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Die schönsten Bücher 1958

1958. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es unter Adenauer einen politischen und gesellschaftlichen Stillstand.
“Keine Experimente”. International hingegen kommt es zu weitreichenden und teils dramatischen Ereignissen. In der Volksrepublik China beginnt 1958 die desaströse, als “Großer Sprung nach vorn” bezeichnete Kampagne, die innerhalb von 3 Jahren mehrere 10 Millionen Menschenopfer fordern wird. In Frankreich wird nach einem Putschversuch der Militärs die
V. Republik unter Charles de Gaulle konstituiert. In Brüssel wird das Atomium aufgestellt, Symbol der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Fortschrittsglaubens.

Die schönsten deutschen Bücher 1958 (Auswahlheft)

Das Heft kommt im schon länger aufgelegten Format,
diesmal in Grau. Die Schraffierung des Umschlags, das verwendete Hochglanzpapier (gesponsort von der Papierfabrik Scheufelen aus Oberlenningen) und die Schrift Futura, gesetzt aus der Linotype, sorgen trotzdem für einen gewissen edlen Hauch.

Am Layout ist diesmal neu, dass verschiedene Ansichten vom selben Buch gezeigt werden, weshalb auch nur noch ein Band pro Seite vermerkt wird. Das Vorwort von Bertold Hack kommt diesmal in gebührender Kürze, verzichtet aber wiederum nicht auf Selbstbeweihräucherung.

Bei den Bewertungskriterien wolle man in Zukunft den Einband höher und den Schutzumschlag etwas niedriger gewichten.

Es wird festgestellt, dass das handwerkliche Niveau der Buchproduktion gegenüber den Anfängen „in dürftiger Zeit” (gemeint ist wohl 1951) mittlerweile ein „bemerkenswertes Niveau” erreicht habe.

Kurz zu den prämierten Büchern. Im Bereich der Belletristik, aber auch bei den Sachbüchern (im Heft zusammengezogen zu „Allgemeine Literatur”; „Fachbücher” hingegen als eigene Gruppe) fallen extrem viele Übersetzungen auf. Typisch und für einen größeren Leserkreis eher weniger geeignet ist etwa ein Lyrikband von E. E. Cummings. Überhaupt finden sich unter den Preisträgern sehr viele Gedichte-Editionen, darunter etliche Autoren, die heute nur noch Fachleuten bekannt sind. Immerhin sind jetzt erstmals wieder Romane vertreten, und zwar gleich mehrere.

Wenn man die Jahre seit 1951 verfolgt, gerieten die Juroren in Gefahr, trotz unbestreitbarer Qualität ihrer Auswahl Monotonie zu erzeugen, da bestimmte Buchkünstler (so hieß es damals) wie Eugen E. Sporer, Max Hirmer oder Gerhard Oberländer bzw. ihre korrespondierenden Verlage immer wieder zum Zug kamen. Wie erfrischend hingegen die ganz neue, innovative Herangehensweise bei den unten dargestellten Werken “Ingenieurbauten” und “Die Sache mit dem Apfel”. Da erkennt man schon Designs der 60er und 70er Jahre. – Insgesamt zunächst ein eher langweiliger Jahrgang des Wettbewerbs – bis ich die “Ingenieurbauten” auf den Tisch bekam und mir bei “Schrift und Maske” die Augen übergingen.

Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (Hg.): Ingenieurbauten unserer Zeit

Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (Hg.): Ingenieurbauten unserer Zeit

Bei diesem Buch handelt es sich um eine grandiose Leistungsschau der deutschen Bauindustrie und ein zeitgeschichtliches Dokument erster Güte.

In übersichtlichen Gruppen geordnet, von informativen und gut zu lesenden Texten begleitet und mit vorzüglichem Fotomaterial ausgestattet, wird ein Überblick über große deutsche Bauprojekte der 50er Jahre gegeben.

Der technische Fortschrittsglaube in der deutschen Gesellschaft der Wirtschaftswunder-Jahre ist nicht nur ungebrochen, sondern hat seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Als Beispiel sei genannt, dass die Höhe des Stromverbrauches noch enthusiastisch als Merkmal der Entwicklung eines Landes herausgestellt werden kann. Der private Stromverbrauch pro Kopf belief sich damals in den deutschen Haushalten nur auf ein Achtel der USA! Diesen Rückstand galt es aufzuholen.

