John Updike
Couples / Ehepaare
John Updike: Couples / Ehepaare
„Couples” schillert in so vielen Facetten und hat so viel Bedeutungsebenen, dass ich nur einige für mich persönlich wichtige Aspekte herausstellen will. Wie immer tue ich dies ohne literaturwissenschaftlichen Anspruch und ohne Kenntnis der einschlägigen Besprechungen. Auch das Schlimmste von allem, die Klappentexte, meide ich.
„Couples” las ich zum ersten Mal im Alter von 34 Jahren in der deutschen Übersetzung mit dem Titel „Ehepaare”. Es war 1990 und ich kann mich noch gut erinnern, auch an die Begleitumstände. Das Zimmer im Souterrain, der Lese-Sessel, der helle Baumwollteppich, das Futon-Bett, die Anlage mit dem neuen CD-Spieler, das Bambusrollo, welches bernsteinfarbenes, gedämpftes Licht mit den Schatten der Kiefer hereinließ.
„Ehepaare” sprach mich nicht so an wie die Rabbit-Romane. Ich fand die „Abhandlung” sperrig, unzugänglich, absonderlich, auch ein bisschen langweilig. Es packte mich einfach nicht, trotz der vorhandenen Ähnlichkeiten mit „Rabbit”.
Nachdem ich mit fast doppelt so vielen Jahren an Lebensalter das englische Original „Couples” gelesen habe (erstanden in der seltenen amerikanischen Erstausgabe bei einem Antiquariat aus Irland), glaube ich zu wissen, woher dieses „Fremdeln” kam. Es lag unter anderem daran, dass sich das Werk erst in der Originalsprache richtig erschließt, nicht so sehr wegen Unzulänglichkeiten der Übersetzung (dazu später mehr), sondern wegen Klang und Rhythmus der Sprache, dem dadurch viel authentischer wirkenden Geschehen und der viel sichtbarer werdenden Genialität des Verfassers.
Nicht zuletzt braucht diese Sprache auch Platz auf den Seiten, ein gut lesbares Druckbild. Wie zuvor der Fischer Verlag bei „Hasenherz” hat leider auch Rowohlt in seiner gebundenen Erstausgabe von „Ehepaare” einen derart kleinen und engen Satz gewählt, dass man meint, ein Taschenbuch mit festem Einband aufzuschlagen. Mal sehen.... Tatsächlich ist die Seitenanzahl beider Ausgaben identisch (488 Seiten).
Vielleicht fehlte mir auch beim ersten Lesen von „Couples” der eine Held (oder Anti-Held), dieser eine zentrale Protagonist wie Harry Angstrom in der Rabbit-Tetralogie. Aber bei zweitem Hinsehen gibt es den Helden von „Couples” sehr wohl.
„Couples” ist nichts weniger als ein Jahrhundertroman, obwohl er nach meinen bescheidenen Kenntnissen von der Literaturkritik und dem Wissenschaftsbetrieb an den Hochschulen nicht so eingeordnet und gegenüber der Rabbit-Tetralogie ein wenig zurückgestuft wird. Dies völlig zu Unrecht. Vielleicht konzentrierten sich die biederen Literaturkritiker beim Erscheinen des Werkes zu sehr auf die im Vergleich mit „Rabbit, run” nochmals expliziteren und extensiveren, für die damalige Zeit schockierenden sexuellen Darstellungen.
„Couples” ist (noch) soziologischer als alle anderen Romane, die John Updike geschrieben hat. Der Verfasser seziert hier Sozialverhalten, Psychologie und Sexualität der Mittelschicht in Neuengland. Dabei entsteht ein ebenso grandioses wie minutiös in den Details dargestelltes Sittengemälde der amerikanischen Kultur Anfang der 1960er Jahre, einer Zeit, die von unverbrüchlichem Fortschrittsglauben, Optimismus und auch sexueller Libertinage (die eben nicht eine Errungenschaft der vielfach verherrlichten 68er Generation war, sondern schon in den 1950ern begann und in den 1960ern ihren Durchbruch hatte) gekennzeichnet war.
