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Peter Hammill: Pno Gtr Vox Box
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Dieses Live-Album mit seinen 7 CDs ist auf 2000 Stück limitiert. Ich gehörte wahrscheinlich zu den allerersten Bestellern und zählte mich zunächst zu den glücklichen Besitzern, bis sich ein äußerst zwiespältiger Eindruck durchsetzte.

Die beiden ersten CDs wurden bereits veröffentlicht als „Pno Gtr Vox” (Abbildung). Und genau diese Box, der ich 4–5 Sterne gegeben hätte, sollte man kaufen, und nicht die hier besprochene, überflüssige. Begründung folgt unten.

Zunächst aber zum Positiven. Wer sich auf die Box und ihre sieben CDs einlässt, begibt sich auf eine Reise durch das Universum des Peter Hammill. So fingen meine Eindrücke an, die ich ebenfalls in Form einer Reise durch die vorliegende Kollektion wiedergeben möchte.

Man kann sich zu den Live-Versionen, aufgenommen auf Tourneen in England und Japan im Jahr 2010, die Originalversionen daneben legen und vergleichen. Das früheste Lied, das durch die neue Box wiederauflebt, ist vom Album „Fool’s Mate” aus dem Jahre 1971.

Es wird eine musikalische und textliche Vielfalt deutlich, die ihresgleichen sucht. Die Grundmuster und Themen sind u.a. Zeit, Tod, Religion, Psychoanalyse, Neurobiologie, Zivilisationskritik, Naturwissenschaften, wissenschaftliche Entfremdung – und immer wieder: Einsamkeit, Schmerz, Verlust.

Manchmal eine Art heitere Melancholie. Und immer wieder die Suche nach Identität: wer oder was sind wir? Warum sind wir, was wir sind? Was treibt einen Menschen an? (Typisch hierfür etwa: „We are driven”.)

Viele Songs gibt es auch wiederzuentdecken. Manches (nicht viel!) war fast in Vergessenheit geraten, manche neuere Veröffentlichung vielleicht nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit entdeckt worden.

Jede der sieben CDs mit umfangreicher Spielzeit (die erste zum Beispiel 1 Stunde und 8 Minuten) wäre eine eigene Besprechung wert. Im Folgenden aber nur ein paar Anmerkungen zu den einzelnen Discs.

CD 1: „What if I forgot my guitar?”

Die schönste CD der Box. Peter Hammill überzeugt solo am Piano, bei diesem Album am Flügel, für mich immer noch am meisten. Diese CD enthält zum einen einige neuere Songs, vor allem von „Singularity” (2006) und „Thin Air” (2009). Dabei ist mir aufgefallen, dass Stücke wie das anrührende „Undone” von „Thin Air” solo viel besser zur Geltung kommen. Diese schöne, melancholische Melodie und der sanfte Gesang... erinnern an „House with no Door”.

Wie wunderschön dieses „Undone” ist, war mir bislang gar nicht aufgefallen, denn leider sind nach meiner Meinung die letzten Studio-Alben von Peter Hammill und Van der Graaf Generator überarrangiert. Zu viel „Post-Processing”, zu viel Mischen, zu viel Abschleifen von rauen Kanten. Zu viele Gesangsspuren und Multi-Tracking für die Instrumente. Gerade Peters außergewöhnliche Stimme geht darin manchmal etwas unter.

Aber zurück zur Box. Weiterhin enthält die erste CD einige meiner „all time favourites” wie „Time Heals” (vom Album „Over”, 1976) und „Stranger Still” (Album „Sitting Targets”, 1981). Gerade die Interpretation von „Stranger Still” reißt das Publikum zu Beifallsstürmen hin.

Und ich wusste nie, was für ein schimmerndes Juwel „Vision” („Fool’s Mate”, 1971) ist.

CD 2: „What if there were no piano?”

Peter Hammill ist ein passabler Gitarrist. Seine besten Momente hatte er in dieser Rolle im Zusammenspiel mit John Ellis an der Lead-Gitarre zu Zeiten der „K Group” in den 80er Jahren. Solo hingegen gefällt er mir am Piano besser, gerade im Vergleich zur weniger verzeihenden akustischen Solo-Gitarre. Nicht umsonst war auch bei der klassischen Live-Besetzung von Van der Graaf Generator (Orgel, Piano, Saxophon, Schlagzeug) eine Gitarre nicht vorgesehen.

Nun zur CD.

