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Die schönsten Bücher 1979

1979. In Deutschland wurden die “Grünen” als Partei gegründet, die zunächst jahrelange heftige Flügelkämpfe überstehen mussten, ehe sie in die praktische Regierungspolitik eingreifen konnte. Außerparlamentarisch war schon zu Beginn anders. Neben dem linken Flügel der SPD war es vor allem die neue Grüne Partei, die die Friedensbewegung in ihrem Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss unterstützte. In dieser Auseinandersetzung fanden in der BRD die größten Massendemonstrationen ihrer Geschichte statt.

Manche Historiker sehen im Jahr 1979 international den Beginn so tiefgreifender Umwälzungen, dass man vom Übergang in eine neue Epoche sprechen könne:

Im Iran fegte die “Islamische Revolution” das Schah-Regime hinweg. Der Siegeszug des radikalen Islam begann.

In Afghanistan marschierte die Sowjetunion ein und verwickelte sich in einen nicht zu gewinnenden Krieg eben gegen diesen fundamentalistischen Islam.

In der Volksrepublik China wurde unter Deng Hsiao-ping ein rigoroser Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik durchgeführt, der das Land mittel- bis langfristig zur zweitstärksten Nationalökonomie der Welt machen sollte.

In Afrika zog sich nach Portugal auch die letzte Kolonialmacht zurück. Großbritannien stimmte zu, Rhodesien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Das künftig so genannte Zimbabwe sollte allerdings nach Anfangserfolgen eine zunehmend katastrophale politische und wirtschaftliche Entwicklung nehmen.

Die fünfzig Bücher 1979
Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main


War das eine Kulturrevolution, die hier bei der Stiftung Buchkunst anstand? Der Katalog jedenfalls erfuhr die zweite Etappe seiner Neugestaltung seit 1978.

Das Format wurde zum dritten Mal seit 1953 und 1965 vergrößert und blieb bis heute (2019) beim 1979 erreichten kleinen Sachbuchformat von 17 x 24 cm. Auch die Dicke des Bandes, die sich aus der Verwendung von einer Doppelseite je Buch ergab, blieb in etwa bis 2005 bestehen; ab 2000 nahm sie wegen der Verwendung von dickerem Papier etwas zu). 2006 starteten dann Experimente, die aus dem Katalog voluminöse, unübersichtliche Bände machten.

Zum ersten Mal gab es auch eine richtige künstlerische Gestaltung des Titelbildes, diesmal von Heinz Edelmann, der in die Jury aufgenommen wurde und von dem man auch wieder ein Buch auszeichnete.

Gar keine gute Idee war es hingegen, für den Katalog elfenbeinfarbiges Papier zu nehmen (gespendet von der Papierfabrik Scheufelen, die alleine 19 Preisträger stellte) und darauf die (erstmals aufgeschlagen fotografierten) Bücher in Grau abzubilden. Unweigerlich wirkt das unnatürliche Grau nicht realistisch, sondern schmutzig.

Den Vorsitz der Jury gab der Verleger Ernst L. Hauswedell weiter an „Kurt Nowak”. Die Suche des Rezensenten nach Beruf, entsendender Institution, Wahlverfahren, überhaupt

irgendeiner Information schlägt leider fehl, so dass man sich 40 Jahre später fragen muss, um welche Person es sich handelte. Es war wohl nicht der gleichnamige Kirchenhistoriker. Die Stiftung Buchkunst und das Thema “Transparenz”...

Sekretär des Wettbewerbes war wie letztes Jahr der neue Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst Philipp Bertheau.

An der Auswahlpolitik änderte sich nicht viel – mit einer Ausnahme: Der Stellenwert der Büchergilde Gutenberg und ihres Chefdesigners Juergen Seuss wurde auf drei beziehungsweise zwei Titel heruntergeschraubt. Der neue Star war jetzt der Verlag Zweitausendeins und damit der Gestalter Franz Greno (fünf Titel).