Im Wesentlichen umfasst die Handlung eineinviertel Jahre, beginnend im Frühling 1963 und endend im Frühling 1964. In diesen Zeitraum fallen Ereignisse welthistorischer Bedeutung wie die Kubakrise und das Attentat auf John F. Kennedy. Auch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland des Frühjahrs 1963 taucht kurz auf. Auf dem Bürotisch eines Kollegen von Ken Whitman, des Ehemanns von Piets Geliebter Foxy, liegt eine Zeitung mit der Schlagzeile „Erhard Certain to Succeed Adenauer”. Der Roman selbst erschien 1968.
Eine der absoluten Stärken Updikes ist die Multiperspektivität. Wechselt er aber bei den Rabbit-Romanen hauptsächlich zwischen Harry und Janice, gleichbedeutend zwischen Mann und Frau, geht es hier um zehn Paare zusätzlich einiger Kinder (schön in der deutschen Hardcover-Ausgabe die Karte mit den Wohnsitzen im Städtchen Tarbox, einem imaginierten Ort südlich von Boston). Die Aufgabe ist also noch viel anspruchsvoller.
Das hochkomplexe und immer enger werdende Beziehungsgeflecht zwischen den zehn Paaren, also zwanzig Personen, analysiert Updike akribisch in all seinen Verstrickungen, die sich erst lösen, als sich eine Tragödie ereignet.
Typisch dabei für Updike ist die unauflösbare Verbindung zwischen schonungsloser Enthüllung der menschlichen Fehler, aber auch des Mitgefühls für seine Figuren, die sich abstrampeln in ihrem irdischen Dasein, plaziert vom Schöpfer an einen singulären Punkt in Raum und Zeit.
Wie bei den Rabbit-Romanen dringt das Zeittypische des Verhaltens und der Einstellungen der Menschen sehr stark durch, auch wenn sie meinen, sie würden freie Entscheidungen treffen. In jedem Satz der Gespräche, in jeder Entgegnung, in jeder Idee, jedem Gedanken, der aufgegriffen und besprochen wird, spiegelt sich der gesellschaftliche und kulturelle Hintergrund, was mir vielleicht auch umso mehr auffällt, je weiter die Zeit der Handlung in die Vergangenheit rückt. Beim ersten Lesen waren es nicht mal 30 Jahre, jetzt sind es fast 60 Jahre.
Drei Paare stehen im Zentrum des Geschehens, um diese herum gruppieren sich die anderen. In der Mitte der quasi konzentrischen Kreise stehen die Liebenden Piet Hanema und Foxy Whitman, ganz in der Mitte Piet.
Updike verfolgt die Paare zum einen im Beruf, hier überwiegend die Männer, weil nur sie vollzeiterwerbstätig sind. Es ist faszinierend und beeindruckend, wie es dem Autor gelingt, völlig unterschiedliche Persönlichkeiten in ihren Berufstätigkeiten zu charakterisieren. Es ist nicht gerade einfach, gleichermaßen den Alltag eines Bauleiters und eines Molekularbiologen schildern zu können. Bei dem Biologen kommen Updike seine in mehreren Romanen zu beobachtenden profunden Kenntnisse der Naturwissenschaften zugute. Die Kenntnisse über die Renovierung von alten Villen in Neuengland mag er sich bei einer eigenen Hausrenovierung angeeignet haben.
Weiterhin beobachtet wird das Freizeitverhalten, immer wieder, wie so oft bei Updike, der Sport und diesmal besonders intensiv die Parties (enorm der Alkoholkonsum, auch im Alltag zu Hause). Sehr auffällig ist dabei, wieviel Zeit die Menschen in den 1960er Jahren in Gesellschaft verbrachten und ihr dahingehendes Leben nicht an Bildschirmen, in (a)sozialen Netzwerken und beim Bekämpfen des politischen Gegners durch elektronische Kurznachrichten verschwendeten.
