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Die schönsten deutschen Bücher 1957

1957. Die 50er Jahre sind in ihrer zweiten Hälfte und die 60er werfen langsam ihre Schatten voraus. In diesem Wettbewerb erkennt man es auch daran, dass zum ersten Mal der Name Hans Magnus Enzensberger auftaucht. 
1957 ist für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiges Jahr, in dem das politische System in seiner damaligen Beschaffenheit unter konservativer Führung gefestigt und ausgebaut wird, ja, zunehmend unangreifbar erscheint. Das Saarland wird in die BRD eingegliedert und die ersten Soldaten in die Bundeswehr einberufen. Die CDU/CSU erreicht bei den Bundestagswahlen die absolute Mehrheit und Konrad Adenauer wird zum dritten Mal zum Kanzler gewählt. Die Römischen Verträge werden unterzeichnet und damit die EWG, das “Europa der Sechs” gegründet.
In der internationalen Politik beginnt langsam die Volksrepublik China das Augenmerk der Intellektuellen auf sich zu ziehen, was auch bei den prämierten Büchern mit einem Auswahlband sichtbar wird. 1957 lancierte Mao Tse-tung die “Hundert-Blumen-Kampagne”, die in die “Rechtsabweichler-Kampagne” überging, der mehrere 10.000 Menschen zum Opfer fielen. Mao legte regelrechte Quoten fest. “Entstalinisierung”, wie seit 1956 in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow, würde es in China nicht geben. Mao: “Osteuropa hat nicht genug getötet. Wir sagen, es ist gut zu töten.”

Die schönsten deutschen Bücher 1957 (Auswahlheft)

Das Heft wird erneut im bewährten Format der 50er Jahre vorgelegt, diesmal in einem rötlich-beige gehaltenen, edel aufgerauten Umschlag. Das Layout ist gegenüber dem Vorjahr nochmals etwas ausgefeilter und differenzierter. Die Schrift ist die klassische Garamond. Bei den Abbildungen erscheinen nun auch Ansichten der Buchrücken.

Im ausschweifenden Vorwort lässt sich die Jury in persona Bertolt Hack nun entgegen ihrer früheren Weigerung doch herab, ihre Kriterien zu erläutern. Die Darlegungen sind in ihrem belehrenden, altväterlichen und besserwisserischen Ton schwer zu ertragen. Jede Abweichung von einem festen, unverrückbaren und kanonisierten Satz an Regeln wird gnadenlos abgekanzelt. Selbst ein geringfügiges „Herausschieben der Kapitelüberschriften aus der Mittelachse oder dem Satzspiegel” wird als „typographische Anarchie”, „Murks” und „mißverstandene Modernität” gegeißelt. Die zunehmende Verwendung von Farbe, gerade der von der Industrie eingereichten Festschriften, wird mit dem Verdikt „Neigung zu falschem, unwahrem Protz” belegt. Und so geht es in einer kaum zu überbietenden Arroganz in einem fort. Dabei wird an Ausrufezeichen nicht gespart.

Dass diesen anarchistischen Exzessen das Gesangbuch für das Bistum Limburg entgegengesetzt wird, lässt einen im Nachhinein eher schmunzeln. Sehr bedauerlich aber, dass zwei „vorbildlich gestaltete und gedruckte wissenschaftliche Werke” keine Aufnahme fanden, nur weil der Einband (nicht der Schutzumschlag) nicht gefiel. Damit werde ich leider der Möglichkeit beraubt, mir diese Bücher anzusehen. Und so ein bisschen versteht man, dass die kulturelle Revolution der 60er Jahre notwendig wurde.

Interessant ist immerhin die Aussage, dass die Qualität der Bücher insgesamt den „ehedem sehr hohen Standard” fast wieder erreicht habe. „Ehedem” wird nicht weiter definiert. Gemeint ist wohl die erste Phase des Wettbewerbs in der Weimarer Republik.

Neu ist diesmal, dass zusätzlich zu den damals 50 prämierten auch zwei in Deutschland gestaltete, aber fremdsprachige Bücher aufgenommen wurden (siehe unten “German art”). Weiterhin schafften es auf die Liste: sehr viele Kunstbände (darunter mehrmals Marc Chagall), die üblichen bibliophilen Editionen, ein 165 DM teures Werk über Ausgrabungen –
und diesmal sogar 8 (!) Kinderbücher. Nochmals auch Sizilien. Im folgenden eine persönliche Auswahl.

Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit
Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit

Ingeborg Bachmann:

Die gestundete Zeit
 

Das Buch als kunsthandwerkliches Produkt 

Schmal, in Einband und Umschlag ganz in blau-grau mit schwarz-weißen Akzenten gehalten. Besser kann man ein Buch nicht machen.

Die Literaturkritik

Der von großer Formulierungskunst zeugende Klappentext von Günter Blöcker soll hier zitiert werden:

„Ihre Verse sind hart im Klang, kühn und bizarr, doch niemals unorganisch in den Bildern; sie sind getragen von einer radikalen Illusionslosigkeit, aber auch von einer noblen, kraftvollen Schicksalsbereitschaft. Sie hat den Mut, Zeiterscheinungen ganz unmittelbar anzusprechen, in einem lyrischen Plakatstil von hämmernder Eindringlichkeit, wie er seit Brecht in der deutschen Literatur nicht mehr anzutreffen war.

Die Erlebnisbreite dieser Autorin, ihre Erfahrungs-
möglichkeiten, ihre Prägekraft reichen von einer schwer zugänglichen Gedankenlyrik bis zum schlichten, unmittelbaren Appell an das Gefühl, von der Bilder-
apokalyptik bis zur weichen Versmelodie, vom schmetternden Beckenschlag sehr bewußter Formulierungen bis zum verschwimmenden Ungefähr lyrischer Urklänge. Diese Frau hat das Entscheidende, das wirklich Moderne, nämlich: den lyrischen Intellekt.”
 

Die Frau

Diese herausragende Frau litt an exzessiver Tabletten-
abhängigkeit (Barbiturate). Vertraute sprachen von bis zu
100 Tabletten am Tag. Ingeborg Bachmann starb im Alter von nur 47 Jahren an einem unkontrollierten Entzug in
Rom, nachdem sie beim Einschlafen mit einer brennenden Zigarette ihr eigenes Zimmer in Brand gesteckt hatte.

Die Autorin und die 50er Jahre

Einen Einblick in das Leben der Ingeborg Bachmann und die Literaturszene der 50er Jahre gibt die Titelgeschichte des Spiegel vom 18. August 1954.
 

Ingeborg Bachmann

Das schier prophetische Ende des Artikel schließt mit dem Zitat eines anderes Dichters, August von Platen:

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
ist dem Tode schon anheimgegeben.

Hans Magnus Enzensberger: Verteidigung der Wölfe

Hans Magnus Enzensberger: Verteidigung der Wölfe.
Was für eine Karriere stand hier noch in den Anfangsjahren!
Die Gründung des Kursbuchs sollte erst in acht Jahren geschehen und bis zum Jahr 1968 war es noch über ein Jahrzehnt.

Sehr aufschlussreich ist ein Vergleich der Gedichte in diesem Band, damals für 6 Mark im Verkauf, mit Ingeborg Bachmanns “gestundeter Zeit”. Enzensberger erscheint mir hier konkreter, auch kraftvoller, wo die Bachmann sicher noch eine hochfliegendere Imagination hatte. Wer will, kann die Unterschiedlichkeit der Lebenswege vorgezeichnet sehen.
Das diesem Band seinen Titel verleihende, letzte Gedicht “Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer” erscheint allerdings an der Grenze zum Zynismus. Es wäre interessant zu erfahren, wie Enzensberger später, in der 68er Kampfzeit, diese Zeilen gesehen hat.

1957_gesangbuch

Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Limburg

Kunstledereinband, Goldschnitt, zwei farbige Lesebändchen, feines, getöntes “Gesangbuchpapier” in 30 g. Sehr hübsche, stimmige Zeichnungen von Albert Burkart (1898–1982). Übersichtlichkeit.

Ein Genuss ist die von Alfred Riedel (1906–1969) entworfene Schrift Domino, in der die Titel gesetzt sind. Mit der Plazierung der Numierungen durch Riedel kann man sich auf den zweiten Blick ebenfalls anfreunden, nicht hingegen mit den Klammern.

Neu und druckfrisch ergattert und damit eine Kostbarkeit. Auch aus persönlichen Gründen, weil der Chronist diese Ausgabe schon als Kind in Händen hielt.