Das war schon kurios. Ein Verlag, der vorher wenig berücksichtigt wurde (1978 gab es schon mal zwei Preisträger), hatte fast aus dem Stand die meisten Nennungen und der bisherige Favorit wurde auf die Ränge verwiesen. Was war da passiert?

Diesmal gab es drei Vorworte bzw. einleitende Texte.

Wolfgang Weyrauch, von dem sich auch schon mal ein Buch unter den Preisträgern befunden hatte, durfte in seinem typischen Stil irgendwie beschreiben, was für ihn ein „schönes“ Buch ist.

Der Verleger Ernst L. Hauswedell, dessen Bücher regelmäßig ausgezeichnet wurden, gibt eine Übersicht über Geschichte und Ablauf des Wettbewerbes, die viel sachlicher ausfällt, als man es von Hans Peter Willberg gewohnt war, aber ebenso affirmativ ... wie man es auch von einem x-fachen Preisträger nicht anders erwartet hätte.

Zum neuralgischen Punkt, dass Bewerber gleichzeitig Juroren sind, stellt er lapidar fest: „Auf ihre Mitwirkung lässt sich ebensowenig in der Jury verzichten, wie auch auf die von ihnen betreuten Bücher.” (S. XII) Es sei damit getan, dass die Betroffenen bei der Entscheidung dann mal herausgehen. Dass es aber sehr wohl anderes geht, zeigen zum Beispiel der österreichische und schweizerische Wettbewerb.

Philipp Bertheau schreibt unter dem Titel „Die fünfzig Bücher 1979“, über Einzeltendenzen des aktuellen Wettbewerbes, in dem 46 Titel ausgewählt wurden. Ab 1980 sollte dieser Unsinn der nur angeblich „50” Bücher aber endlich aufhören.

Eingereicht worden waren 505 Titel (1978: 513). Gegenüber der Gesamtzahl der produzierten Titel, die in diesen Jahren massiv anstieg (siehe Zahlen unten bei DDR), wurde der Anteil der vorgelegten Kandidaten also immer kleiner.

Das von Bertheau am Schluss bemühte Zitat des Journalisten und Jury-Mitgliedes Georg Ramseger, wonach die Stiftung Buchkunst das Regulativ des Buchmarktes sei, kann man nur als Wunschvorstellung bezeichnen. Dazu war und ist nicht nur die öffentliche Bedeutung viel zu gering, sondern auch viele Verlage ließen und lassen den Wettbewerb links liegen.

Das gesteht Bertheau selbst ein, wenn auch nicht in dem anklagenden, rechthaberischen Ton, den man in den Vorjahren mehrmals gelesen hatte: der Wettbewerb könne „nicht repräsentativ” sein, da „manche Verlage, die auch mit einem gewissen Anspruch Bücher herstellen, gar nicht vertreten sind” (ob bei den Einsendungen oder den Preisträgern, wird hier nicht klar) und zudem aus gewissen Buchkategorien, wie etwa den Foto-Bildbänden, nur ein allzu kleiner Teil angemeldet” werde (S. XVII). Wie gering die Bedeutung der Stiftung Buchkunst in der Branche tatsächlich war, erkennt man etwa daran, dass sie im alljährlich erscheinenden Branchenreport “Buch und Buchhandel in Zahlen” weder unter “Einrichtungen für Buch und Buchhandel” aufgeführt, noch sonst ein einziges Mal auch nur erwähnt wird.

Die Gewichtung der einzelnen Gruppen hat sich gegenüber dem letzten Jahr etwas verschoben, vor allem bei Belletristik und Wissenschaft. Darin muss man aber keine grundsätzliche Entwicklung feststellen.

Mehrere Gruppen fielen aber ganz aus. Bei den „Schaubüchern” (gemeint sind Kunst- und Fotobände) wurde erneut kein einziger „Kunst-Bildband” prämiiert. Die einschlägigen Einsendungen hätten nicht einmal „die Auseinandersetzung herausgefordert”. Das ist schon eigenartig, da zum Beispiel im selben Jahr in der Schweiz je nach Definition und Gruppenzuordnung 8–12 „Kunst-Bildbände” ausgezeichnet wurden.