Für Infrastrukturprojekte und Energieerzeugung fing man in den 50er Jahren an, die Landschaft in großem Stil umzugestalten. Entsprechend nimmt der Kraftwerksbau einen großen Teil dieses Buches ein. Für Staukraftwerke mussten ganze Dörfer umgesiedelt werden. Immerhin, so die Autoren des Werkes, entstanden “neuere und schönere Dörfer”.

Frappierend, wie heute eine neue Fortschrittsgläubigkeit, nämlich die des “ökologischen Umbaus” und der “erneuer-
baren Energien” mit mindestens demselben Sendungs-
bewusstsein und einer noch größeren Kritikresistenz, auch
mit vergleichbarer Profitgier der Betreiber, erneut einen Umbau der deutschen Landschaft durchführt.

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Klappern gehört zum Handwerk: das Herausstellen der eigenen Branche als der Schlüsselindustrie, Vorwürfe an die Politik, dies noch nicht erkannt zu haben, Forderungen an die Öffentliche Hand, mehr Aufträge zu auskömmlichen Preisen zu erteilen. Das alles muss wohl so sein, schränkt aber die  Bedeutung des Bandes nicht ein.

Interessant das Design. Das erste Softcover-Buch im Wettbewerb, das ich in Händen halte (hervorragend erhalten).
Die Gestaltung des Einbandes von Walter Gleinig ist zukunftsweisend und verweist schon auf die Pop-art, eine Richtung, die sich erst im nächsten Jahrzehnt durchsetzen sollte. Nicht nur die Farb- und Formgebung, sondern auch die Anspielung auf ein nacktes Frauenbein ist typisch für diese Kunstrichtung: “sexy, spielerisch, auffallend, verführerisch“ – so laut Richard Hamilton einige der Merkmale von Pop-art. Die Baggerschaufel macht das Ganze geradezu frivol. Die Innenseiten des Einbandes sind tiefschwarz und mit einer spiegelnden Oberfläche überzogen.

Aber auch das Layout – gestaltet von Rudolph Semler, Bonn und Günter Marx, Wiesbaden – in seiner Gegenüberstellung von großformatigen, oft seitenfüllenden Fotografien und lichtem, luftigem Layout mit sehr groß und frei auf der Seite plazierten Überschriften sowie viel freiem Weiß, ist hervorragend und weit seiner Zeit voraus.

Zudem hat man durch einen Kniff, nämlich monochrome Seiten, z. B. in Sepia, dezente, aber effektvolle Farbreize in den eigentlich schwarz-weiß aufgelegten Band gebracht.

Alexander Koch: Einfamilienhäuser und ihre konstruktiven Details

Alexander Koch:
Einfamilienhäuser und ihre konstruktiven Details


Hier handelt es sich um ein sehr sorgfältig und aufwendig gemachtes, schön anzuschauendes Buch. Offensichtlich wurde eine ungeheure Arbeit in das Werk investiert. Alleine die vielen, teils invers weiß auf schwarz, teils schwarz auf gelb dargestellten Risszeichnungen mit den umfangreichen Legenden sind schon sehr beachtlich.

Obwohl der Eindruck erweckt wird, ist Alexander Koch ist nicht der Verfasser, denn wie der Band selbst Auskunft gibt, stammen die Texte vom Architekten Gerhard Schwab (der auch eines seiner Häuser zeigen darf) und die (sehr vielen und guten, weit überwiegend schwarz-weißen) Fotos von zahlreichen internationalen Fotografen. Koch zeichnet auch nicht für die Einleitung verantwortlich, sondern nur für ein knappes handschriftlich wiedergegebenes Vorwort. Also ist Alexander Koch der Herausgeber (in seinem eigenen, von seinem gleichnamigen Vater gegründeten Verlag), hätte sich aber auch so bezeichnen sollen. Seine Verdienste bei der Gestaltung des Buches, die er ebenfalls übernahm, sollen dadurch nicht geschmälert werden.

Irreführend ist auch der Titel, der eigentlich heißen müsste: „Einfamilienhäuser mit Flachdächern”, denn mit zwei Ausnahmen ist ausschließlich diese Kategorie vertreten. Vielfach sind es Entwürfe von Stararchitekten wie Marcel Breuer oder Richard Neutra.