Eine der sozialen Aktivitäten, die von überraschend vielen der Ehepartner verfolgt werden, ist Ehebruch. Schwer zu sagen, ob Updike hier aus literarischen Gründen bewusst überzieht oder ob das Geschehen in Tarbox eine gewisse Repräsentativität beanspruchen kann. Einschlägige Umfragen in westlichen Gesellschaften kommen (je nach Fragestellung oder Ehrlichkeit) zum Ergebnis, dass zwischen ein und zwei Drittel der Auskunftgebenden entsprechende Erfahrungen haben.
Was Updike daraus macht, ist alles andere als Pornographie. Eigentlich ist es nicht möglich, dass ein einzelner Mensch der Sexualität – wie überhaupt dem Leben der Menschen auf dieser Erde – so viele Schattierungen geben kann, so viele Bedeutungen, so viele Dimensionen, so viele Bezüge. Die Sinneseindrücke, die der Verfasser für jeden Lebensmoment eines x-beliebigen Alltagsmenschen beschreiben kann, sind unfassbar vielfältig und tiefgehend. Das gilt ebenso für Emotionen, für die Wahrnehmung der Mitmenschen als auch für die Beobachtung der Natur wie zum Beispiel der Marsch und des Meeres vor Foxys Haus.
Der Held des Geschehens ist zweifelsohne Piet Hanema. Er, von Beruf Bauleiter in einer kleinen Firma und eigentlich ein Durchschnittsmensch wie Harry Angstrom, erlebt die Zeit seines Lebens. Er wandelt durch Tarbox, nimmt sich mit unwiderstehlicher Anziehungskraft die Frauen, die er haben will, bei den „Verblichenen” und Betrogenen jede Menge Verletzungen verursachend. Dann überspannt Piet den Bogen und wird zu Fall gebracht. Die Dramatik des Geschehens ist kaum zu überbieten. Wie Donnerschläge bricht es mit biblischer Wucht über den armen Piet herein, eben noch wie ein Gott, jetzt von seiner Frau aus dem Haus geworfen und in einem Schuppen schlafend. Und auch wenn der Held nach einer echten Schreckenszeit weich landet, sind Aufstieg und Sturz von Piet Hanema so bewegend wie wenig, was ich auf den wahrscheinlich hunderttausenden Buchseiten in meinem Leben gelesen habe.
Besonders erschütternd und anhaltend ist die soziale Vernichtung des Protagonisten. Piet Hanema existiert als Mensch noch. Wie in einem Abspann erfahren wir in knappen Worten, dass er seine Geliebte Foxy heiratet und ihr Vater ihm zu einem sehr passablen Job im öffentlichen Dienst verhilft.
Dennoch, für Tarbox ist Piet ins Nichts zurückgetreten.
„Now, though it has not been many years, the town scarcely remembers Piet, with his rattly pick-up truck full of odd lumber, with his red hair and corduroy hat and eye-catching apricot windbreaker, he who sat so often and contentedly in Cogswell's Drug Store nursing a cup of coffee, the stub of a pencil sticking down from under the sweatband of his hat...” (S. 458).
John Updikes Romane, vor allem „Couples”, die „Rabbit”-Tetralogie, sein großes Alterswerk „Villages”, und nicht zuletzt die meisterhaften Kurzgeschichten machen ihn zu einem der ganz großen, meiner Ansicht nach zum bedeutendsten angloamerikanischen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dass er den Literatur-Nobelpreis nicht erhielt, hat drei Gründe. Der erste ist rassistisch: er war weiß. Der zweite ist chauvinistisch: er war US-Amerikaner. Der dritte ist politisch-ideologisch: er war konservativ, außerdem noch bekennender Christ – alles Ausschlussfaktoren der zweitklassigen linken Schickeria, die den Literaturbetrieb beherrscht.
Es müssen noch ein paar Sätze zur deutschen Version gesagt werden, sozusagen „Maria’s Version”.