Kritisch kann man auch bewerten, dass mit der Begründung einer zu „betonten und überzogenen Gestaltung” nicht ein einziges Jugendbuch ausgezeichnet wurde. Gerade diese „betonte” Gestaltung, die Neuland betrat und Experimente wagte, wurde aber von der Jury immer wieder gefordert.

Noch einige Anmerkungen zu den ausgewählten Titeln.

Zu den Fragwürdigkeiten dieses Jahrgangs gehört, dass mehrere Frakturbände ausgewählt wurden.

Bei der Belletristik (nach wie vor als „Allgemeine Literatur” bezeichnet) dominieren neben ein paar Klassikern mehrere Werke im Umfeld der 68er Generation, die sich um radikale Subjektivität, Surrealismus, Drogen und Obszönität drehen.

Die mit dem Scheitern der RAF verbundene Tristesse und Wirklichkeitsflucht bei den Linksintellektuellen kann man deutlich erkennen. Und ein Werk des ehemaligen Lebensgefährten der Gudrun Ensslin aufzunehmen, ist durchaus auch eine Stellungnahme.

Zwei Chemielehrbücher und drei Mathebücher haben ihren Weg in den Auswahlband gefunden. Auf einer Beispielseite sieht man Formeln über Formeln und Philipp Bertheau kamen selbst Zweifel, da „man selbst erst einmal Mathematik-Pädagoge werden möchte, um beurteilen können, welcher Einsatz von Farben (...) und anderen Auszeichnungen als didaktische Hilfsmittel wirksam und hilfreich sind.” Prämiiert wurden die Bücher trotzdem, weil man nach dem Grundsatz „In dubio pro reo” vorgegangen sei (XXI). Wäre man das doch öfters.

Lionel Casson: Die Seefahrer der Antike

Lionel Casson: Die Seefahrer der Antike

Wie es dieser Band auf die Auswahlliste geschafft hat, ist schwer erfindlich. Sicher ein handwerklich gediegen gemachtes Buch. Und die Expertise des Althistorikers Lionel Casson steht ebenfalls außer Frage.

Aber die amerikanische Originalausgabe erschien 1959. In den seitdem vergangenen 20 Jahren werden zwar keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse zum Thema gemacht worden sein. Aber wenigstens hätte man die vom selben Verfasser 1971 erschienene Studie “Ships and seamanship in the ancient world” als Grundlage für eine deutsche Ausgabe machen können.

Vor allem aber wurden in der Zwischenzeit drucktechnisch gewaltige Fortschritte gemacht. Der vorliegende Titel hat aber nur einen attraktiven, von Eugen Sporer geschickt gemachten Schutzumschlag. Alle Illustrationen im Innenteil sind entweder Schwarz-Weiß-Fotos und vor allem zahlreiche winzig kleine “Strichzeichnungen im Text”.

Aus der Sicht des Rezensenten kaum eines der Bücher des Jahres.

Hermann Grub: Erholungsraum Stadt

Hermann Grub: Erholungsraum Stadt

Die Broschüre dokumentiert ein bereits 1974/1975 begonnenes Forschungsprojekt des bekannten Stadtarchitekten Hermann Grub (*1939) zur Entwicklung mehrerer Stadtteile von München.

Ziel war es, exemplarisch in einer vom zunehmenden Individualverkehr und ausufernden Bauvorhaben bedrängten Stadt Erholungsräume für Mensch und Natur zu bewahren und auszubauen. Grub wollte dies durch eine Verkettung von grünen Inseln erreichen, die er vor allem in den Hinterhöfen der großen Wohnquartiere lokalisierte. Nicht bei allen Bewohnern stieß allerdings die Idee, in ihren Hinterhöfen öffentliche Parks zu errichten auf Gegenliebe.