Lily Abegg: Im neuen China

Lily Abegg: Im neuen China. Das ansprechend gemachte Buch beinhaltet eine umfangreiche Reportage über das China des Jahres 1956. Dr. Lily Abegg besticht durch eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und einen gut lesbaren
Stil. „Im neuen China” demonstriert in großer Bandbreite und in schockierenden Einzelheiten, wie ein ganzes Volk von einer privilegierten Führung zu Staatssklaven mit erbärmlichen Lebensumständen gemacht wurde.
Fast meint man, Frau Abegg, langjährige Ostasien-
Korrespondentin auch der FAZ, suchte nach irgendwelchen positiven Faktoren, weil sie es selbst nicht glauben kann, was sie sieht. Dabei fallen ihre schon vorsichtig formulierten Hinweise auf begrüßenswerte oder zumindest differenziert zu betrachtende Gegebenheiten dann doch meistens schwach aus. Zum Beispiel behauptet sie, es gebe kaum noch Korruption, China sei nun „sauber”. Ein merkwürdiger Kontrast zu ihrer eigenen Beobachtung, wie Armeeoffiziere ihr triumphierend ihre Schweizer Uhren zeigen.
Sehr beredt die ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotos (von Lily Abegg?), die in den allermeisten Fällen ernste bis  verbitterte, schicksalsergebene Arbeitssklaven zeigen.
Seit dem Werk der phänomenalen Jung Chang, der epochalen Mao-Biographie, weiß man, dass alles noch viel schlimmer war. Die maoistischen Exkurse der westeuropäischen Linken der 70er Jahre machen einen im Nachhinein fassungslos.

Bernard S. Myers: Die Malerei des Expressionismus
Bernard S. Myers: Die Malerei des Expressionismus

Bernard S. Myers: Die Malerei des
Expressionismus – eine Generation im Aufbruch

Bis dato wohl beste und gründlichste Werkschau dieser Kunstrichtung. Der amerikanische Kunsthistoriker
Bernard S. Myers glänzt mit ungemein kenntnisreichen Erläuterungen und einer Führung durch die Stil-
richtungen des deutschen Expressionismus.
Der umfangreiche und schwergewichtige Band ist reich illustriert und hat neben zahlreichen Schwarz-Weiß-
Abbildungen auch viele eingeklebte Farbtafeln, wie man das damals machte.
Mit dem reißerischen und hässlichen Schutzumschlag hat

der Verlag DuMont Schauberg dem Buch keinen Gefallen getan. Offenbar wollte man aus dem Bekanntheitsgrad des Gemäldes “Der Schrei” von Edvard Munch Kapital schlagen, vergaß aber, dass dieses nur bedingt dem Expressionismus zuzuordnen ist.
Interessant ist ein Vergleich mit der parallel erscheinenden amerikanischen Ausgabe “The German Expressionists:
A Generation in Revolt
” mit einem wesentlich stimmigeren Titelbild, dem “Aufgehenden Mond” (1912) von Karl Schmidt-Rotluff.
Auch bei der Übersetzung lag man nicht so ganz richtig. “Aufbruch” ist dann doch etwas anderes als “Revolte”.

German Art of the Twentieth Century

German Art of the Twentieth Century
Das Museum of Modern Art gab 1957 eine große Ausstellung deutscher Kunst des 20. Jahrhunderts, das heißt bis dahin. Was noch kommen sollte, bis hin zu Joseph Beuys, war wohl damals unvorstellbar.

Der Band wurde in den Staaten gestaltet, aber komplett in Deutschland hergestellt. Zum ersten Mal in dieser Auswahl aus den schönsten deutschen Büchern ist ein Buch komplett in Hochglanzpapier aufgelegt. Die Vorteile sind nach über 50 Jahren offenkundig. Der obere Schnitt hat zwar Stockflecken, aber das Papier und damit die Abbildungen (etwa zur Hälfte farbig) sind praktisch neuwertig.

Inhaltlich ist der Band für einen deutschen Leser interessant, weil auch einmal Künstler vertreten sind, die sonst nicht in jedem einschlägigen Kunstband vertreten sind, wie Otto Müller, oder von den bekanntesten Künstlern auch einmal unbekanntere Werke.

Neben den Malern und deren unvermeidlichem Expressionismus sind auch Bildhauer vertreten.

Katharina Maillard / James Krüss: Kinder, heut’ist Wochenmarkt!