Dass nur „Bungalows” mit Flachdächern aufgenommen wurden, begründet Gerhard Schwab ideologisch abgeleitet vom „neuen Bauen”, der von ihm so gesehenen „Suche nach neuen, den Menschen unserer Zeit gemäßen Lebensformen”. Das Stichwort „Bauhaus” fällt aber nicht ausdrücklich, vielleicht weil dieses auch bezahlbaren Wohnraum für die städtischen Massen schaffen wollte. Die Bewohner der vorgestellten Bauten sind aber sämtlich wohlhabende Multi-Millionäre. Alleine die Materialwahl, die bei jedem Entwurf genauestens aufgelistet wird, ist schon vielsagend. Da werden z. B. Platanen aus dem Kaukasus verwendet.

Fast alle Häuser stehen frei auf einem riesigen Areal. Fast alle Bauten haben großzügige, ineinander übergehende, durch Schiebetüren trennbare Räume. Typisch sind auch raumhohe Schränke, Einbauküchen und versenkte oder verkleidete Heizkörper.

Das Hauptmerkmal ist jedoch meist eine komplett verglaste Längsfront (Energie stand noch günstig zur Verfügung), aus dem die Bewohner hinausschauen können, oft weit in die Ferne, über den Lago di Como oder „das Birstal und ferne Gebirgszüge”.

Das sind aber nur einige inhaltliche Anmerkungen und viele Anregungen gibt es sicher auch für bescheidenere Projekte.

Unstrittig wurde hier ein Buch mit hoher Qualität herausgebracht (nur der Umschlag war zu dünn und empfindlich), für das 38 DM ein sehr günstiger Preis war. Die Auflage wurde damals in den Auswahlheften noch nicht mitgeteilt, sie wurde aber offenbar restlos verkauft und die Exemplare auch lange und gerne behalten. Das erkennt man daran, dass antiquarisch nur sehr bescheidene Bestände verfügbar sind.

Rosemarie Clausen: Schrift und Maske

Rosemarie Clausen: Schrift und Maske
 
Rosemarie Clausen wurde von der ZEIT als die deutsche Theaterfotografin bezeichnet, und um solche Schauspieler geht es hier: Theaterschauspieler. Die aus einer Theologenfamilie stammende (es passt bei dieser Frau alles) und sich ihr Leben lang in der Theaterwelt bewegende Fotografin unternimmt mit dieser Veröffentlichung ein interessantes Experiment.

Für jeden Schauspieler werden auf einer Doppelseite jeweils eine Handschriftenprobe und eine Fotografie gegenübergestellt. Dabei haben die Darsteller einen Textauszug einer ihrer Lieblingsrollen aufgeschrieben.

Der Band ist überwältigend. Ja, das waren noch Schauspieler! Keine Stars und Starlets, keine Zelebritäten, die ihre vermeintlichen körperlichen Reize in den Vordergrund stellen müssen, um die Massen zu begeistern. Nein, Charakterschauspieler, die ihren Beruf beherrschen und ihre Rollen so spielen, dass sie mit ihnen verschmelzen. Gustav Gründgens, die Flickenschildt, Marianne Hoppe...

Natürlich sind die großen Bühnendramen auch andere Stoffe als Unterhaltungsfilme.

Eine wahre Fundgrube auch die vielen Zitate, bei denen die Macher des Buches so klug waren, sie am Ende des Buches nochmals in Druckschrift anzuhängen.

“Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.” (Medea)    

Aufnahme aus dem besprochenen Band:
Antje Weisgerber als Gretchen in Goethes Faust.

Antje Weisgerber als Gretchen
Thaddäus Troll: Die Sache mit dem Apfel

Thaddäus Troll: Die Sache mit dem Apfel

Thaddäus Troll (eigentlich: Hans Bayer) war eine der prägenden Gestalten des Kulturlebens der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem im Südwesten der Republik war der vielseitige Autor über das Radio- und Fernsehprogramm des damaligen Südwestfunks in den 60er und 70er Jahren fast allgegenwärtig. Das ereignisvolle Leben von Thaddäus Troll, der 1980 im Alter von 66 Jahren Selbstmord beging, war in vielerlei Hinsicht – bisweilen auch leider – exemplarisch für seine Generation.