Was hat die Juroren an dem Buch beeindruckt? Die vielen Zeichnungen? Wenn man Pläne von ganzen Stadtvierteln auf das kleine Format 23 x 22 cm bringt, führt das naturgemäß dazu, dass wichtige Details nicht mehr zu erkennen und Beschriftungen teils nur zu erahnen sind. Warum dann mehrmals Pläne ein zweites Mal auf der gegenüberliegenden Seite reproduziert sind (z. B. S. 72/73), bloß um noch eine gestrichelte Linie in die Straßen (“Verkehrsplan) zu zeichnen, ist nicht ersichtlich und eine Platzverschwendung.

Vor allem leidet die Broschüre unter der für den Hatje Verlag typischen, mit 8 pt winzig kleinen Schrift. Das kann man bei Bildbänden mit einem sehr luftigen Layout machen, wenn man noch einen großen Zeilenabstand und höhere Absatzabstände einhält. Aber ganze Seiten mit diesen gedrängten Buchstabenfriedhöfen vollzuschreiben, ist eine Zumutung.

Hinzukommt noch das schwer verdauliche, technokratische Soziologen-Deutsch der ausufernden und sich endlos in Details ergehenden Texte.

Leider gibt es außer dem Umschlag nur 4 Farbbilder, alles andere ist schwarz-weiß. Der Preis von 52 DM für ein solches Buch mit 124 Seiten scheint schwer vermittelbar.

Die Reproduktion der vielen Karten, Zeichnungen und Fotografien war sicher sehr aufwendig. Schade, dass nicht mehr dabei herausgekommen ist.

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Der Wettbewerb in der DDR

Die schönsten Bücher der DDR 1979

Der Umschlag hatte sich 1979 in für DDR-Verhältnisse schon extremer Art verändert. Man hat jetzt ein flottes Paperback mit einer modern anmutenden Gestaltung statt dem altbackenen Leinenformat – das allerdings wiederkehren sollte. Da schienen im Hintergrund wahre Kämpfe ausgefochten zu werden. Noch in den 50ern wäre der gelb-grüne Umschlag als „formalistisch” gebrandmarkt worden und hatte wohl in dieser Machart auch jetzt nicht nur Freunde in der Kulturpolitik der DDR.

Auch das Vorwort ist im Vergleich zu dem, was man gewöhnt war, anders, nämlich überraschend kurz. Es dürfte das erste Mal sein, dass im Vergleich die BRD bei den Vor- und Begleitworten sowie den Juryberichten ausführlicher war.

Die 25-köpfige DDR-Jury (hinzu kamen 6 Gastjuroren aus den „befreundeten sozialistischen Ländern”) tagte nach wie vor öffentlich. Vorher hatte schon eine aus rund 50 Mitgliedern bestehende Vorjury in 7 Gruppen gearbeitet.

Die langjährigen Vorsitzenden der Jury waren die Professoren Bruno Kaiser, Albert Kapr und Horst Kunze. Träger des Wettbewerbes waren traditionell das Ministerium der Kultur in Berlin und der Börsenverein der Buchhändler zu Leipzig.

Es wurden wieder 50 Titel ausgewählt, diesmal aus 257 Einreichungen.

Bei den Zahlen fiel etwas auf:  Die durchschnittliche Auflagenhöhe der Preisträger belief sich auf 14.300 (S. 8), während es im Vorjahr noch 18.000 gewesen waren.

Das kann eine kurzfristige Schwankung gewesen sein. Aber der gesamte Buchmarkt der DDR stagnierte in auffälliger, ja bedenklicher Weise (so, wie der ganze Staat). 1979 wurden in der DDR 6009 Titel aufgelegt (1977: 6015 / 1978: 5906). Die gesamte Auflagenhöhe erreichte 138,5 Millionen (1977: 137,8 / 1978: 139,5).

In der BRD etwa stieg der Anzahl der *erst*aufgelegten Titel von 39.044 (1977) über 43.270 (1978) auf 50.306 (1979), explodierte also förmlich. –

Bei den Bemerkungen zu den einzelnen Literaturgruppen kommt teils Lob, teils dezente Kritik.