Da ist einiges sehr gelungen. Der Übergang vom sanften, poetischen, verliebten, in symbiotischer Verschmelzung und Selbstauflösung schwebenden „Vision” zum lauten, beißenden, absolut gnadenlosen „Comfortable” („Patience”, 1983) könnte nicht extremer sein und zeigt alleine schon die ganze Bandbreite des Musikers Peter Hammill – und sicher auch seiner persönlichen Entwicklung in diesen Jahren, wenn man berücksichtigt, dass „Vision” 1968 geschrieben wurde. Peter zieht beim jeweiligen Ende des Refrains alle Register seiner Stimme. Mit aufgerissenen Augen nimmt man wahr, wie einem das röhrende „Comfortable” in die Glieder fährt. Und jedesmal ist die Intonation ein bisschen anders.

Eine Wieder- oder eher Neuentdeckung etwa auch das nachdenklich machende „Driven” von „Clutch” (2002).

Eines der absoluten Lieblings-Songs ist natürlich „The Comet, the Course, the Tail” (vom legendären Album „In Camera”, 1974), hier in einer eindringlichen Version. (Am besten aber, wie ich finde, auf dem Live-Album „Room Temperature” von 1990, eingespielt zusammen mit Stuart Gordon, Violine, und Nic Potter, Bass.)

Dann der schöne, zarte „Shingle Song” von Nadir’s Big Chance, der hier völlig neu klingt.

Die Wiedererstehung von mehreren Songs von „Chámeleon in the Shadow of the Night” (1972) – schließlich sind für das Album rund acht Stunden (!) Spielzeit zu füllen – wirkt hingegen nicht überzeugend.

Das gleiche gilt für einige Songs, gerade auf dieser CD, die live von Peter nicht gut eingespielt erscheinen oder sich vielleicht auch für die Live-Darbietung nicht optimal eignen, wie zum Beispiel „Stumbled” („Thin Air”, 2009), in der Studioversion interessant mit seinem kniffligen, verschleppten Rhythmus, live hingegen einige Fragezeichen hinterlassend.

Berückend und bewegend hingegen „Modern” von seinem frühen und unübertroffenen Meisterwerk „The Silent Corner and the Empty Stage” (1974).

CD 3: „What if I knew this was the last show I would ever do?”

Die CD, auf die am meisten gespannt war. Der letzte Auftritt, da würde Peter dann die Stücke spielen, die für ihn selbst die besten, die wichtigsten, oder vielleicht auch die persönlichsten sind – so dachte ich.

Die CD startet mit „Easy to slip away” von „Chámeleon in the Shadow of the Night” (1972). Eine Ode an Mike und Susie, die Freunde aus der heroischen Refugees-Zeit Ende der 60er Jahre in London. Hier fällt mir zum ersten Mal eine sehr schlechte Ton-Qualität auf.

Eine intensive Version von „After the Show” („Skin”, 1986), leider ebenfalls in einer  schlechten Sound-Qualität.

Das nächste, etwas überraschende Problem startet ebenfalls mit der dritten CD: es gibt in der Box viele Überschneidungen, also Songs, die doppelt vorkommen.

Am Anfang finde ich die Doppelungen noch interessant, wie bei „The Comet, the Course, the Tail” – eine Version, die unter die Haut geht.

Auf dieser CD auch „Patient” von „Patience” (1983), eines der aufregendsten Werke von Peter Hammill. In der vorliegenden Live-Version flüstert, schreit und röhrt Peter at his best. Aber was für ein miserabler Sound, wie bei einem Bootleg. Bei einer leisen Passage gegen Ende des Songs ist ein Räuspern im Publikum lauter als die Gitarre.

Dann nochmals „Stranger Still” mit extrem starkem Rauschen, das gegen Ende des Stückes fast Stimme und Piano übertönt.

Eines meiner absoluten Lieblingslieder: „A Better Time” von „X my Heart” (1996) – hier aber in einer zu lauten Version. Gleiches gilt für das ebenfalls nochmals vertretene „Undone”.

Das letzte Stück dieser CD – wie passend – ist „In the End” von „Chámeleon in the Shadow of the Night” (1972). Das elegisch-dramatische Lied ist stark autobiographisch geprägt und entstand nach der Trennung von Van der Graaf Generator. Man sollte zum Vergleich unbedingt die 1972 veröffentlichte Originalversion hören, am besten von der remasterten CD-Ausgabe.

CD 4: „What if I played only VdGG/VdG songs?”

Zu Beginn der vierten CD hält die trübe Tonqualität an. Frappierend wird es, wenn man sich zum Vergleich das erste Stück „My Room” (von „Still Life”, 1976) von der remasterten VdGG-Edition anhört.

Die Nebengeräusche sind zunehmend irritierend. Ein Hüsteln aus dem Publikum, ein Knarren der Stuhllehne, ein Tappen der Fußsohle auf dem Boden, das Klirren eines Glases, Gesprächsfetzen, was immer es ist, übertönt den Vortrag des Künstlers. Dass zum Beispiel am Ende von „Darkness” die ersten „Wooh”s der Besucher deutlich lauter sind als das hämmernde Piano, ist doch ein Ding der Unmöglichkeit. Wie wurde hier aufgenommen? Dass in Bootleg-Manier ein Recorder mitten im Publikum, etwa am Mischpult (vorhanden?), stand und der Ton nicht von den Mikrophonen auf der Bühne abgenommen wurde, war für mich schwer vorstellbar, wurde mir aber von Sofasound bestätigt.