Das Buch ist quasi eine Gemeinschaftsproduktion von Troll und den damaligen Graphischen Kunstanstalten E. Schreiber. Das großformatige Buch, im Schuber ausgeliefert, ist an sich schon auf wertigem Hochglanzpapier gedruckt. Bei den ganzseitigen Illustrationen, die sich in einem Streifzug durch die Kunstgeschichte alle um Adam, Eva und den Apfel drehen, zeigte die mittlerweile nicht mehr bestehende Druckerei aus Stuttgart, was damals technisch ging. Jede der 11 Bildtafeln ist mit unterschiedlichen Druckverfahren hergestellt, welche im Anhang exakt beschrieben werden. Da tauchen Bezeichnungen auf wie “Duplex-Autotypie” oder “Spezial-Dow-Ätzung”.

Der Eindruck der Texte ist zwiespältig. Im Grunde wird um drei hübsche Kurzgeschichten herum, die sich nicht nur gut lesen und unterhaltsam sind (vor allem die erste ist genial), sondern auch auf eine feinsinnige Art zum Nachdenken anregen, alle möglichen Bezüge der Kunstgeschichte zum Thema “Adam, Eva und der Apfel” dargeboten. Die Rahmenhandlung ist eine gesellige Weinrunde von schwäbischen Bildungsbürgern. Im Verlauf wird es etwas geschwätzig und ausschweifend, ähnlich wie ich die Beiträge dieses Autors aus dem SWF auch in Erinnerung hatte. Das Ganze mündet dann ohne Umschweife in ein Unternehmens-
portrait der Druckerei E. Schreiber.

Die Bücher sind in limitierter Auflage von 2000 Stück gedruckt worden. Das abgebildete frische Exemplar ist
Nr. 1380.

Nereo Alfieri und Paolo Enrico Arias: Spina

Nereo Alfieri und Paolo Enrico Arias: Spina

Wirklich ein schönes Buch, bei dem einmal mehr Max Hirmer, in dessen Verlag das Werk auch erschien, die Schwarz-weiß-Fotografien beisteuerte. Das Bild auf dem Schutzumschlag ist das einzige in Farbe, verleiht aber dem Buch seine fast aufregende Anmutung.

Spina war eine wichtige etruskische Stadt, die im Po-Delta
lag, in der (aus römischer Sicht) Provinz Gallia Cisalpina.
Wie so viele italienische Städte, wurde auch Spina im Zuge der Ausbreitung Roms in die Bedeutungslosigkeit gestürzt.
Jahrhundertelang war es nicht mal sicher, ob Spina tatsächlich existiert hatte oder ins Reich der Fabel gehörte.

1921 und 1956 wurden bei Ausgrabungen Überreste der Stadt sowie etwa 4000 (!) Gräber mit teils kostbarsten Beigaben entdeckt. Von besonderem kunsthistorischem Interesse sind die griechischen Vasen, die im prämierten Buch bis ins kleinste Detail erklärt und künstlerisch eingeordnet werden.
 

Mittelalterliche Miniaturen

Mittelalterliche Miniaturen

Luxuriöser Band im Schuber, 1958 von der Banque de Paris et des Pay-Bas, Brüssel, als Privatedition in drei Sprachen aufgelegt.

Das voluminöse, nicht im Buchhandel erschienene Buch enthält 53 ausführlich erläuterte Farbtafeln aus dem Mittelalter. Etwas für Kunstfreunde.

Mittelalterliche Miniaturen

Grete Willinsky: Kochbuch der Büchergilde

Mit Grete Willinsky: Kochbuch der Büchergilde
taucht das erste Buch im Auswahlverzeichnis auf, das der Verfasser schon vor diesem Web-Projekt (in der Auflage von 1985) sein eigen nannte. Dass dieses umfangreiche Kochbuch mit 1560 Rezepten über Jahrzehnte populär blieb, verdankt es der gelungenen Mischung von bodenständiger, gut-bürgerlicher Küche mit Ausflügen in die europäischen Länder – so, wie es sich beim gewerkschaftlichen Hintergrund des Verlages gehört. Die Rezepte haben den Vorteil, dass man die Zutaten mit den unten angedeuteten Ausnahmen auch wirklich bekommen kann, und zwar zu vernünftigen Preisen – auch das kann wohl bei der Ausrichtung der Büchergilde nachvollzogen werden.