Über die Jahre und Jahrzehnte hatte sich doch einiges geändert. Man vermeidet es jetzt, den sozialistischen Klassikern einen mehr als angemessenen Stellenwert einzuräumen. Die ersten beiden Plätze der Gesellschaftswissenschaften (eine Kategorie, die in der BRD gar nicht existierte) nehmen zwar noch Bebel (und der war immerhin SPD) und Thälmann ein, aber dann kommt schon eine vielfältige Mischung, die mit einem Wittenberg-Führer („als Lutherstadt”) startet.

Allerdings wird hervorgehoben, dass im gesamten Katalog 20 von 50 Titeln „Ergebnisse des Schaffens sozialistischer Schriftsteller und Künstler sind bzw. sich unmittelbar dieser Thematik zuwenden.” Wenn man sich die Bücher einmal ansieht, zu denen auch Titel wie „Schöne Blütengehölze”, „Lehrbuch der Mineralogie” oder „Handbuch der Feinbearbeitung” gehören, wird deutlich, wie ideologisch verbohrt eine solche Unterscheidung ist.

Eine hingegen begrüßenswerte Besonderheit der DDR bestand in der entschiedenen Förderung von Büchern für Minderheiten. So wurden fast jedes Jahr vorbildliche Lehrwerke für die Gehörlosenschulen ausgezeichnet.

Deutsche Demokratische Republik

Deutsche Demokratische Republik

Repräsentativer, sehr hochwertig aufgemachter Bildband zum 30-jährigen Bestehen der DDR. Das voluminöse Werk muss so teuer in der Herstellung gewesen sein, dass selbst der subventionierte Verkaufspreis noch bei hochpreisigen 58 Mark lag. Gedruckt wurden gigantische 60.000 Exemplare.

Die viersprachigen, eher kurz gehaltenen Propagandatexte im typischen, etwas gestelzt wirkenden DDR-Sprech (als Zeitdokumente sehr aufschlussreich) sind wunderbar luftig auf farbige Trennblätter gesetzt.

Aber hauptsächlich überzeugen die durchweg ausgezeichneten, oft doppelseitigen Fotografien, die in 7 Kapitel unterteilt sind und von den besten Fotografen der DDR aufgenommen wurden.

In der Summe sieht man, dass in einem großen historischen und globalen Vergleich das Leben in der DDR gar nicht so viel anders war als in der BRD: ein europäischer Industriestaat der 70er Jahre, der zu den zehn wohlhabendsten Ländern der Welt gehörte.

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Abseits von all den politischen Unterschieden sind einige Akzente anders.

Zu Beginn des 1. Kapitels marschieren über eine Doppelseite selbstbewusste DDR-Bürgerinnen auf den Betrachter zu – in einer Zeit, als in der BRD die Frauenbewegung noch mühsam versuchte, Einfluss zu gewinnen. Auch in Führungspositionen wurden in der DDR schon in den 70ern Frauenanteile erzielt, die man im Westen und im “wiedervereinigten Deutschland” 40 Jahre später erst mit “Quoten” und “freiwiligen Selbstverpflichtungen” zu erreichen suchte.

Mehrfach sieht man auf den Fotos breite Straßen mit kaum Autoverkehr – in einer Phase, als die Städte in der BRD anfingen, dem Individualverkehr und der grassierenden “Bauwut” mühsam Raum für die Bürger abzuringen (siehe oben). Und in der deutschen Jetzt-Zeit (2019) wird ein autofreies Leben wieder Idealbild einer selbsternannten Öko-Elite, was so einiges über deren politische und gesellschaftliche Werte und deren Verwandtschaftsverhältnisse sagt.

Immer wieder prangen dem Betrachter großtechnische Industrieanlagen entgegen, auf welche die DDR ungeheuer stolz war, auch wenn – was der Band natürlich verschweigt – deren Unterhaltung und Modernisierung den Staat vor immer schwierigere finanzielle Probleme stellte.

Aber auch die Jubiläumsbände der BRD zeigten ausschließlich die positiven Seiten des Staates. Der Verfasser erinnert sich an eine Episode aus seinem persönlichen Leben, die sich um eine Broschüre “25 Jahre Bundesrepublik – unser Staat” drehte.