Kinder, heut’ ist Wochenmarkt! Da haben die Juroren richtig gewählt. Die damals schon bewährte Illustratorin Katharina Maillard und der noch am Beginn seiner Karriere als Kinderbuchautor stehende James Krüss schufen ein Bilderbuch, das gleichermaßen lehrreich wie lustig ist – besser kann man ein Bilderbuch nicht machen. Der flächige, zweidimensionale und an Collagen erinnernde Stil von Katharina Maillard ermöglicht es Kindern besonders gut, Personen, Tiere und Gegenstände auf den Bildern zu identifizieren.
Ich erhielt von einem Antiquariat aus Wolfsburg ein praktisch neues Exemplar dieses selten gewordenen Buches.

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Der Wettbewerb in der DDR

Spiegel Deutscher Buchkunst 1957

Der “Spiegel Deutscher Buchkunst” kommt diesmal zitronengelb daher.

In seinem mit etwas kruden sozialistischen Thesen garnierten Vorwort will Alfred Kapr die Überlegenheit des Sozialismus gar bei der Arbeit der Jury erkennen (weil es keine gegeneinander arbeitenden Interessensgruppen mehr gebe). Das “sozialistische Ziel”, gute Bücher “in die Hände der Werktätigen” zu bringen, gelte auch für den Wettbewerb. Im übrigen habe man inzwischen bei der Buchproduktion zur Weltspitze aufgeschlossen. Es wird auch auf Lohnerhöhungen im grafischen Gewerbe verwiesen, die zur Qualitätssteigerung beitragen sollten.

Laut Bericht der Jury wurden aus 220 vorgelegten Büchern 41 Preisträger (im Katalog vorhanden aber nur 40) sowie weitere 6 bibliophile Drucke ausgewählt. Der Jury sei es wichtig, immer Verbesserungen und Neuentwicklungen zu sehen. “Politisches Schrifttum, Werke der Gegenwarts-
autoren” sollten von den Verlagen mehr Beachtung finden – dies stehe im Einklang mit den neuesten Richtlinien der 1957 abgehaltenen Kulturkonferenz der SED.

In bemerkenswerter Offenheit geschehen wieder die Zusammenfassung der Ergebnisse als auch die Einzelkritiken.

Sehr wohltuend auch die entwaffnende Offenlegung von umstrittenen Entscheidungen und ihren detaillierten Hintergründen. In einem Fall eines “schönsten Buches” (“Gigant Atom”) war das Abstimmungsergebnis gar 7:7. Die Stimme des Jury-Vorsitzenden entschied dann. In der BRD galt hingegen ein strenges Einstimmigkeitsprinzip. Es ist klar, dass dadurch neue und ungewöhnliche Produktionen eine wesentlich schlechtere Chance hatten.

Leider folgt der Abbildungsteil in der Reihenfolge nicht dem Textteil – ein Unding. Gut jedoch, dass häufig auch der Innenteil der Bücher abgebildet wird.

Fazit: der DDR-Buchmarkt stand insgesamt dem westdeutschen kaum noch nach.

Hed Wimmer und Lore Müller: Provence

Hed Wimmer: Provence / Vorwort von Götz Göde

Der Band im Überformat, mit gelbem Kopfschnitt und im  Schuber war durchaus luxuriös. Die Fotos von Hed Wimmer aus Karlsruhe (!) und Lore Müller zeigen ein umfangreiches Kaleidoskop der Provence, das insgesamt gelungen ist, wenn auch hier und da gewisse Mängel bei der technischen Umsetzung bestehen, insbesondere bei Schärfe und Durchzeichnung der großformatigen Fotos.

Am besten sind die Straßenszenen aus Marseille und die Portraits. Ähnlich wie bei dem Band aus der Schweiz folgen dann zu viele Burgen und Ruinen, teils auch noch im Gegenlicht.

Gearbeitet wurde mit Mittelformat und überwiegend mittleren Brennweiten. Zum einen kam eine Ikoflex (evtl. die angesehene 50er Jahre Reihe oder noch eine aus den 30er Jahren) mit einem Tessar 75 mm Objektiv zum Einsatz, zum anderen wurde die Bergheil, eine Vorkriegsplattenkamera von Voigtländer verwendet.

Vorbild von “Provence” war wohl der ein Jahr zuvor im Westen erschienene Band “Sizilien” (siehe auch die Ähnlichkeit im Einband), dessen Qualität aber nicht erreicht wird.

