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Thomas Mann
Der Zauberberg

Thomas Mann: Der Zauberberg

Die großen Klassiker der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts (Thomas Mann, Günter Grass, Heinrich Böll) las ich in der zweiten Hälfte der 80er, also in der Zeit nach meinem 30. Geburtstag.

Im Deutsch-Unterricht hatte ich gelernt, dass Literatur langweilig ist. Jahre später wollte ich aber unbedingt wichtige Werke der deutschen Literatur kennenlernen – und erfuhr endlich, wie spannend und manchmal ergreifend und manchmal sogar atemberaubend das alles ist.

Ich fange an mit:

Thomas Mann: Der Zauberberg
Roman

Es ist ein Wahnsinns-Buch, der „Zauberberg” von Thomas Mann. Ein Vierteljahr habe ich praktisch damit gelebt, und es taucht auf drei meiner Stillleben auf. Und es ist traurig, nicht nur das Ende des Buches, der Tod des Hans Castorp, besser: sein im (nicht ganz) Unbestimmten gelassener Untergang (vor Verdun?), der Untergang einer ganzen Gesellschaft im 1. Weltkrieg, auch für mich: ein Zeitabschnitt ist wieder vorbei.

Wie ich das Buch genossen habe und seine Helden geliebt habe, den Bildungsreisenden Hans Castorp, die schöne, schlanke Claudia Chauchat, den pädagogischen und humanistischen Unterweiser Ludovico Settembrini. Und alle Personen, auch die, mit denen ich mich nicht so identifiziert habe, wie mit diesen dreien, stehen eigentlich für ein Prinzip.

Hans Castorp steht für jeden, der lernen will und kann, aber auf der anderen Seite auch nicht aus seiner Haut und seiner Klasse heraus kann; Claudia Chauchat und Castorps Beziehung zu ihr für die Sinnlichkeit, die Begierde, die Sehnsucht, die erotische und sexuelle Liebe; Settembrini für die Aufklärung, die Vernunft, die Wissenschaft, den Fortschritt, das Bürgertum, die Pädagogik, den Humanismus [...], den Genuß; sein Gegenspieler Naphta für die Askese, den Terror, das Mittelalter, das Irrationale; Hofrat Behrens für das Väterliche; Dr. Krokowski für die Psychoanalyse usw. Um nur einige Facetten des Buches herauszunehmen, wichtige Bausteine jedenfalls.

Und das Buch bietet einem eigentlich alles, was Literatur bieten kann, die Erörterung philosophischer Fragen, eine Liebesgeschichte, die Beschreibung einer bestimmten Zeitepoche, sensible und differenzierte Ansichten zu den unterschiedlichsten Themen wie Psychoanalyse, das Verhältnis von Geist und Materie, spiritistische Sitzungen usw. Z. T. sind sogar richtige Kurzgeschichten eingebaut wie der Abschnitt, wo Hans Castorp sich im Schnee verirrt. Es ist Ernst, Moral, Witz und Satire drin. Das einzige Problem besteht vielleicht in einer gewissen Weitläufigkeit, aber vielleicht unvermeidlich bei der Thematik.

Und was der Thomas Mann alles in sich gehabt haben muß, eigentlich die ganze europäische Geschichte. Und er schreibt vom Standpunkt großer Menschlichkeit und Sensibilität, großer Beobachtungsgabe, eines großen Einfühlungsvermögens, von der Erzähltechnik ganz zu schweigen.

Peter Eisenburger, 17. Juli 1987.

Der Zauberberg

Abgebildete Ausgabe: Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1967, 381.–395. Tausend 1986. 747 Seiten.

Deutsche Erstausgabe: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1924.

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Hochgeladen am 4. Juni 2021. Zuletzt aktualisiert am 4. August 2023.

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