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Die beeindruckenden Leistungen der DDR, etwa im Sozialwesen und auch im Bildungssystem sind schwer abzustreiten.

Was man auf den Bildern nicht sieht, sind geknechtete Menschen, die hilflos einer blutigen Tyrannei ausgeliefert sind. Deshalb sollte der Band im Sozialkunde-Unterricht der Jetzt-Zeit neben die durchaus berechtigte, aber nicht das Gesamtbild der DDR erfassende Kritik gestellt werden.

Es hätte alles viel anders sein können, hätte nicht die Entartung des Sozialismus durch den Import des stalinistischen Sowjetsystems alles, was richtig war, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Aber eines ist auch gewiss: gegen den entfesselten kapitalistischen Markt des Westens hätte kein Sozialismus irgendeiner Art, auch nicht einer “mit menschlichem Antlitz” auf Dauer eine Chance gehabt.

Und wie eigenartig, ja, wie bitter für viele Menschen mutet dieses “Für immer...” im Text des Buches an.

Abbildungen aus dem besprochenen Band. Fotos S. 219: Große (1), K. Morgenstern (4),
Rössing (4). Foto S. 220: Müller.

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Ein Blick nach Österreich

Die schönsten Bücher Österreichs 1979

Die schönsten Bücher Österreichs 1979

Österreich fuhr fort, die schönsten Kataloge aller hier verglichenen Länder aufzulegen und wirklich schöne Bücher zu prämiieren.

Es gab zwar ein starkes Übergewicht von Bildbänden (im Jargon des bundesdeutschen Wettbewerbes: “Schaubänden”), aber wen störte das? Und ein Prosasammlung sowie ein Schulbuch kamen ja auch noch hinzu.

Einzig die feste Vorgabe, auf genau 12 Preisträger zu kommen, mutet etwas überflüssig an.

Die Zahl der eingesandten Titel belief sich in den 70er Jahre immer um 80 herum. 1979 waren es 81. Eine Veränderung gegenüber den Vorjahren bestand darin, dass dieses Jahr nur 1 Buch aus dem gesamten Bereich der Kinder- und Jugend- sowie Schulbuchliteratur ausgewählt wurde – auch das war gerade gegenüber der BRD positiv, wo die Jury sich allzu sehr in diese Literaturgattungen vernarrt hatte.

Als Gott den lieben Mond erschuf. Ein deutsches Lesebuch.

Als Gott den lieben Mond erschuf.
Ein deutsches Lesebuch.


“Edel sei der Mensch und gut...” Damit fängt eine reiche Sammlung klassischer Gedichte sowie einiger kleiner Prosastücke an, die kaum einen Wunsch offen lässt. Hier findet man praktisch alles, was im erweiterten Bildungskanon der deutschsprachigen Länder Rang und Namen hat oder hatte.

Sehr hübsch sind auch die vielen, passenden Illustrationen, unter anderem von Otto Ubbelohde.

Alles würde stimmen, auch das handwerklich gut und haltbar gemachte Buch im festen Leineneinband. Und über die nicht stimmige Umschlagillustration eines  nicht genannten Künstlers kann man hinwegschauen.

Wäre da nur nicht das “kreative” Layout. Wenn man ein Gedicht in zwei Spalten setzt, kann eben die linke Spalte nicht weniger Strophen haben als die rechte und nicht noch ein Bildchen irgendwo auf der Seite herumschwirren.

Und leider ist die Prosa dichtgedrängt mit 9 pt Walbaum etwas zu klein gesetzt.

Wie traurig und vielsagend, dass Lyrik nur noch eine marginale Rolle für die konsumorientierten, technikergebenen und die mit immer neuen Attraktionen lockenden Online-Welten auf kleinen iPhone-Bildschirmen durchhetzenden “neuen” Menschen des 21. Jahrhunderts spielt.

Und im Unterricht ist es längst verpönt, Gedichte auswendig zu lernen. Stattdessen werden häufig nur noch bruchstückhafte “Texte” von “Autoren” möglichst kurzschrittig “analysiert”.