Auch nicht bei den Texten. Die schön gesetzte Einleitung von Götz Göde verzettelt sich bei viel zu langen, ermüdenden Exkursen zur Geschichte. Auch die Bilderläuterungen im Anhang bieten fast ausschließlich in ihrer Detailfülle enervierende historische Daten.

Zum Weinbau in der Provence erfährt man beispielsweise nicht mehr, als dass er von den Griechen ausging und sich gut “auf den Märkten des inneren Galliens, Britanniens und Germaniens” verkaufte. Da macht sich sicher der fehlende Zugang des DDR-Autors zu aktuellen landeskundlichen Informationen aus Frankreich bemerkbar.

Eigenartig mutet an, dass die zweite Fotografin Lore Müller, die immerhin 15 Aufnahmen zur Verfügung gestellt hat, erst im Impressum am Schluss des Buches erwähnt wird.

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Ein Blick nach Österreich

Die schönsten Bücher Österreichs 1957

Österreich bringt zum ersten Mal sein nun für viele Jahre geltendes Querformat und hat auch als einziges der drei deutschsprachigen Länder ein gestaltetes Titelblatt.

Das Vorwort ist diesmal ausführlicher als in den Vorjahren.

Nicht zufrieden war man mit der Anzahl der Einsendungen. Trotz der 1956 erstmals vorgenommenen Auslobung der immerhin mit 30.000 Schilling (ungefähr 4000 DM)  dotierten Staatspreise, wurden der Jury nur 59 Bände einge-
reicht. Ähnlich wie in der DDR wird gemutmaßt, dass die Verlage einen zu hohen Anspruch an sich selbst anlegten.
15 Bücher wurden letzten Endes ausgezeichnet. Interessant
ist die Beobachtung, dass dem Schutzumschlag eine zu-
nehmend größere Beachtung zukommt und dem Einband
eine immer geringere, nach Ansicht der Jury eine zu geringe.

Etwas skurril: der 1. Staatspreis (also das beste Buch im Wettbewerb) entfiel auf “Lehrbuch der tierärztlichen Geburtshilfe und Gynäkologie”.

Auffällig auch, dass wiederum ein Straßenbuch aus dem Schroll-Verlag ausgezeichnet wurde, das leider zur Zeit in der Originalausgabe nicht aufzutreiben ist.

Ernst Doblhofer: Zeichen und Wunder.
Die Entzifferung verschollener Schriften und Sprachen.


Hübscher und für die damalige Zeit aufwendig illustrierter Band, der in 9 Abschnitten die Entzifferung der alten Sprachen beschreibt. Die einzelnen Geschichten sind mit viel Erzähltalent und spannend wie ein Kriminalroman geschrieben.

Das wichtigste Kapitel ist natürlich die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen durch den Franzosen Jean Francois Champollion – einer dieser unfassbar intelligenten Menschen, die etwas konnten, woran vorher Generationen von Forschern scheiterten.

Recht störend bei dem Buch sind der unruhige Satz, der durch das durchgängige Nichteinhalten der Grundlinie entsteht, und das fehlerhafte kleine “m”.

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...was macht die Schweiz?

Die schönsten Schweizer Bücher 1957

Diesmal gab es eine Änderung im Auswahlverfahren. Wahrscheinlich weil als Tiefpunkt einer jahrelangen Entwicklung im Vorjahr nur noch 115 Bücher eingereicht worden waren, griff die Jury nicht mehr auf Einsendungen zurück, sondern nahm sich ein beim Börsenverein vorgehaltenes, umfangreiches Sortiment an Neuerscheinungen vor.

Deshalb blieben nach der Vorauswahl 145 (Vorjahr: 115) Bücher übrig, von denen 33 ausgezeichnet wurden (Vorjahr: 28).

Im Vorwort wird die Zahl 33 als exorbitant hingestellt, jedoch hatte man sowohl 1954 als auch 1956 jeweils 28 prämierte Titel.

Interessant ist, wie die Sprachen damals gehandhabt wurden. Bei den ausgewählten Bänden waren 8 aus der “welschen Schweiz”, wie man noch sagte, und 25 aus der deutschsprachigen. Italienischsprachige Titel waren nicht dabei und rätoromanische damals schon gar nicht.

Sehr erstaunlich ist, dass von den drei Sprachen des Kataloges eine Deutsch, eine Französisch und die dritte – Englisch ist, und nicht etwa Italienisch, die dritte Amtssprache der Schweiz.