Einiges wird man heute kaum noch kochen (wollen), wie Milz- oder Hirnsuppe, das meiste ist jedoch zeitlos.

Viele, viele Editionen der Büchergilde Gutenberg wurden bei den “schönsten deutschen Büchern” prämiert. Oft handelte es sich um Lizenzausgaben – hier haben wir es jedoch mit einer Originalausgabe zu tun.

Über die Verfasserin lassen sich leider keinerlei biographische Angaben finden.

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Der Wettbewerb in der DDR

Spiegel Deutscher Buchkunst 1958

Beim Wettbewerb 1958 dürfte es aufgrund einer verschärften politischen Einflussnahme zu erheblichen Auseinander-
setzungen zwischen der Partei und der Jury und wohl auch innerhalb der Jury gekommen sein.

Im namentlich nicht gezeichneten Vorwort geht es im Gegensatz zu den unmittelbaren Vorjahren wieder knallhart ideologisch zu. Ohne Umschweife wird der Wettbewerb “der Durchsetzung der literatur-propagandistischen Ziele der Arbeiterklasse und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik” untergeordnet – ein schwerer Rückschlag.

Ausdrücklich wird die Jury gelobt dafür, sich “erstmalig auch mit Agitations- und Massenbroschüren beschäftigt” zu haben. Über allem stehe das Ziel, “durch das Mittel des gut gestalteten, fortschrittlichen Buches beizutragen zur Völkerverständigung und zu Erhaltung des Weltfriedens.” Man fühlt sich zurückversetzt in die Zeit Anfang der 50er Jahre. Es ist zu vermuten, dass der Rückfall in die stalinistische Repression, welche nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes vom November 1956 auch in der DDR einsetzte, sich im Kulturleben mit mehr als einjähriger Verzögerung bemerkbar machte. Im Wettbewerb 1957, dessen Auswahlverfahren im Januar 1958 stattfand, war hiervon noch nichts zu bemerken.

Als Aufpasser („Gäste”) nahmen an den Beratungen der Jury im Januar 1959 zwei hohe Ministerialbeamte teil, darunter der Kandidat des Zentralkomitees der SED Horst Schumann. (“Mit Provokateuren wird nicht diskutiert. Sie werden erst verdroschen und dann staatlichen Organen übergeben.”) Hinzu kam ein hoher staatlicher Vertreter ausgerechnet aus Ungarn.

Die Jury bezog die geforderten Publikationen ein, wobei latenter Widerstand erkennbar ist. Bei einer prämiierten Broschüre (“Die Folter” von Henri Alleg) hieß es, sie sei als “Schnellschuß” konzipiert und “entspreche allen Anforderungen, die man an solche Publikationen stellen” könne (S. 23). Auch zu weiteren, im Rotationsdruck hergestellten Büchern, gibt es nur verhaltene Zustimmung. Man wisse noch nicht, wohin die Einbeziehung politischer Massenliteratur führe. Immerhin bewegt man sich zu einer “einmütigen Anerkennung” des neu gedruckten “Parteistatuts der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands” und einer informellen, lobenden Erwähnung der “Wahlbroschüre Leipzig des Stadtausschusses der Nationalen Front”.

Bei den Begründungen tauchen dann Sätze auf wie: “dokumentiert – trotz einiger technischer Mängel – neues Leben im deutschen Arbeiter- und Bauernstaat” oder “kulturpolitisch richtig”.

Die Jury berichtet, dass sie von 262 eingereichten Titeln diesmal 55 ausgewählt habe, darunter 5 “bibliophile Ausgaben”, unter anderem zwei Heftchen mit gerade einmal 35 oder 50 Exemplaren Auflage, und zusätzlich 10 “Lobende Erwähnungen”, ebenfalls mit Einzelbesprechung. Damit ist der Wettbewerb aber sinnlos aufgebläht, wohl um die BRD zu übertrumpfen, die Mitte/Ende der 50er Jahre regelmäßig 50–52 Titel auszeichnete.

Der Bericht der Jury ist mit 20 Seiten (hinzu kommen die Einzelbesprechungen) ermüdend lang. Es wird beklagt, dass den politisch bedeutsamen Werken nicht die nötige verlegerische Aufmerksamkeit zukomme. Ein interessantes Indiz, dass der Wille der Partei bei den Werktätigen im Verlagswesen nicht unbedingt als maßgebliche Richtschnur anerkannt wurde.

