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Konrad Helbig

Sizilien

Konrad Helbig: Sizilien

Konrad Helbig: Sizilien

Ab Mitte der 50er Jahre brachten die Verlage der jungen Bundesrepublik wieder Bildbände über ferne oder auch nur andere Länder heraus. Gefragt waren vor allem die Stätten der klassischen Antike, in erster Linie Italien, aber auch Griechenland und Ägypten, und ab Ende der 50er Jahre die Provence (eine der Traumlandschaften der Deutschen).

Diese Bücher, von denen ich hier eines vorstelle, das mich besonders beeindruckt hat, verbanden tiefgreifende Kenntnisse der Geschichte und Kultur dieser Länder sowie der Lebensweise ihrer Menschen mit aussagekräftigen, großformatigen und gestochen scharfen Schwarz-Weiß-Fotos.

Ich weiß noch genau, wie ich an einem Septembersonntag des Jahres 2014 im Café des Historischen Rathauses in Diez saß und dieses Buch aufschlug.

Schon das zweite Bild ließ mich in Tränen ausbrechen, so ergriffen war ich. Die Ionische (Ost-)Küste bei Santa Teresa di Riva. Ein geschichtsträchtiger Küstenstrich. Welche Völker der Antike landeten hier nicht? Die halbe Odyssee spielt hier.

Ich machte mir folgende Notizen:

„deutlich kann ich das Meer hören, die Wellen ans Ufer rollen und brechen, das Wasser zurücklaufen. ich spüre den Wind auf der Haut, sehe die ganze Helligkeit, die Farben, blau, grün; gelbe und rote Blüten. hier war ich nie und hier werde ich nie sein – und doch war ich immer hier.”

Konrad Helbig zeigt eine bestürzend schöne, sinnenfrohe Landschaft mit antiker, mittelalterlicher oder früh-neuzeitlicher, zerfallender Kulisse und den ungeschönten Alltag der Menschen, die dort leben. In diesem Buch werden keine “Sehenswürdigkeiten” abgebildet, sondern Geschichten voll dramatischer Wucht erzählt.

Das historische Wissen des Autors wie auch seine Kenntnisse der aktuellen sozialen Gegebenheiten sind umfassend. So viele Geschichten aus so vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden einer Insel voller Tragödien, voller Unterdrückung, voller Unmenschlichkeit.

Da macht uns Helbig mit den Muschelkalkwänden nördlich von Syrakus bekannt, den sogenannten „Galeeren von Syrakus”. In diese Steinbrüchen wurden Kriegsgefangene gebracht, um sich zu Tode zu arbeiten. So ging es auch 7000 jungen Athenern, die Überlebenden eines 40.000 Mann zählenden Heeres, das 413 v. Chr. im Rahmen des Peloponnesischen Krieges von Syrakus und Sparta vernichtend geschlagen wurde. Nach 8 Monaten lebte keiner mehr (Tafel 28).

Da erfahren wir, jetzt in der Neuzeit, was es mit einer Schwefelgrube bei Racalmuto auf sich hat. Um 1900 kam vier Fünftel der Schwefelproduktion aus Sizilien. Die Minenarbeiter, die „Calcaroni”, ersiedeten „das Material bei stark giftigen, frei entweichenden Verbrennungsgasen von Hand”. Ein Drittel des Materials entwich bei der Herstellung (Tafel 51).

Und dann gibt es die Montagna Bianca, die Bimssteingruben. Dazu schreibt Konrad Helbig, der es mit eigenen Augen sah: „Diese Gruben sind eine Art Vorhölle, zu der tausend Menschen, mit überreizten Augen, entzündeten Schweißdrüsen und rasselnden Lungen, wehrlos gegen den Glasstaub und sein infernalisches Reflexlicht, verdammt sind; sie entreißen dem Berg alljährlich 70.000 Tonnen” (Tafel 150).

Peter Eisenburger, 14. September 2014 / 4. Januar 2019.

Konrad Helbig: Sizilien. Insel Verlag, Zweigstelle Wiesbaden 1956. 219 Seiten. 40,00 DM.

Text bereits erschienen bei meiner Besprechung der “Schönsten deutschen Bücher”.

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Hochgeladen am 5. März 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. März 2022.

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