Otto Pfeifer: Unbekannte Provence

Otto Pfeifer: Unbekannte Provence

Leider wurden zu viele Aufnahmen von Altertümern und Ruinen sowie Gesteinsformationen ausgewählt. Diese Bilder lösen im Betrachter nur wenig aus, zumal eingehende Erläuterungen vollständig fehlen.

Viel besser sind die Aufnahmen von Menschen und von Landschaften und am besten, wenn diese kombiniert werden. Wie eindrucksvoll ist doch das einsame kleine „Café du Pont” mit zwei Frauen und einem Hund, die am Eingang vergebens auf Gäste warten, vor der riesigen, tief zerfurchten Felswand des Rocher de la Baume bei Sisteron. (Die kleine Straßenzeile steht dort immer noch, wie man auf einigen aktuellen Fotos bei Google Maps sehen kann, nach vielen An- und Umbauten verwahrlost und hässlich.)

Diese Aufnahme Nr. 114 mit großer Detailschärfe und wundervoll durchzeichneten Grautönen zeigt auch das Können von Otto Pfeifer, wie es aber leider nicht auf allen Bildern zum Tragen kommt. Auch der Randbeschnitt der Fotos für das Buch wirkt nicht immer glücklich.

Handwerklich toll gemacht sind die vielen aufklappbaren Seiten, die Abschnitte mit Farbfotos und die praktische, in einer Textillasche beiliegende Karte mit der Übersicht über die Bilder. Der Rücken hingegen wurde nicht gut gearbeitet, da er sich schnell verzieht.

Kurios ist die Angabe: „Text: Marcel Pobé” (Umschlag) bzw. „Bildbegleitender Text von Marcel Pobé” (Titelei). Außer den Titeln der Bilder, die lediglich Ort und Motiv nennen und die der Fotograf wohl selbst vermerkt hat, beinhaltet der Band lediglich drei kurze Zitate aus antiken Schriften.

Graphis Annual ‘57/58

Graphis Annual ‘57/58

Das Jahrbuch der Werbegrafik wurde bereits 1953 ausgezeichnet. Sieht man sich die Publikation an, fällt es nicht schwer, das zu verstehen. Alleine die Tatsache, dass die Jury eine endlose Reihung vermeiden wollte, verhinderte wohl eine jährliche Auszeichnung.

Die editorische Leistung ist gewaltig. Die vielen Einsendungen von Postern über Broschüren bis hin zu Weihnachtskarten und Verpackungen zu sichten, auszuwerten, auszuwählen, zu gruppieren, in hervorragender Qualität zu drucken und mit mehreren Indizes vorbildlich zu erschließen, kann in Aufwand und Können nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Kleine Schlampereien passieren dennoch. Der Titel hat vier verschiedene Schreibweisen auf: Schutzumschlag vorne, Klappe Schutzumschlag, fliegender Vorsatz, Schmutztitel, Titelblatt, Umschlag. Die Redaktion des Auswahlheftes sowie der Chronist hielten sich dann traditionell an das, was auf dem vorderen Einband steht.

Und leider kommen häufiger als man es für möglich hält Inkonsistenzen vor, wenn man die dreisprachigen Bildlegenden vergleicht. Immer wieder gibt es Abweichungen in der Beschreibung. Meist unterschlägt dann eine der Sprachen eine wichtige Information.

Sieht man die 813 (!) teils farbigen Abbildungen durch, befindet man sich mitten drin im Stil der 50er, teilweise noch davor. Manches wirkt auf einen 1956 geborenen Betrachter heimisch und vertraut, manches aber auch fremd, so lange liegt es zurück.

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Faszinierend ist es, wenn man sieht, wie hier und da schon die 60er oder gar 70er Jahre vereinzelt aufblitzen. Am ehesten passiert dies, wenn nicht der breite Konsumentenmarkt, sondern eine kleinere Zielgruppe angesprochen wurde. Bewundernswert der Mut, wie zum Beispiel die Karstadt AG eine Festschrift zum 75jährigen Bestehen ihrer Damenmode-Kollektion mit einer damals hypermodern wirkenden Negativ-Collage (496, S. 141)  herausbrachte. Künstler war der begnadete Fotograf Heinrich Heidersberger (1906–2006). Alle anderen zahlreich vertretenen bundesdeutschen Künstler zeigten noch recht konventionelle Arbeiten, auch Günther Kieser (*1930), damals erst 26 Jahre alt, mit vier wirklich sehr biederen Grafiken.