Bei aller Unterschiedlichkeit in der politischen Ausrichtung zeigen sich wiederum verblüffende Ähnlichkeiten mit dem westdeutschen Wettbewerb. Hier wie dort wird gegen von den Schutzumschlägen ausgehende “billige, modische Reklameeffekte” zu Felde gezogen. In der DDR durfte in diesem Jahr das prämiierte Buch “Der Augenarzt” im
Rahmen des Wettbewerbs gar nur ausgestellt werden, wenn der Schutzumschlag vorher entfernt wurde! (S. 20)

In Bezug auf die Reproduktionsqualität im Bereich der Kunstdruckbände wird offen zugegeben, dass man die Spitzenleistungen von tschechischen und ungarischen Druckereien noch nicht erreicht habe.

Wie schon im Vorjahr wird erfreulich offen angesprochen, dass es bei der Arbeit der Jury zu Meinungsverschiedenheiten kam. “Kampfabstimmungen” seien “häufig” gewesen und  mehrfach sei es zu “sehr scharfen und kritischen Auseinandersetzungen” gekommen, auch bei Grundsatzfragen.

Buchkunst. Dritter Band.

Buchkunst. Dritter Band.

In Fortsetzung der 1927 erstmals durchgeführten Internationalen Buchkunstausstellung in Leipzig und des dazu konzipierten Begleitbandes wollte sich die DDR  international als der Erbe der fortschrittlichen und humanistischen deutschen Tradition darstellen.

Das Erscheinungsjahr (eigentlich 1959) dieses dritten Bandes der “Buchkunst” lag in einer Zeit der Verschärfung des Kalten Krieges, die auf die brutale Niederschlagung des Volksaufstandes von Ungarn 1956 folgte. Leider sind deshalb schwerpunktmäßig osteuropäische Beiträge zu verzeichnen, was eine selbstauferlegte, auch ästhetische Einschränkung bedeutete.

Unschön, dass einer der beiden westdeutschen Beiträge hauptsächlich aus fotografierten, aufgeschlagenen Buchseiten besteht. Sonst findet man gute Reproduktionen, die aber vor allem bei den Farb-
wiedergaben noch nicht ganz das Niveau des Bandes “Buchgestaltung” erreichen, welcher 1963 erscheinen sollte. Dennoch insgesamt ein edles Werk.

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Ein Blick nach Österreich

Die schönsten Bücher Österreichs 1958

Österreich hatte wieder ein hübsch gestaltetes Büchlein im Querformat. Das goldgeprägte Titelbild – auf 20 Jahre hinaus brachte von den deutschsprachigen Ländern nur Österreich überhaupt einen illustrierten Titel – erinnerte ein bisschen an Jugendstil.

Im äußerst kurzen Vorwort zeigte sich der Verlegerverband zufrieden mit einer stark steigenden Zahl von Anmeldungen. 21 von 91 eingereichten Titeln wurden ausgezeichnet (im Vorjahr 15 von 59). Es werden aber weder Angaben zur Entwicklung des Buchmarktes noch zu Auswahlkriterien oder zu einzelnen Werken bzw. Gattungen gemacht.

Häufig sind nach wie vor Titel wie „Prinz Eugen. Retter des Abendlandes”, „Land im Strom der Zeit. Österreich gestern, heute, morgen” oder „Adventsgebete aus Ravenna”. Einen weiteren Schwerpunkt bilden auch immer wieder die unterschiedlichsten „Wien”-Ausgaben, diesmal u. a. ein Werk zur Bewerbung um die Sommerolympiade 1964, das leider nicht in vernünftigem Zustand erhältlich war.

Wedeln. Schilaufen in Österreich.

Wedeln. Schilaufen in Österreich.
Von Friedl Wolfgang, Clemens Hutter und
Stefan Kruckhauser.

Dieses Buch hat es wirklich auf die Auswahlliste verdient, mehr noch: es handelt sich um eines der schönsten Bücher der 50er Jahre.