Die verständliche Problematik der Solo-Interpretation der fulminanten VdGG-Werke tut ein Übriges, um diese CD zu einer Enttäuschung werden zu lassen. Vielleicht wäre eine betont leise statt laute Interpretation besser gewesen? 

Bewegend immerhin die am Piano eingespielte Soloversion von „House with no Door” – eines der traurigsten Lieder, die je geschrieben wurden, mit einer wunderschönen Melodie und einem bestürzenden Text. Schade, dass auch hier wieder ein dumpfer Schleier, nein, schon ein Brokat-Vorhang darüber liegt. Dennoch hörenswert.

Summa summarum ist die Tontechnik der beiden CDs 3 und 4 bisweilen jenseits des Zumutbaren. Schade eigentlich, denn Peter ist bei diesen Auftritten an den Instrumenten und stimmlich in guter Form. Ob man die beiden CDs aus Sammlerinteresse und der Vollständigkeit halber trotzdem haben will, muss jeder Peter-Hammill-Fan selbst entscheiden.

CD 5: „What about Songs I didn’t play in Japan”

Endlich sind die Japan-CDs vorbei – dachte ich. Auf CD 5 spielt Peter eher unbekanntere – und man muss sagen: auch unbedeutendere – Songs aus seinem Repertoire. Das Verdikt gilt natürlich nicht für „Primo on the Parapet” und „Our Eyes give it Shape” (wohl aber für die Version des letzteren Songs).

Einige wenige weitere Highlights:

„The Lie” – Peters Abrechnung mit dem Katholizismus.

„Meanwhile My Mother” – eines der besten und schönsten Lieder, die Peter je geschrieben hat, mit einem Text, der sehr nachdenklich und mich frösteln macht.

„A Way Out” –  melodramatisch, aber wenn man sich darauf einlassen kann – packend.

CD 6: „What about songs I dropped from the setlists?”

Hier war ich hochgradig gespannt, was mich erwartet (da ich mir die Songliste auf dem CD Cover vorher nicht ansehe, stelle ich eine Situation ähnlich wie im Konzert her). Welche Songs will Peter nicht mehr spielen? Die „zu” persönlichen (aus der Alice-Zeit?). Die, deren Attitüde er nicht mehr mag? Die, die ihn langweilen, weil er sie schon zu oft gespielt hat? Die, die solo schwer zu spielen sind?

Leider kommen hier bald wieder die dumpfen japanischen Aufnahmen, wie zum Beispiel das von mir geliebte „Too many of my Yesterdays” – hier aber auch zu laut.

Auch „The Mousetrap” wurde offenbar in Japan aufgenommen. Derselbe Song vom bekannten Bootleg „Skeleton of Songs” aus 1978 (!), findet sich in einer remasterten Version des Bootlegs auf der 2006er Edition von „The Future Now”, hat dort zwar ein noch stärkeres Rauschen, aber einen deutlich präsenteren und klareren Gesang.

Das Highlight dieser CD ist „(On Tuesdays she used to do) Yoga” – die harten Akkorde am Schluss sind phänomenal. Auch gelungen ist das sehr schön „Time to burn” von „Sitting Targets” (1981).

„Afterwards” und „Refugees” halte ich für einigermaßen missraten. Peter kommt einfach nicht mehr in die Stimmlagen dieser Frühwerke –  und wieder JP...

CD 7: „What about the best alternate versions?”

Diese CD gibt mir nun den Rest. Was hätte man hier erwartet? Versionen, die anders als die bislang veröffentlichten sind. Versionen, die mit Piano-, statt mit Gitarrenbegleitung sind bzw. umgekehrt.

Stattdessen gibt es ausschließlich Wiederholungen von Material derselben Box, vornehmlich von der ersten und zweiten CD!

Dabei sind die „alternativen” Versionen nicht so viel anders, v. a. aber lauter und auch nach meinem Geschmack – schlechter. Die trüben, bootleg-ähnlichen Aufnahmen aus Japan sind ebenfalls wieder vertreten.

Mir bleibt als Fazit nur: eine fragwürdige Vermarktungsstrategie. Man hätte es bei den beiden CDs von Pno, Gtr, Vox belassen sollen. Dem musikalischen Erbe eines außergewöhnlichen Künstlers wird so eher Schaden zugefügt.

Peter Eisenburger, 2. April 2012.

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Hochgeladen am 13. August 2021. Zuletzt editiert am 8. August 2023.

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