Verblüffend in der Rückschau die damals schon ganz massive Werbung für Alkohol, während Tabak noch kaum vorkam.

Ein besonderer Leckerbissen sind die angehängten großformatigen Werbeanzeigen von Agenturen und Sponsoren.

Alfred Roth: Das Neue Schulhaus
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Alfred Roth im Jahre 1963 beim Gespräch mit Studenten.
Foto: E.W. / ETH Zürich.

Alfred Roth: Das Neue Schulhaus

Alfred Roth (1903–1998) war einer der bedeutendsten Schweizer Architekten. Das vielleicht wichtigste
Tätigkeitsgebiet des einstigen engen Mitarbeiters von
Le Corbusier waren Schulen, die er modernisieren, humaner und kindgerechter machen wollte.

Das vorliegende Buch, das viele Auflagen erfuhr, ist im Prinzip ein Handbuch für Architekten. Die dreisprachigen fachlichen Erläuterungen sind äußerst umfangreich und mit zahlreichen Beispielen versehen, die durchgängig ganz hervorragend fotografiert sind.

Die meisten Beispiele kommen aus USA, England, Skandinavien und natürlich der Schweiz. Zwei bundesdeutsche Schulen sind ebenfalls vertreten.

Wer jemals beruflich mit Schulen zu tun hatte, dem gehen die Augen über bei dem, was Schulen in den 60ern und 70ern einmal waren: hell, luftig, filigran, freundlich. Einige Schulen, die der Verfasser kennt, hatten ihre Vorbilder in diesem Buch. Was für ein Unterschied zu den bunkerähnlichen, an Gefängnisse erinnernden Bauten, die unter der Diktatur des Brandschutzes, der Wärmedämmung und der Sicherheit stehen: dicke Wände mit schmalen Schlitzen, in denen wie verbarrikadierte, nicht mehr richtig zu öffnende Fenster mit dicken Scheiben sitzen, lange, dunkle Korridore, massige Türen, die schwer ins Schloss fallen, nach der „Sanierung” jahrelang nach Kunststoff riechende Räume. Frappierend, wie heutige (2018) Schulneu- oder -umbauten der von Roth gebrandmarkten  „monumentalen ‘modernistischen’ Architektur” (Bild S. 26) ähneln.

Noch schlimmer aber die Zustände in den vielen verwahrlosenden deutschen Schulen, in denen eine reiche Gesellschaft nicht mal mehr die Toiletten für ihre Kinder instand setzen kann.

Die von Piet Mondrian (Alfred Roth kannte ihn) inspirierte Umschlaggestaltung war Mitte der 50er Jahre bei dieser Art von Büchern häufiger zu sehen. Der Hatje Verlag verwendete ein Jahr vorher im Prinzip dasselbe Design für die „Neue deutsche Architektur”, wie sich auch die gesamte Aufmachung sehr ähnelt. In beiden Büchern wird auch eine sehr kleine Schrift verwendet, wobei Hatje der Futura in 6 pt gegenüber der Grotesk in 6 pt bei Girsberger aber einen viel größeren Durchschuss verlieh, so dass der Text immer noch lesbar bleibt. Auch das Layout des Hatje-Bandes ist luftiger.

Welche Ähnlichkeit:

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Primarschule Stuttgart-Zuffenhausen 1952/53. Architekt: Günther Wilhelm, Stuttgart. Abbildung aus dem besprochenen Band.

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Gymnasium Westerburg 1963-65. Architekt: Edmund Zens, Köln. Aus dem Rhein-Lahnfreund 1966. Foto: H. Königsmann. Auf der Wiese sollten eine Skulptur und eine – leider mittlerweile gefällte – Buche noch folgen.

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Hochgeladen am 30. November 2014; zuletzt aktualisiert am 24. Juli 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden unter anderem geliefert von: Celler Versandantiquariat (Auswahlheft), Antiquariat Reinhold Pabel (Ingeborg Bachmann), Antiquariat im Baldreit (Wölfe), mein-liebstes-buch (Wochenmarkt), Books and Toys (Provence),   Antiquariat Wegner (Auswahlheft Österreich), Novemberland Books, Leiden (Schulhaus).

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