der Lochung – in welcher Weise kann die Broschüre bei nur einem Loch abgeheftet werden?
Bei quadratischen Maßen ist die Wahl des Hochformats unpraktisch und ohne erkennbaren Sinn.
Überhaupt hatte es die Jury dieses Jahr mit Spiralbindungen. Ausgezeichnet wurde auch der ebenfalls so produzierte Titel „Martin Niemöller – Protestant”, inhaltlich sicher sehr interessant, aber leider auf dem antiquarischen Markt nicht verfügbar (wird vielleicht später nachgereicht). Ob es sich bei solchen Produkten überhaupt um „Bücher” handelt, wäre noch zu diskutieren.
Darstellung endet hier.
Hochgeladen am 2. November 2021. Zuletzt aktualisiert am 2. August 2023.
Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Beauvais, Hannover (London), Antiquariat Bernd Preßler (Jugendfotografie), Antiquariat Petri, Jena (Kursbuch), Versandantiquariat Schäfer, Bochum (Mac).