Zu der damals noch neuen Skitechnik “Wedeln” passt in kongenialer Weise das flotte, peppige und moderne Layout,
die herrlichen Fotos, unter anderem ganz phantastische Mehrfachbelichtungen mit der heute in Vergessenheit geratenenen Kleinbildkamera Robot Royal. Schwer nach-
zuvollziehen, wie diese unglaublichen Reihen technisch überhaupt möglich waren.

Materialauswahl und buchbinderische Arbeit sind absolut hochwertig.

Besser kann man ein Buch nicht machen.

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...was macht die Schweiz?

Die schönsten Schweizer Bücher 1958

Die schönsten Schweizer Bücher 1958

Wie in einem knappen Vorwort berichtet wird, wurde das im Vorjahr eingeführte neue Auswahlverfahren beibehalten, wonach die Jury sich die beim Buchhändler- und Verlegerverein “liegenden Bestände als Grundlage” vornahm.

Jedoch waren die Ergebnisse schlechter als 1956, als man noch um Einsendungen bat. Nur knapp 100 Bücher (1957: 145, 1956: 115) blieben nach einer Vorauswahl übrig – “bescheiden”, schreibt die Jury.

Entsprechend wurden auch weniger Bände ausgezeichnet: 25 Preisträger wurden vorgestellt (1957: 33, 1956: 28). Davon entfielen 6 auf die “welsche Schweiz”.

Emil Schulthess: Afrika

Emil Schulthess: Afrika

In derselben opulenten Aufmachung, auch im selben herrlich lichten Layout (nur mit etwas kleinerer Schrift) wie der 1954 prämiierte Band „USA” erschienen 1958 und 1959 zwei Fotobände von Erich Schulthess über Afrika. Die Texte wurden wieder von einem ganzen Team beigesteuert.

Der erste Teil der beschwerlichen Reise, die Schulthess und seine Gefährten unternahmen, um am 21. März 1956 eine sehr seltene ringförmige Sonnenfinsternis am Äquator sehen und fotografieren zu können, dauerte 5 Monate. Was für Strapazen damals damit verbunden waren, erkennt man schon daran, dass alleine die Durchquerung der libyschen Wüste 50 Tage dauerte.

Leider ist die technische Qualität vieler Fotos schlechter als beim USA-Band. Die Farbfotos sind oft unscharf und auch die Schwarz-Weiß-Fotos sind häufig flacher und kontrastärmer. Die mitgeführte Kleinbildkamera Leica M3 mit Zoom-Objektiven bis zu 400 mm gab wohl nicht mehr her, wenn man die Fotos auf das riesige Seitenformat, oft noch aufklappbar, vergrößerte. Mit der Leica machte Schulthess 90 % der Aufnahmen. Für besondere Zwecke führte er auch andere Kameras mit. So schreibt er an einer Stelle von „der großen Kamera mit einer Brennweite von 1500 mm”.

Dass Schulthess fotografieren konnte, versteht sich von alleine. Der große Wurf sind aber nicht die Landschafts- und Tieraufnahmen, sondern die Portraitaufnahmen der Einheimischen sowie atemberaubende Gruppenaufnahmen von Menschen oder Menschen mit Tieren. Überragend etwa das frappierende Portrait der jungen Libyerin (Bild 6), die ziehenden Kamele mit den Hirten (Bild 54) oder die Marktszene im aufwirbelnden Wüstensand (Bild 56/57).

Band 1 von „Afrika” hatte eine gewaltige Auflage von 10.000 Exemplaren (was aber für die eigentlich kleine Schweiz im Bereich des Normalen lag). Somit wurden 18 Tonnen Papier bedruckt.

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Hochgeladen am 21. Januar 2015; zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2023.

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Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden unter anderem geliefert von: Antiquariat Ballon + Wurm (Auswahlheft),
Antiquariat Hans Kümmerle (Ingenieurbauten), Antiquariat Schreyer (Einfamilienhäuser), Antiquariat Bernd (Schrift und Maske),
steffs-fundgrube (Spina), 333buch (Thaddäus Troll), Kunsthaus-Adlerstraße (Miniaturen), Büchergilde Gutenberg (Kochbuch),
Celler Versandantiquariat (Auswahlheft DDR), Antiquariat Kerzemichel (Buchkunst), Antiquariat Wegner (Auswahlheft Österreich),
Antiquariat Esel, Berlin (Wedeln)
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