Die Übersetzung ist viel besser und wirkt insgesamt sicherer als noch bei „Rabbit, run”. Dennoch macht Frau Carlsson auch bei „Ehepaare” immer wieder rätselhafte Sachen. Andere Passagen wie die Textbestandteile, die in dem Bereich „Architektur und Bauwesen” angesiedelt sind, wirken so souverän, dass man fast meint, mehrere Personen hätten an der Übersetzung des Buches gearbeitet. Wurden besonders schwierige technische Stellen outgesourct?
Im Folgenden einige Beanstandungen, die nur als Beispiele zu verstehen sind.
Wie bei „Hasenherz” fehlen schon mal Sätze oder ein ganzer Absatz. Es fehlen auch Teile, die leicht zu übersetzen sind. Deshalb versteht man den Grund nicht.
Auf S. 184/198 (englisch/deutsch) lässt Frau Carlsson nach einem stunden- bzw. viele Seiten langen Ratespiel auf einer Party den Namen der Person aus, die Foxy raten soll, der Person, der sie nach Meinung der anderen Gäste ähnlich sein soll. Es ist Christine Keeler (damals die junge Geliebte des englischen Verteidigungsminister Profumo und gleichzeitig eines sowjetischen Agenten). So steht es im Original. Dieses Ergebnis ist für Foxy (und Piet) besonders entwürdigend und ein Vorgriff auf die weitere Entwicklung.
Eine der entscheidenden Stellen des Buches so zu verändern, ja einfach zu löschen, kommt einer Verstümmelung des Textes gleich, und das nicht zum ersten Mal.
Es ist auch nicht so, dass Frau Carlsson vielleicht dachte, diese Frau kennt eh niemand in Deutschland, dann lass ich den Namen mal lieber weg (die einzige Begründung, die mir einfällt). Die aufregend schöne Christine Keeler hatte auch in Deutschland einen erheblichen Bekanntheitsgrad. Der „Spiegel”, mit dessen Macher Rudolf Augstein die Übersetzerin verheiratet war, brachte am 18. Juni 1963 eine Titelgeschichte über sie.
Vom Verlagslektor hätte man erwartet, dass er wenigstens diesen Lapsus entdeckt.
Eine Auswahl anderer „Stellen”:
„Irene was a conservationist” wird zu „Irene war eine Naturschutz-Fanatikerin” (S. 99/110). Ouch!
„Foxy realized” heißt „Foxy ahnte”? Nein. Doch eher „Foxy wurde klar”.
„Afraid to guess wrong” bedeutet „sie zitterte davor, etwas Falsches zu sagen”? Wohl nicht.
Vieles ist eine Frage des Stils oder des Geschmacks. Für „middle aged” ginge schon noch “ältlich“. Aber warum nicht „im mittleren Alter” oder, wenn sie es schon in einer bestimmten Weise betonen will, „alternd”?
Ein letzter Punkt. Das amerikanische und bundesdeutsche Arbeitsrecht sind schwer zu vergleichen. Aber es ist einfach falsch, „contractor” mit „Arbeiter” zu übersetzen. Piet Hanema war Bauleiter in einem Arbeitsverhältnis, das Arbeitnehmer-, aber auch starke selbständige Anteile hatte. Deshalb genoss er auch so viele Freiheiten, die er zu seinen sexuellen Eskapaden nutzte, und deshalb erhielt er auch eine frei ausgehandelte Abfindung, als sein Chef Matt ihn feuerte.
Peter Eisenburger, 12. Januar 2023.
Abgebildete Ausgaben:
Erstausgabe:
Couples. A novel by John Updike. A. Knopf, New York 1968.
Deutsche Erstausgabe:
Ehepaare. Roman. Deutsch von Maria Carlsson. Gestaltung von Werner Rebhuhn. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969 (56.–70. Tausend April 1970). 428 Seiten. Damals 26,- DM.
Hochgeladen am 12. Januar 2023.