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...was macht die Schweiz?

Die schönsten Schweizer Bücher 1979

Nach einer 8-jährigen Amtszeit führte die Schweiz ein fast komplettes Revirement der Jury-Mitglieder durch (äußerlich schon zu erkennen am neu gestalteten Einband, der aber auch nur vier Jahre Bestand haben sollte).

In der Jury war “erstmals auch eine Frau” und der Vorsitz wechselte von der “Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft”, die aber nach wie vor in der 15-köpfigen Jury vertreten war, zum “Schweizerischen Buchhändler- und Verleger-Verband”.

Schirmherr war nach wie vor eine staatliche Institution, jetzt das Bundesamt für Kulturpflege.

Die Zahl der Einsendungen fiel wieder zurück auf 216 (1978: 268, 1977: 218). Ausgezeichnet wurden aber so viele Titel wie nie zuvor, nämlich 41 (1978: 21, 1977: 31). Dabei war die regionale Verteilung etwa wie in den Vorjahren, neu war aber die Berücksichtigung des rätoromanischen Sprachgebietes, und dies gleich mit 2 Büchern. Dies stellte schon eine gewaltige Veränderung dar, wenn man berücksichtigt, dass diese Region vorher überhaupt nicht vertreten war, ja bis zum Jahr 1976 im Vorwort nicht mal erwähnt wurde.

Bei der Auswahl überwogen wieder hochwertige Bildbände, die leider im BRD-Wettbewerb kaum noch zum Zug kamen und in denen sich auch immer Landes- oder Regionaltypisches fand wie z. B. der unten vorgestellte Titel oder: “Arts et Métiers du Vin”, “Paysage Visage” und andere.

Michael Ruetz / Martin Müller: Mit Goethe in der Schweiz

Michael Ruetz / Martin Müller: Mit Goethe in der Schweiz

In diesem ungeheuer gehaltvollen Band wird Goethes Reise durch die Schweiz, die er 1779 unternahm, mit Originalzitaten, denen gute Fotos von Michael Ruetz (*1940) gegenübergestellt), und umfangreichen erklärenden Begleittexten nachempfunden.

Die Zitate aus Goethes Aufzeichnungen sind nicht an die heute Orthographie angepasst, wirken dadurch besonders authentisch und bewirken manchen Aha-Effekt..

Das Titelbild ist nicht typisch für die Fotos, denn in der Regel werden keine Ansichtskarten-Idyllen abgebildet, sondern Eindrücke, die der Wanderer Goethe und seine Begleitpersonen an bestimmten Stellen hätten haben können. Mehrmals ist die Zuordnung aber nicht ganz glücklich. Zum Beispiel ist der Beschreibung eines kristallklaren blauen Himmels ein wolkenverhangener Schlechtwettertag zugeordnet oder der Schilderung eines Vollmondes ein Halbmond.

Gerne liest man und möchte es in jedem Fotoband tun, welche Ausrüstung der Fotograf verwandte (Leica, Kodak) und wie er seine Arbeit versteht, wie es Michael Ruetz in einem erhellenden Abschnitt tut.

Gut auch, wie Ruetz auf die Umstände hinweist, unter denen Goethe vor 200 Jahren reiste. Goethe war zum Beispiel mitten im Winter am Gotthard-Pass und “bewegte sich fort ähnlich wie die Nord- und Südpolsucher eineinhalb Jahrhunderte später.”

Eigenartig ist aber wieder, dass der Artemis-Verlag auf seinen Klappeninformationen zwar den Fotografen vorstellt und würdigt, nicht aber den Texter Martin Müller, der hier wesentlich mehr als nur Zulieferer war.

Handwerklich ist das Buch in der absoluten Meisterklasse anzusiedeln. Alles stimmt hier.

