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Gentle Giant: Octopus
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„Octopus” war nach „Three Friends” das vierte Album von Gentle Giant und erschien wie das Vorgängeralbum im Jahre 1972. Musikalisch knüpft „Octopus” aber an „Acquiring the Taste” an, der zweiten Veröffentlichung der Gruppe aus dem Jahre 1971.

Während „Three Friends” ein Konzeptalbum mit einer durchgängigen Thematik war, zeigt der achtarmige „Octopus” ein buntes Kaleidoskop von perfekten musikalischen Bravourstücken, ungemein unterhaltsam, abwechslungsreich und virtuos. Gentle Giant brillieren zwischen madrigaler Musik, Klassik, Jazz, Rock und Blues und zeigen, was sie auf unzähligen Instrumenten und in vielfältigen Kompositionstechniken können. Jedoch fehlt nach meinem persönlichen Geschmack im Vergleich zu „Three Friends” ein bißchen die Kohäsion zwischen den acht Tracks, so wie es auf den beiden Folgealben, „In a Glass House” (1973) und „The Power and the Glory” (1974), wieder gelang.

Für viele Fans ist „Octopus” jedoch das beste Album von Gentle Giant, und ganz sicher eignet es sich hervorragend als Einstieg in das Œuvre dieser Band.

Alle acht Titel hätten eine eingehende Würdigung verdient, herausheben will ich jedoch folgende kleinen Kunstwerke:

Im Opener „The Advent of Panurge” wechseln sich zarte mittelalterliche Klänge mit Passagen ab, in denen fetziger Gesang über einen hämmernden Klangteppich aus Perkussion sowie Klavier- und Hammondorgel-Tönen gelegt wird. Unirdisch fremd, aber geradezu atemberaubend klingt es, wenn sich durch einen Phaser behandelter Chorgesang mit dem wabernden Untergrund mischt. „The Advent of Panurge” war immer schon aufregend, hat aber vom Remastering noch einmal deutlich gewonnen. Man hört nun selbst auf einer mittelprächtigen Anlage deutlich die Anschläge auf den Tasten und den Drums.

„The Boys in the Band” ist bei einer Truppe von überwiegend klassisch ausgebildeten Multiinstrumentalisten erstaunlicherweise eines der ganz wenigen reinen Instrumentalstücke geblieben – und hat es dafür aber in sich. Das lustig-verspielte und schön zwischen Synthesizer-Linien und E-Gitarre ausbalancierte „The Boys in the Band” ist abwechslungsreicher als komplette Alben anderer Gruppen. Im zweiten Teil überrascht ein hinreißendes Synthesizer-Solo von Kerry Minnear, in dem er eine Tin Whistle imitiert. (Damals brauchte man noch einen „Programmierer” für den Moog, wofür die Gruppe Mike Vickers engagierte.) „The Boys in the Band” weckt Erinnerungen an die HR-„Anti-Hitparade” von Volker Rebell, der viel dazu getan hat, Gentle Giant in Deutschland bekannt zu machen.

„Think of me with Kindness” ist ein Liebeslied, in dem Kerry Minnear mit zart-melancholischer Stimme das Ende einer Beziehung besingt. Balladenhafte Strophen wechseln sich ab mit orchestral-hymnischen sowie schmerzlich-quälenden Passagen und tun so in typischer Gentle-Giant-Manier ein übriges dazu, dass kein Kitsch, aber auch kein Charthit entsteht. Für mich schon damals eines der schönsten Liebeslieder.

Titel wie „Knots” sind vertrackt bis an die Grenze der Erträglichkeit und Aufnahmefähigkeit, obwohl die Kompositionen auf „Octopus” insgesamt griffiger und kompakter wirken als die vorherigen Veröffentlichungen.

Die remasterte Edition von Repertoire aus dem Jahr 2007 im schönen Digi Sleeve lässt keine Wünsche offen. Wie es sein soll, blieb das ursprüngliche Arrangement absolut unverändert und kommt nun in seiner ganzen Pracht zur Geltung. Im Unterschied zu „Three Friends”, das damals vorher erschien, aber in der remasterten Version ein Jahr später, erscheint mir die „Octopus”-Ausgabe durch die Repertoire-Tontechniker etwas mehr geglättet worden zu sein.

Peter Eisenburger, 25. März 2008.

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Hochgeladen am 18. September 2021.

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