Im BRD-Wettbewerb hatte so ein Titel keine Chance. Zu wenig “besonders”, zu wenig “innovativ” (der Begriff wurde damals allerdings noch nicht verwendet), zu wenig “unkonventionell” – einfach nur ein unheimlich schönes Buch. Allerdings wurde hier in Bild und Text sowie in der Ausstattung ein Niveau erreicht, das auch Jahrzehnte später nicht mehr übertroffen werden kann. Lediglich die Digitalphotographie hat in der Abbildungsleistung noch einmal Fortschritte gemacht.

Erika Billeter: 1920 Amerika Fotografie 1940

Erika Billeter: 1920 Amerika Fotografie 1940

Die aus Köln stammende Erika Billeter (1927–2011) war eine der bekanntesten Kunsthistorikerinnen der Schweiz (und ist leider bis jetzt ohne deutschsprachigen Wikipedia-Artikel geblieben). Das vorliegende Werk ist der gelungene Katalog einer grandiosen Ausstellung im Kunsthaus Zürich 1979. Frau Billeter gelang es, die wirklich bedeutendsten Fotografen der USA mit insgesamt fast 300 Aufnahmen aus dem für die Entwicklung der Fotografie so bedeutenden Zeitraum 1920–1940 zu zeigen.

Auch bei diesem Buch gilt das oben Gesagte. In der BRD wäre der Titel nie ausgezeichnet worden (jedenfalls nicht, seit die Stiftung Buchkunst das Sagen hatte), weil dem Layout irgendwas Originelles, noch nie Dagewesenes fehlte. Wie in einer Ausstellung sind da einfach die Fotos mit ihren Titeln und den Namen der Fotografen abgebildet – wie es auch für so eine Publikation am besten ist. Auch die Seitenzahlen stehen ganz konventionell einfach da, wo sie hingehören.

Die Begleittexte sind erfreulich kurz gehalten, so dass der Leser bzw. Betrachter nicht mit ausufernden theoretischen Erläuterungen gelangweilt wurde sowie wenig Raum für Spielereien mit dem Satzspiegel blieb.

Den großen Schwerpunkt bildet – wie könnte es bei dem gewählten Zeitraum anders sein? – die sozialkritische Fotografie der 30er Jahre.

Drei Fotografen wurden in zwei der insgesamt neun Abteilungen des Bandes aufgenommen – was zwar geht. Kurios ist aber, dass dann dieselbe Kurzbiographie erneut abgedruckt wird.

Die Jury urteilte sehr treffsicher:

“Einheitliche Gestaltung wird ordnend der Vielfältigkeit der Fotografie gerecht. Die Unterordnung der Typografie gegenüber dem Bild prägt den übersichtlichen Gesamteindruck.”

Jean-Paul Favre / André November: color and und et communication

Jean-Paul Favre / André November:
color and und et communication

Der Band zeigt sehr anschaulich und mit zahlreichen Beispielen die ganze ausgeklügelte Raffinesse der Werbeindustrie. Interessant auch als Zeitdokument von Produkten und Verbraucherverhalten der späten 70er Jahre.

Das Werk ist im Großen und Ganzen sehr gelungen. Die Jury schrieb zu Recht:

“Informativ gestalteter Abriss über Farbe und Kommunikation, hervorragend gedruckt.”

Das Layout ist geschickt und lebhaft, was gut zum Thema passt.

Wie man aber ein Buch über Kommunikation zu einem großen Teil in 7 pt drucken kann und damit eben Kommunikation erschwert, ist ein Rätsel.

Die Idee auf dem Umschlag mit dem “und” in drei Sprachen, um die Dreisprachigkeit des Textes zu indizieren, ist gut. Die Idee, drei Farben wie bei einer Anweisung des Creative Directors an die Grafikabteilung nur zu benennen, statt auch abzubilden, ist fragwürdig. Ein Buch voller Farben braucht auch einen farbigen Umschlag.

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Hochgeladen am 5. Juli 2019. Zuletzt aktualisiert am 29. Juli 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Buch-Galerie Silvia Umla (Auswahlhefte BRD und DDR), Don Libros, München (Seefahrer), Antiquariat Glatzel (Mond), Antiquariat Buchau (Goethe), Antiquariat Niedersätz (color).

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